Ein Leben ohne Auto? Kann ich mir nicht vorstellen!
Immer wieder bauen Senioren schwere Unfälle. Doch ab wann ist man zu alt fürs Fahren? Unser Gast-Autor (69) macht sich darüber Gedanken, ob er seinen Lappen abgeben würde
Ich werde im nächsten Jahr 70. Mit 18 Jahren habe ich meinen Führerschein gemacht. Im ersten Anlauf. Für Pkw und Motorrad, damals für die Klassen 1 und 3. Seit über 50 Jahren fahre ich also Auto. Und ich fahre noch immer gern. Aber fahre ich auch gut? Wann stellt sich mir die Frage: Alter, geht’s noch?
Es war kürzlich auf der A 7 während einer Fahrt nach Kiel. Neben mir als Beifahrer mein Sohn Elias (27). Plötzlich schreit er mich an: „Papa, wie fährst du denn?!“Ich war wohl zu weit nach links geraten, ein uns überholender Autofahrer zeigte mir den Vogel. Ging aber noch mal gut. Und doch geht mir der Ausruf meines Sohnes nicht aus dem Sinn. Ja, wie fahre ich eigentlich? Und wie lange geht das noch gut? Darüber denke ich inzwischen öfter nach. Immerhin bin ich allein im vergangenen Jahr fast 25 000 Kilometer gefahren. Aber ich muss zugeben, dass es öfter als früher diese Fälle gibt: Nix passiert, andere haben aufgepasst …
Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt: Auch ich habe aufgepasst und mehrfach einen Unfall verhindert. Zuletzt auf der Autobahn nach Berlin vor einer Baustelle. Da sehe ich im Rückspiegel, dass mich kurz vor der Fahrbahnverengung noch ein Golf rasant überholen will. Ich bremse stark ab und ermögliche dem Mann, noch in letzter Sekunde vor mir einzuscheren. Wer weiß, was sonst passiert wäre …
„Wenn man altert, wird man nicht weise, sondern nur vorsichtig“, soll Ernest Hemingway mal gesagt haben. Da gebe ich ihm – zumindest als Autofahrer – recht.
Ich fahre inzwischen sehr viel vorsichtiger. Aber werde ich auch die Weisheit haben, den Wagen irgendwann stehen zu lassen? Für immer?
Ich muss da an meinen Vater denken. Der setzte sich noch mit weit über 80 ans Steuer. Die Folge: Mal rammte er ein Garagentor, mal stieß er eine Mülltonne um, dann verfuhr er sich in seinem Heimatort. Was also tun? Ich habe bei der Polizei nachgefragt. „Nicht zwingen, überzeugen!“, riet mir der nette Beamte. Und erzählte mir die Geschichte eines Mannes, der den Autoschlüssel seines alten Vaters sogar versteckt hatte. Doch der fand den Schlüssel, setzte sich in sein geliebtes Auto, fuhr auf die Autobahn, baute einen Unfall – und wurde dabei getötet. Mit dieser tragischen Geschichte habe ich dann meinen Vater überzeugt. Er gab mir die Schlüssel und wir verkauften seinen alten Ford. Seinen uralten Führerschein verwahre ich noch heute.
Und was mache ich, wenn ich so alt bin? Wenn ich nicht nur mal etwas zu weit links fahre, sondern auch Garagentore ramme oder Mülleimer demoliere? Wenn mein Sohn sich um mich und andere sorgt? Werde ich dann die Einsicht – und auch den Mut – haben, endgültig auszusteigen?
Noch ist es ja nicht so weit. Mein alter Volvo, Baujahr 2002, hat inzwischen mehr als 480 000 Kilometer auf dem Buckel und so manche Schramme. Die 500 000 wird er wohl noch packen – sagt mein Mechaniker. Und wie lange schaff ’ ich das noch?
Mit 80 Jahren – so der allgemeine Rat – soll
Sollte man mich mit 75 zum Test rufen – ich wäre dabei. Joachim Ortmann (69)
ten die meisten endgültig aufs Autofahren verzichten. Vor allem Reaktions- und Sehvermögen lassen dann nach, auch körperliche Behinderungen nehmen zu. Schluss mit 80? Dann habe ich ja nur noch gut zehn Jahre!!
Ganz ehrlich: Sollte ich so alt werden, halbwegs gesund und körperlich fit bleiben, kann ich mir ein Leben ohne Auto nicht vorstellen. Aber genau in dieser Haltung liegt nach Meinung von Verkehrsexperten und Medizinern die Krux: Vielen Senioren, so Siegfried Brockmann, Unfallexperte der Versicherungsunternehmen, fehle die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. Sie überschätzen oft ihr fahrerisches Können, unterschätzen die Gefahr, der sie sich und andere aussetzen.
Sollte es deshalb eine zeitliche Begrenzung für den Führerschein geben? Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist strikt dagegen. Freie Fahrt auch für Senioren – und wenn sie nur mit Mühe und Krückstock ins Auto kommen.
Ich wäre für eine Begrenzung. So wie es in vielen anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Dänemark oder Italien, bereits üblich ist. Sollte man mich mit 75 zum Test rufen – ich wäre dabei. Doch den wird es bei uns wohl nicht geben.
Aber da ist ja noch eine andere Möglichkeit zur Überprüfung der eigenen Fahrtüchtigkeit: ab zum Fahrfitness-Check, Probefahrten mit erfahrenen Experten! Keine Angst: Durchfallen kann man da nicht, und auch der Führerschein bleibt ungeachtet des Test-Ergebnisses erhalten. Aber möglicherweise hilft es ja dabei, die eigenen Fähigkeiten besser einzuschätzen.
Noch mal zurück zur Fahrt nach Kiel. Wir waren auf dem Weg zur Kieler Förde. Da liegt mein Katamaran. Ein „Dart“, mit dem ich seit mehr als 30 Jahren segele. Es sollte für mich und Elias der erste Törn in der neuen Saison werden. Doch es herrschte starker Wind. Ich stand am Strand und überlegte: Schaff ’ ich das? Und wenn wir kentern sollten, bekommen wir das Boot wieder aufgerichtet? Ist das nicht zu gefährlich?
Wir haben es dann gelassen. Und meinem Sohn habe ich gesagt, dass es für mich wohl endgültig vorbei ist mit dem sportlichen Segeln. Dieses Eingeständnis tat weh. Aber zumindest hatte ich den Mut, die Angst vor der Gefahr zuzugeben. Und dafür gab es ein Lob von Elias.
Nur ungern denke ich daran, dass auch beim Autofahren einmal der Tag kommen wird, an dem ich feststellen muss: Es geht nicht mehr. Dass die Gefahr größer als der (Fahr-)Spaß ist. Dann wird mich wohl Elias chauffieren müssen. Und mir bleibt zumindest die Frage erspart: „Papa, wie fährst du denn?!“