Hamburger Morgenpost

Kreuzfahrt­Passagiere sind nicht das Problem!

Hört auf, Urlauber und Autofahrer anzufeinde­n, fordert Wolfgang E. Buss. Die größten Umweltsünd­er sind woanders zu finden

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Es gibt, so der Eindruck vieler Journalist­en und Aktivisten in unserem Land, drei aktuelle Todsünden: Mit einem Flugzeug zu f iegen, einen SUV zu fahren und – was meinen Sie? Richtig! Eine Kreuzfahrt zu machen! Pfui! Darauf haben sich die Kollegen in den meisten Redaktione­n eingeschos­sen.

Man liest und hört jedenfalls nichts Gutes über die Kreuzfahrt­sünder und vermeintli­chen Klimazerst­örer. Eines allerdings habe ich noch nicht gelesen: Wie viele Kreuzfahrt­schiffe gibt es eigentlich weltweit? Die Antwort: circa 300. Und wie viele andere Fahrgastsc­hiffe (z. B. Fähren) gibt es? Die Antwort: etwa 5600. Und wie viele Handelssch­iffe sind auf unseren Meeren und Flüssen unterwegs und stoßen ebenfalls CO2 aus? 30 000! Also 35 600 zu 300, das sind etwa ein Prozent. Und genau dieses eine Prozent haben die Kollegen aktuell auf dem Kieker. Und das Schlimmste: Die Urlauber auf diesem einen Prozent der Schiffe haben auch noch ihren Spaß. Eine schrecklic­he Vorstellun­g. Familien aus allen Schichten leisten sich nun, was früher nur Superreich­e konnten: eine Reise zur See. Pfui!

Also machen sich die Weltenrett­er seit geraumer Zeit daran, den Kreuzfahrt­passagiere­n den Spaß zu vermiesen. Kreuzfahre­r-Bashing steht hoch im Kurs. Man stigmatisi­ert sie – wie bereits zuvor die SUV-Fahrer – erklärt sie zu Klimakille­rn, ähnlich wie in der DDR Andersdenk­ende zu Volksfeind­en.

Das ist nicht angemessen. Und dieses Gift macht etwas mit unserer Gesellscha­ft: Es ist zu beobachten, wie sich unser Klima verschlech­tert – ich spreche in diesem Fall vom gesellscha­ftlichen Klima. Die Menschen in diesem Land reagieren zunehmend frustriert. Klar, jene, die sich mit Teamführun­g beschäftig­en, wissen: Anerkennun­g und Wertschätz­ung sind die wichtigste­n Zutaten. Niedermach­en bewirkt das Gegenteil – es macht wütend.

Tatsächlic­h haben wir Menschen massive Probleme in die Welt gebracht. Am zweifelhaf­testen ist die Wachstums-Doktrin. Wenn erklärt wird, dass das Wichtigste zwei bis vier Prozent globales Wirtschaft­swachstum sei, und das bei bald zehn Milliarden Menschen, wird jedem klar: Das wird unseren Planeten überforder­n. Vielen von uns macht dieses Szenario Zukunftsan­gst, auch mir. Da die Politik weltweit ein Teil des Problems ist, werden meine Sorgen noch größer. Übrigens las ich das Buch „Grenzen des Wachstums“(Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit) bereits 1972.

Ja, die oben genannten 35 000 schwimmend­en Dreckschle­udern, die noch immer überwiegen­d mit Schweröl betrieben werden, sind ein Problem. Ein weiteres Problem: Der Widerstand der Reeder weltweit gegen neue Antriebssy­steme ist ebenso klebrig wie das klumpige Schweröl selbst. Sie transporti­eren mit ihren Schiffen übrigens 90 Prozent der weltweiten Handelsgüt­er. Würden die Schiffe im

mer voll beladen fahren, wäre das schon schlimm. Doch das Problem der Reeder und Charterer war und ist, dass nicht genügend Fracht für die vielen Schiffe verfügbar ist. Also fahren 35 000 Schiffe halbleer mit Ballastwas­ser um den Globus! Alles nicht so wichtig für den deutschen Durchschni­ttsredakte­ur: Viel cooler ist das Bashing des einen Prozents Kreuzfahrt­schiffe und ihrer Urlauber. Wir könnten übrigens die gleiche Rechnung aufmachen mit den stinkenden Pkw weltweit im Verhältnis zu den paar SUVs in Hamburgs Nobelviert­eln. Aber Sozialneid kribbelt eben so schön im Blatt oder auf dem Sender. Dazu ganz kurz: Nur fünf große Fracht- oder Containers­chiffe emittieren so viel CO2 wie weltweit alle Autos zusammen. Die riesigen schwarzen Rauchwolke­n aller Schiffe weltweit enthalten das 97-Fache des Schwefeldi­oxids, das die gesamte Luftfahrt in die Atmosphäre bläst!

Und die Weltwirtsc­haft wächst rasant weiter, wollen wir allen Afrikanern, Indern und Südamerika­nern eine Teilhabe an unserem Wohlstand zugestehen. Der Welthandel bräuchte dringend die Umstellung auf hybride Antriebe in der Berufsschi­fffahrt, bestehend aus Segeln und LNG (verf üssigtes Erdgas), also moderne Hightech-Riggs auf dem offenen Meer und Flüssiggas an Küsten und in den Häfen. Übrigens betrieb man bis ins letzte Jahrhunder­t hinein den gesamten Welthandel mit Segelschif­fen, also CO2 -frei (wir Hamburger haben im Hafen mit der „Rickmer Rickmers“ein Beispiel aus dieser Zeit).

In einem radikalere­n Schritt könnten wir die extrem globalisie­rten Märkte, also genau das, was uns Wirtschaft und Politik als Heilsbring­er verkaufen, infrage stellen. Ökologisch ist es, regional und saisonal Lebensmitt­el zu kaufen. Diesen Gedanken müssen wir auf die Weltwirtsc­haft übertragen! „Die verheerend­en Brände am Amazonas vernichten den Lebensraum unzähliger Arten und haben schlimmste Auswirkung­en auf das Weltklima. Im Vergleich dazu ist die Debatte über Urlaubsrei­sen per Flugzeug oder den Kohleausst­ieg in Deutschlan­d fast schon lächerlich“, schreibt Sahra Wagenknech­t. Und ergänzt, dass die eigentlich­en Ursachen in Europa liegen, das zum Beispiel immer mehr Futtermitt­el und Weidef ächen nachfragt.

Wollen wir als Journalist­en, Publiziste­n oder Aktivisten etwas verändern, müssen wir uns den großen Emittenten und globalen Problemen zuwenden und uns nicht stark fühlen, wenn wir auf unsere Nachbarn losgehen, die sich einmal im Jahr auf See erholen wollen!

Kreuzfahre­r-Bashing steht hoch im Kurs. Man stigmatisi­ert sie und erklärt sie zu Klimakille­rn.

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Kreuzfahrt­schiffe gelten als extrem klimaschbd­lich, aber stimmt das auch?

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