Eine offene Wunde
O. J. Simpson war in den USA ein gefeiertes Sport- Idol. Durch ein Verbrechen vor 25 Jahren änderte sich alles
Nicole Brown Simpson war ein sorgloses All-American Girl: blond, groß, hübsch und unerschütterlich lebensfroh. Ihr Lachen war einnehmend und breit, gleich, ob sie mit ihrer Schwester eine Familienfeier besuchte, sich mit ihren Kindern im Garten im Sackhüpfen übte oder ob sie in der Highschool der Marschkapelle voranmarschierte.
Das ist das Bild, das eine Ausstellung in Tennessee von jener Frau zeichnen möchte, die vor 25 Jahren zum wohl bekanntesten Mordopfer Amerikas wurde. Ausgeblendet werden die Schlagzeilen über ihre Ehe mit Footballstar O. J. Simpson, die Geschichten über Misshandlungen, die sie erleiden musste und die schier endlose Berichterstattung über ihren Tod, die grausamen Polizeifotos, die Spekulationen über die Umstände, unter denen sie im Juni 1994 in ihrem Haus in Hollywood ihr Leben verlor.
Die Ausstellung im AlcatrazEast-Kriminalmuseum ist der Versuch der Familie Nicole Brown Simpsons, sie als Privatperson zu ehren und ihren Namen von der Symbolfunktion zu befreien, den er im öffentlichen Diskurs der USA seit einem Vierteljahrhundert unweigerlich besitzt. Viel Erfolg wird die Ausstellung dabei nicht haben. Brown Simpson wird auf ewig eine Projektionsfläche für all jene Ängste, Zorngefühle und Vorurteile bleiben, die ein aufgewühltes Amerika bis heute zerreißen. „Ihr Fall“, schreibt der schwarze Intellektuelle Michael Eric Dyson, „war ein rassisches Erdbeben in Amerika. Er hat die tiefen Risse des Hasses bloßgelegt, die unter unserem gemeinsamen Leben in den USA verlaufen.“
Als Nicole Brown 1985 den ehemaligen FootballSuperstar heiratete, feierte der Boulevard die Verbindung als Glamourehe. O. J. Simpson war der Darling von Amerika – ein unwiderstehlich gut aussehender Modellathlet mit einer vielversprechenden Laufbahn im Showgeschäft. Nicole Brown hingegen war der klassische Cheerleader, der an Simpsons Seite in der Promiwelt von Hollywood ein perfektes Bild abgibt.
Doch das Hochglanzbild bekam bald Schmutzflecken. Nachrichten drangen an die Öffentlichkeit, dass Brown Simpson nach schweren Misshandlungen durch ihren Mann zur Polizei geflohen war. Es tauchten Bilder von ihr mit geschwollenem Gesicht und blauen Augen auf.
Auch nach der Scheidung entkam sie O. J. Simpson nicht. Der Sportler ertrug die Trennung nicht, er belauerte und belästigte sie. Bis zu jenem verhängnisvollen Abend, der in einem Blutbad endete, bei dem Brown Simpson und ihr Freund Ron Goldman ihr Leben verloren. Der folgende Prozess gegen den Footballer entwickelte sich 1994 zum wohl größten Medienereignis des Jahrzehnts. Elf Monate lang beherrschte das Verfahren die Öffentlichkeit, sämtliche Zeitungen und Fernsehstationen berichteten über kaum etwas anderes mehr.
Der Fall traf Amerika an seiner sensibelsten Stelle. Zu einer Zeit, in der nach den Unruhen in Los Angeles (1992) die Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß so angespannt waren wie lange nicht mehr, stand ein allseits beliebter schwarzer Mann vor Gericht. Die afroamerikanische Bevölkerung, die längst alles Vertrauen in das amerikanische Strafrechtssystem verloren hatte, richtete sich auf einen Schauprozess ein, in dem in ihren Augen wieder einmal einer der Ihren dem Lynchmob preisgegeben wird.
Der Freispruch Simpsons wegen löchriger Beweislage entzweite das Land endgültig. Das schwarze Amerika schöpfte Hoffnung, dass es für sie in den USA doch Hoffnung auf Gerechtigkeit gibt. Dabei, so schreibt Dyson, ging es gar nicht so sehr um die Unschuld von Simpson, sondern lediglich darum, dass er ein faires Verfahren bekommen hatte. Das weiße Amerika war hingegen wegen der überwältigenden Indizien gegen Simpson empört und schockiert.
Simpson ging dann doch noch ins Gefängnis, wegen eines Vergehens, das allerdings mit dem Tod seiner Exfrau nichts zu tun hatte: 2008 wurde er wegen bewaffneten Raubüberfalls und Geiselnahme zu einer Haftstrafe von 33 Jahren verurteilt und 2017 vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Danach lebte er zurückgezogen in Las Vegas.
Bis zum Wochenende: Am Sonnabend eröffnete Simpson einen eigenen TwitterKanal. Der Mann drängt zurück in die Öffentlichkeit, offenbar genau zur richtigen Zeit – bis Montag hatte @TheRealOJ32 schon über 600000 Follower. In einem ersten Video kündigt er an, „ein wenig abzurechnen“, ohne das genauer auszuführen. Ein Cliffhanger, es folgte ein zweites Video, in dem er seine Absichten näher erläuterte: „Jahrelang war es den Leuten möglich, über mich zu sagen, was sie sagen wollten, ohne dafür die Verantwortung zu übernehmen. Ich werde vieles von diesem Bullshit richtigstellen.“
Wir sehen einen lächelnden, betont lässigen Mann, der nun „die Herausforderung“annehmen und ansonsten über seine „Lieblingsthemen“sprechen will, allen voran den Football, aber auch Politik. Simpson kann sich via Twitter der Aufmerksamkeit gewiss sein, die rasant steigenden Follower-Zahlen bestätigen das unverminderte Interesse an seiner Person und nicht zuletzt an dem mit seinem Namen verbundenen Mordfall. Simpson wird den Hype für seine Belange zu nutzen wissen und alsbald zu einem Millionenpublikum sprechen. Und er wird ihm seine Sicht der Dinge nicht vorenthalten.