Eine Gefahr für die Sicherheit und den Frieden in Deutschland
Der Mord an dm hessischen CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke rüttelt an den Grundfesten unserer Demokratie: Der Bürgernähe von Politikern
Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte der Öffentlichkeit keine neuen Details zu berichten, als er am Dienstagmittag vor die Presse trat. Zum Tathergang und den Motiven des mutmaßlichen Mörders des nordhessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke wussten auch die Chefs von Bundesverfassungsschutz und Bundeskriminalamt kaum Neues zu sagen. Seehofer und die Behördenleiter hatten diese Pressekonferenz nicht zur Bekanntgabe kriminalistischer Befunde angesetzt. Sie wollten eine Botschaft überbringen: Rechtsextremismus stellt eine Gefahr für die Sicherheit und den Frieden in Deutschland dar.
Neu ist auch diese Erkenntnis eigentlich nicht. Die Mordserie des NSU und deren gerichtliche Aufarbeitung haben gezeigt, dass Deutschland ein Problem mit rassistisch motivierter Gewalt hat. Dass Menschen, die nach Auffassung mancher nicht dem äußeren Erscheinungsbild eines Deutschen entsprechen, in Angst leben müssen, ohne sich dabei der Hilfe von Polizei und Justiz sicher sein zu können.
Die rechte Gefahr ist real. Zur Stunde sitzen rund 500 in Deutschland polizeilich gesuchte Neonazis nicht hinter Gittern, weil die Polizei sie nicht finden kann. Die Zahl der von Behörden als Gefährder eingestuften Rechtsextremen nimmt seit Jahren zu. Stephan E., der rechtsradikale Tatverdächtige im Mordfall Lübcke, war übrigens nicht darunter.
Wenn etwas am Mordfall Walter Lübcke dem Phänomen rechter Gewalt in Deutschland eine neue Facette hinzufügt, dann dies: Hier soll ein Deutscher aus rassistischen Motiven einen Deutschen getötet haben – einen Politiker und Spitzenbeamten, der sich bei seiner Arbeit von Humanität und christlichen Werten leiten ließ. Handelt es sich um einen Einzeltäter oder steckt hinter dem Mord ein rechtes Netzwerk? Diese Frage wird nun heiß diskutiert. Deren Beantwortung ist zweifellos wichtig für die Sicherheitsbehörden, Politik und Gesellschaft. Aber: Kein Mensch ist eine Insel. Taten spiegeln ein gesellschaftliche Klima wider. Wie etliche andere tauschte sich der Tatverdächtige Stephan E. im Internet mit Gleichgesinnten aus, konsumierte
und verbreitete hetzerische Inhalte. Die virtuelle Welt, in der er sich bewegte, ist geprägt von Hass und Zerstörungswut. Menschen, die auf der Suche nach Legitimation für Gewalt sind, werden hier fündig.
Und nein: Diese Art der Radikalisierung im Netz ist keine plausible Reaktion auf die Asylpolitik der Bundesregierung. Gewiss lässt sich über diese streiten. Ein Mordaufruf ist aber kein Debattenbeitrag, sondern eine Straftat.
Der Fall Walter Lübcke wirft ein Schlaglicht auf die Kommunal- und Lokalpolitiker dieses Landes; auf die Herausforderungen und eben auch auf die Gefahren, denen sie als Repräsentanten von Staat und Politik vor Ort ausgesetzt sind. Bürgernähe ist Voraussetzung für gute Politik. In einem zunehmend aufgeheizten gesellschaftlichen Klima aber macht Bürgernähe Politiker verwundbar. Die Mandatsträger vor Ort dienen oft als Sündenböcke für das, was „die da in Berlin“beschließen. Im Unterschied zu Innenministern oder Mitgliedern der Bundesregierung stehen sie aber nicht unter ständigem Polizeischutz.
Nur knapp entging Henriette Reker 2015 kurz vor ihrer Wahl zur Kölner Oberbürgermeisterin dem Tod durch das Messer eines Rechtsradikalen. Zwei Jahre später überlebte Andreas Hollstein, Bürgermeister von Altena, den Angriff eines Rassisten. Nicht nur, aber vor allem im Osten Deutschlands ziehen sich Bürgermeister zurück, weil sie von rechts bedrängt werden.
Die Ermordung Lübckes dürfte es noch schwerer als ohnehin schon machen, Menschen für kommunalpolitische Aufgaben zu gewinnen. Auf sie aber ist die Demokratie angewiesen. Kommunalpolitiker, die oft unter Entbehrungen Staat und Gesellschaft am Laufen halten, haben die Wertschätzung der Bundespolitik, aber auch der Bürger verdient. Sie haben Solidarität nötig.
Der Mordfall Walter Lübcke zeigt, wie brüchig der gesellschaftliche Frieden in Deutschland ist. Wie eine Verrohung des Denkens und der Sprache in die Mitte der Gesellschaft einsickert. Demokraten dürfen diese schleichende Enthemmung nicht achzelzuckend hinnehmen. Auf ihren Widerspruch kommt es jetzt an. Im Internet, aber auch in der Schule, auf der Arbeit, bei Familientreffen.