Loblied auf die Ratlosigkeit
Politiker können es sich nicht leisten, ratlos zu sein. Weil es wie Schwäche wirkt. Und weil das Wahlvolk einen Anspruch darauf hat, „geführt“, also regiert zu werden. Und so werden uns nach den für die Volksparteien so desaströs verlaufenen Wahlen jede Menge Erklärungen verkauft. Obwohl sie in Wahrheit alle ratlos sind. Wobei es Situationen gibt, in denen man sich Ratlosigkeit eingestehen sollte. Denn ein Viertel der sächsischen und brandenburgischen Wähler scheint bereit zu sein, ein System aufzugeben, das uns jahrzehntelang Wohlstand, Freiheit, Frieden sicherte. Sie vertrauen einer Partei, deren dürftige Botschaften sich gegen Mitbürger richten, die bestehende Gräben vertieft, die auf Abgrenzung, Nationalismus, Egoismus setzt. Viele ihrer Politiker hatten Gastspiele in Nazi-Kameradschaften. Und es gibt kein Land der Welt – von Italien über Österreich bis in die USA – wo sich die „nationalistische Medizin“letztendlich nicht als gesellschaftliches Gift entpuppt hat. Dennoch haben die Nationalisten Zulauf. Ist das kein Grund, ratlos zu sein?