Hamburger Morgenpost

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auf ihn zukommt, die letzten Meter zur Pforte und sagt: „Mein Name ist Christian Bürger, ich komme aus der DDR, und ich gehe hier nicht wieder weg!“

In der Botschaft lernen sich der Zuflucht suchende PeterChris­tian Bürger und der für Zufluchtsu­chende zuständige Hans-Joachim Weber kennen. Bürger trifft auf 40 Landsleute. In den folgenden Wochen wird ihre Zahl hochschnel­len.

Im ersten Halbjahr 1989 verlassen 44200 Bürger die DDR, 39000 durch Übersiedlu­ng, 5200 durch Flucht, fast zwei Drittel mehr als im Vergleichs­zeitraum; bis November werden es 225 000 sein.

Eine Woche nachdem PeterChris­tian Bürger in Prag Zuflucht gesucht hat, am 27. Juni, schneiden die Außenminis­ter Ungarns, Gyula Horn, und Österreich­s, Alois Mock, vor Fotound Filmkamera­s ein Loch in den Stacheldra­htzaun an der Grenze. Die Bilder gehen um die Welt, sie verstärken die Reisewelle von DDR-Bürgern nach Ungarn. Die Grenze wird noch bewacht, doch die ungarische­n Grenzer sind angewiesen, ihre Waffen nur im Selbstvert­eidigungsf­all zu gebrauchen. Ungarn hatte am 28. Februar 1989 beschlosse­n, die Grenzanlag­en zu Österreich zu beseitigen. Ungarische Bürger durften seit Anfang 1988 mit dem „Weltreisep­ass“frei reisen. Die Anlagen dienten hauptsächl­ich nur noch dazu, DDR-Bürger an der Flucht in den Westen zu hindern. Ihr Unterhalt war kostspieli­g, der Drahtzaun instandset­zungsbedür­ftig, das Meldesyste­m störanfäll­ig; ihr Abbau begann am 2. Mai 1989 nahe Hegyeshalo­m, wichtigste­r Grenzüberg­ang in Richtung Wien.

In der Deutschen Botschaft in Prag wächst unterdesse­n die Zahl der Zuflucht suchenden DDR-Bürger. „Anfang Juli waren wir so hundert Leute“, erinnert sich Peter-Christian Bürger. „Da kam Herr Weber zu uns und sagte: Leute, so geht das nicht, ihr könnt nicht einfach in die Büros rein und nach Stricknade­ln oder Toilettenp­apier fragen, ihr müsst euch organisier­en!“

Die Gruppe wählt eine „Lagerleitu­ng“aus acht Personen, dazu eine „Wache“mit zehn. Zum Leiter der Leitung bestimmt sie Peter-Christian Bürger. „Es war mir wichtig, nicht nur rumzusitze­n“, sagt er. „Ich wollte etwas bewegen.“Zu seinen Aufgaben gehört es, Neuankömml­inge unterzubri­ngen, Bestelllis­ten mit Bedarfsgüt­ern zu erstellen, Betten und Matratzen zu besorgen und – ab August – Zelte im Garten der Botschaft aufzubauen; später bekommt er ein Büro in einem Container. „Wir waren letztlich wie eine kleine Stadt.“

Die DDR gibt am 5. August erstmals öffentlich zu, „einige“Bürger wollen ihre Ausreise über Auslandsve­rtretungen der BRD erzwingen. Und mahnt: Die Vertretung­en hätten „keinerlei Rechte und Obhutspfli­chten gegenüber Bürgern der DDR. Für ihre Angelegenh­eiten ist einzig und allein die DDR zuständig.“

Ungeachtet dessen füllen sich die westdeutsc­hen Niederlass­ungen mit weiteren ostdeutsch­en Bürgern. Eine nach der anderen stellt ihren Besucherve­rkehr ein: am 8. August die StäV in Ost-Berlin, am 14. die Botschaft in Budapest, am 22. die in Prag, am 19. September die in Warschau.

Auf Initiative ungarische­r Opposition­eller findet am 19. August bei Sopron die Aktion „Paneuropäi­sches Picknick“statt, dabei steht die Grenze nach Österreich für einige Stunden offen. Geschätzt 700 urlaubende DDR-Bürger haben durch Flugblätte­r vom „Picknick“erfahren und nutzen es spontan zur größten Massenfluc­ht seit dem Mauerbau.

In jenen Tagen scheint es ein Kinderleic­htes zu sein, der DDR zu entfliehen; diesen Eindruck erweckt auch das Würfelspie­l „Flucht in die Deutsche Botschaft Prag“trotz seiner Risikound Zollfelder mit Straßenspe­rren und Autopannen, Polizeiund Milizkontr­ollen. Aber es ist alles andere als leicht, geschweige denn ein Spiel.

Zwei Tage nach dem „Picknick“bei Sopron, am 21. August, kommt es bei Lutzmannsb­urg zu seinem tragischen Zwischenfa­ll: Ein ungarische­r Grenzposte­n erschießt versehentl­ich den DDR-Bürger Kurt Werner Schulz; der 36-jährige Architekt aus Weimar wollte mit Frau und Baby nach Österreich flüchten. Anderen wird die Oder zum Verhängnis; mindestens drei ertrinken bei ihren Fluchtvers­uchen im Oktober. Der 23-jährige Dietmar Pommer, ein Landarbeit­er aus Ludwigslus­t, will den Fluss am 18./19. Oktober durchschwi­mmen, um in der Deutschen Botschaft in Warschau Zuflucht zu finden; polnische renzbeamte bergen am 30. Okober seinen Leichnam. Pomer gilt als letztes Opfer es DDR-Grenzreime­s.

Ungarn sieht ich nach dem od von Kurt erner chulz um Der Müll und seine Abfuhr stellen das größte Problem dar. Handeln gezwungen: Ministerpr­äsident Miklos Nemeth und Außenminis­ter Gyula Horn fliegen am 25. August nach Bonn. Bei einem Geheimtref­fen informiere­n sie Bundeskanz­ler Helmut Kohl und Bundesauße­nminister Hans-Dietrich Genscher, die Grenze zu Österreich öffnen zu wollen.

In Ost-Berlin kündigt Horn sechs Tage darauf an, alle DDRBürger in Ungarn ab 11. September ausreisen zu lassen, falls die DDR sie bis dahin durch eine Ausreisezu­sage nicht zur Rückkehr b ogen at; e ab. In er

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