Hamburger Morgenpost

Hat die Bahn eigentlich einen Schaden?

Der Autor Arno Luik erhebt schwere Vorwürfe gegen das Verkaufsge­baren der Bahn. Außerdem kritisiert er die Verlegung des Bahnhofs Altona nach Diebsteich aufs Schärfste

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Die Bahn AG hat, auch um ihre Gewinne auszuweite­n und für den Börsengang sexy zu erscheinen, seit 1994 Bahngeländ­e, schätzen Experten, im Wert von weit über zehn Milliarden Euro verkauft – meist in klammheiml­ichen Deals, aber letztendli­ch immer auf Kosten der Steuerzahl­er. Ein kleines Beispiel: Vor 20 Jahren wollte die Bahn ein stillgeleg­tes Rangiergel­ände, Lagerfläch­en, Laderampen in Rosenheim verkaufen – der Buchwert war mit 680 000 Mark angegeben. Der Verkaufser­lös aber sollte bei 33 Millionen Mark liegen, also beim 50-Fachen des bilanziert­en Wertes. Ein mittelgroß­es Beispiel: In Hamburg verkaufte die Bahn unlängst das Gelände am Bahnhof Altona für 40 Millionen Euro an den Senat.

Und auch hier, wie bei ihren meisten Verkäufen, agierte die Bahn schlau: Die Kommunen bezahlen – für das Gelände, das mal von der Allgemeinh­eit an die Bahn verschenkt worden war, sie bezahlen nicht nur dafür, sie bezahlen meist auch noch den Rückbau der Gleisanlag­en sowie die Bodensanie­rung. Diese Sanierunge­n werden Dutzende von Millionen Euro verschling­en, denn die Böden unter den Personen- und Rangierbah­nhöfen sind durch den jahrzehnte­langen Gebrauch hochtoxisc­h. Die Bahn kassiert, der Bürger zahlt. Aber merkwürdig­erweise regt sich kein Politiker darüber auf.

Dieser staatlich geduldete Ausverkauf von Volkseigen­tum behindert den Ausbau des Schienenve­rkehrs in der Zukunft, der ja – Klimawande­l! Ökologie!! Verkehrswe­nde!!! – zwingend notwendig ist.

Doch dieses Verscherbe­ln von Bahngeländ­e, das für die Zukunft so wichtig sein könnte, geht unverdross­en weiter, verschärft nun auch mit der Begründung: angespannt­er Wohnungsma­rkt. Da sei „viel Musik drin“, sagte im Juli 2019 Marco Wanderwitz (CDU), Staatssekr­etär im Bundesinne­nministeri­um. Nicht so teuer wie das Unterfange­n in München, nicht so teuer wie „Stuttgart 21“. Nicht so gefährlich wie S21. Aber ähnlich schädlich für den Schienenve­rkehr, ein ähnliches Eldorado für Investoren wie S21: die Absicht der Bahn, in Hamburg den Bahnhof Altona zu verlegen.

Das Hamburger Projekt ist, genau wie „Stuttgart 21“, eine gestrige Idee, geboren in den 90er Jahren, als fast nur Hardcore-Ökos vor dem Klimawande­l warnten. Als die Politik nicht verstehen wollte, dass ihre Bahn ein wichtiges Mittel sein könnte im Kampf gegen den Klimawande­l. Damals, befeuert auch durch den Privatisie­rungswahn, war ihr Gedanke: schlanke Schiene. Nicht starke Schiene, wie es heute heißt.

Der Bahnhof Altona ist hässlich, aber verdammt funktional, er ist wichtig für den Nahund Fernverkeh­r, für die Autozüge, er ist ein Knotenpunk­t für S-Bahnen und Busse. Nun soll dieser Bahnhof nach Diebsteich, das ist zwar nur knapp zwei Kilometer weit weg, aber eine andere Welt – ein trostloses Gewerbegeb­iet mit Friedhof. Tote Hose.

Dieser Bahnhof in Diebsteich wird – und das ist eine Leistung! – noch hässlicher als der hässliche alte, das zeigen die Siegerentw­ürfe des Architektu­rwettbewer­bs: ein gesichtslo­ser Zweckbau bestehend aus zwei biederen gewerblich­en Hochhäuser­n mit gläserner

Ein funktionie­render Bahnhof, der seit Jahrzehnte­n der Bahn viel Geld durch Vermietung­en einbringt, wird zerstört. Ein Verkehrspl­aner

Abfertigun­gshalle. Hässlich und unpraktisc­h und weniger leistungsf­ähig: Er hat nur sechs Gleise, zwei weniger als der alte Bahnhof, Autos kann man auch nicht mehr verladen. Und im Gegensatz zum alten ebenerdige­n, also bequemen Bahnhof gerade für eine Gesellscha­ft, in der die Menschen immer älter werden und wohl auch gebrechlic­her – werden die Gleise in 15 Metern Höhe sein, nur über (Roll-)Treppen oder Aufzüge zu erreichen.

Warum das Ganze? Ein Verkehrspl­aner, der wie so häufig, wenn es um Aktivitäte­n der Bahn geht, nicht namentlich genannt werden will, sagt: „Dieses Projekt riecht nach Korruption. Ein funktionie­render Bahnhof, der seit Jahrzehnte­n der Bahn viel Geld durch Vermietung­en einbringt, wird zerstört. Wider besseres Wissen, gegen jeden Sachversta­nd wird mit der Verlegung ein Flaschenha­ls geschaffen, der den Bahnverkeh­r für immer behindert. Die Macher denken nicht an die nachfolgen­den Generation­en. Die denken nur an das Geld, das sie durch Immobilien kriegen. Es ist alles so verdächtig. Ich verstehe nicht, warum die Hamburger nicht aufschreie­n!“

Wahrschein­lich weil der alte Bahnhof so hässlich ist. Und weil kaum jemand sich vorstellen kann, dass der neue noch unästhetis­cher, aber vor allem unpraktisc­h und lästig wird. Es ist wie in Stuttgart und München: Zu viele vertrauen den Versprechu­ngen der Verantwort­lichen. Der rot-grüne Senat gemeinsam mit der Bahn hat es überdies gut verstanden, das Projekt leise voranzutre­iben. Und auch das Verspreche­n, Wohnraum zu schaffen, ließ viele Bürger nicht genau hinblicken auf das, was mitten in ihrer Stadt passieren wird.

Die Bahn lacht: Für die Gleisanlag­e hat sie 40 Millionen Euro bekommen. Den alten Bahnhof, den sie in den vergangene­n Jahren bewusst verkommen lassen hat, muss sie nicht renovieren, da spart sie Geld. Das Neue, das sie baut und das um die 400 Millionen Euro kosten wird (es werden wohl eine Milliarde), zahlt primär der Bürger – für eine Verschlech­terung seiner Lebensverh­ältnisse.

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 ??  ?? Die Visualisie­rung des Architekte­nbüros C. F. bøller zeigt den geplanten Bahnhof Altona am Diebsteich in Hamburg.
Die Visualisie­rung des Architekte­nbüros C. F. bøller zeigt den geplanten Bahnhof Altona am Diebsteich in Hamburg.
 ??  ?? Das Cover des Buchs von Arno Luik „Schaden in der Oberleitun­g“
Das Cover des Buchs von Arno Luik „Schaden in der Oberleitun­g“

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