Kampf gegen Koks-Kartelle – Schnee von gestern?
Oberstaatsanwältin sieht „wenig Interesse“an Ermittlungen gegen die Mafia
OLIVIER DAVID Noch nie war so viel Koks im Umlauf wie dieser Tage. Das Geschäft mit dem Rauschgift brummt. „Die großen Organisationsstrukturen könnte man natürlich tiefer ermitteln, aber daran gibt es offenbar wenig Interesse in der Politik.“Dieser Satz sorgte für reichlich Wirbel. Die Aussage gleicht einer Bankrotterklärung – zumal sie von berufener Seite kommt: Staatsanwältin Stefanie Diettrich. Kann die Drogenmafia schalten und walten, wie sie will?
Für viel Aufsehen sorgte ein „Zeit“-Artikel, der sich mit Hamburgs Kokain-Szene beschäftigt. Dort heißt es: Bis zu 1,6 Kilogramm würden in Hamburg konsumiert – und zwar täglich!
Die Hamburger Staatsanwältin Stefanie Diettrich hat zu der Thematik ihre eigene These: Die Juristin meint, es gebe „wenig Interesse“an der Ermittlung großer Organisationsstrukturen. Doch Versäumnisse sieht sie in erster Linie aufseiten der Politik, nicht bei Polizei und Staatsanwaltschaft.
Zehn Staatsanwälte befassen sich in Hamburg mit den Fällen, die die sogenannte „Frontdeal“Einheit der Polizei ermittelt. Sprich: Junkies, Kleindealer, Straßenkriminalität. Dabei machen diese nur einen Bruchteil der festgesetzten Drogen aus. Dem gegenüber stehen vier Staatsanwälte, die sich auf die „großen Fische“spezialisiert haben.
Warum liegt der Fokus der Drogenfahnder auf der „öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität“statt auf den Hintermännern? Genauere Angaben – Fehlanzeige. Auf Nachfrage bestätigt Oberstaatsanwältin Nana Frombach zwar das Zitat der Staatsanwältin, ein Gespräch mit Frau Diettrich könne aber „aufgrund ihrer derzeitigen Arbeitsbelastung nicht vermittelt werden“. Auch „konkrete Gespräche zur Personalaufstockung zwischen Staatsanwaltschaft und Justizbehörde“, von der die „Zeit“erfuhr, bestätigt Frombach nicht. Nachfrage bei der Justizbehörde. Offenbar sind sich die Behörden in der Frage, ob es Gespräche gibt, uneins: „Es erfolgt derzeit eine Klärung erforderlicher Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft“, heißt es von einer Justiz-Sprecherin. Priorität habe die Stärkung der Staatsanwaltschaft durch gezielten bedarfsgerechten Einsatz von Ressourcen. Klingt, als würde das Problem angegangen. Ob den Gesprächen auch Taten folgen, werden die Großdealer der Drogenkartelle vielleicht bald am eigenen Leib erfahren – oder eben nicht. Dass Staatsanwälte von den Fällen der SoKo „Frontdeal“für die Jagd nach den Großdealern abgezogen werden, ist unwahrscheinlich. Als zu erfolgreich gilt die Einheit in Polizei und Politik, bestätigt Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDG) gegenüber der MOPO. „Keine Dienststelle dürfte derzeit mehr Menschen ins Gefängnis bringen als die SoKo ,Frontdeal‘.“
Der Druck aus der Politik, sichtbare Fahndungserfolge zu präsentieren, ist hoch. Über die Kriminalstatistik wird in vielen Fällen bewertet, wie erfolgreich Politiker und die Polizeiführung ist. Da ist ein Großverfahren, an dem Dutzende Beamte teilweise über Jahre arbeiten, natürlich nur ein Strich in der Statistik.
Die SoKo „Frontdeal“agiert erfolgreicher – zumindest auf den ersten Blick. Jan Reinecke meint jedoch: „Man bekämpft nicht die Ursachen, sondern lediglich das Symptom. Also die sichtbaren Straßendealer.“Solange hier kein Umdenken stattfindet, wird der Kampf gegen die großen Drogen-Kartelle von der Politik wohl weiter vernachlässigt werden.
Man bekämpft nicht die Ursachen, sondern das Symptom.