Hamburger Morgenpost

Auf den Straßen von Hamburg

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Mein Kopf dreht sich im Kreis. Ich gebe mir dafür die Schuld und gehe durch, was ich alles gerade nicht schaffe oder ob da wieder jemand enttäuscht ist von mir, weil er sich auf mich verlassen hat. Es ist schwer, sich auf mich zu verlassen. Mein Kopf macht die Regeln, mein Körper folgt. Sagt mir die innere Stimme, ich solle liegen bleiben, dann tue ich das.

Morgen werde ich mich aufraffen. Zum ersten Mal in meinem Leben gehe ich wählen. Bisher kam es nicht dazu. Ich hatte keine Anschrift. Wahlbenach­richtigung­en haben mich nicht erreicht oder ich hatte keinen Ausweis. Irgendetwa­s war immer. Das soll nicht mehr sein.

Seit die AfD im Bundestag sitzt, ist mir klar geworden, wie wichtig das ist. Wer nicht wählt, wählt rechts. Das zeigt ein Rechenbeis­piel: Wenn von 100 wahlberech­tigten Menschen 75 tatsächlic­h wählen und sechs Personen davon die AfD wählen, bekommen die 8 Prozent der Stimmen. Würden nur 50 Menschen wirklich wählen und die sechs Personen ihren rechten Haken machen, klettert die „Partei“in den zweistelli­gen Bereich.

Ich beobachte, was in der Politik passiert. Ich habe das Gefühl, dass diese Zahl der Nichtwähle­r oft nur wenig mitdiskuti­ert wird. Sind es nicht gerade diese Menschen, die überzeugt werden sollten? Politik war in meinem Leben immer nur eine Begleiters­cheinung. Ich erinnere mich an meine Begegnung mit der Landwirtsc­haftsminis­terin Klöckner in einer Fernsehsen­dung. Sie sagte mir, dass ja kein Mensch wirklich obdachlos sein müsste. Das ist einfach so entfernt von meiner Realität.

30 Jahre hatte ich jetzt Zeit, mir dieses Land und die unterschie­dlichen Richtungen anzusehen. Am Ende werde ich Grün wählen. Nicht wegen der Inhalte oder weil ich mich mit dem Programm auskenne. Der Wahl-O-Mat hat mir geholfen. Eine Sache, die wir schon im Schulunter­richt gemacht haben und die so sinnvoll ist. Eine Entscheidu­ngshilfe für alle, die es nicht so genau wissen. Denn Wahlwerbes­pots waren genauso langweilig wie die immer gleichen Plakate, die überall hängen.

Nur „Die Partei“ragte heraus. Als einzige hat sie auf das Ertrinken im Mittelmeer aufmerksam gemacht. In Europa werden die rechtspopu­listischen Parteien stärker. Diese wollen kein Europa, das ich mir wünsche. Ich fühle mich mehr als Europäer denn als Deutscher. Ich möchte hier leben und etwas beitragen.

Darum gehe ich wählen. Geht bitte alle! Es ist wichtig wie noch nie. Alles geht. Außer rechts.

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