Egoismus verschärft die Wohnungsnot
In Hamburg verhindern Bürger Hand in Hand mit Behörden, dass Häuser gebaut werden – damit ihre private Wohn-Idylle erhalten bleibt
In Zeiten erdrückender Wohnungsnot und steigender Mieten wird der Ruf nach neuem Wohnraum immer lauter. Doch die Praxis zeigt oft: Wer Wohnraum schaffen möchte, wird von Anwohnern und Politik bekämpft. Wohnungen zu verhindern, lässt sich die Stadt Hamburg dabei einiges kosten.
Die Wohnungsnot hat Deutschland fest im Griff. Es vergeht geht kein Tag, an dem nicht der verheerende Mangel an Neubauprojekten thematisiert wird. Doch großen Bauprojekten mit Hunderten von Wohnungen schlägt im ganzen Land Widerstand und Ablehnung entgegen. Ganze Stadtviertel schließen sich zusammen, um gegen diese Projekte und die dahinterstehenden „bösen“Investoren mobilzumachen. Kein Wunder also, dass die Bundesregierung von ihrem Ziel, jährlich rund 375000 neue Wohnungen in Deutschland zu bauen, Lichtjahre entfernt ist. Allerdings lässt sich die Wut gegen solche Großbauprojekte, die das Gesicht ganzer Stadtviertel stark verändern können, durchaus nachvollziehen.
Okay, Großprojekte sollen es also nicht sein. Wohnraum kann auch mitten in der Stadt, in den schon vorhandenen, gewachsenen Strukturen geschaffen werden. Das nennt sich dann Nachverdichtung – hier werden zum Beispiel kleine alte Häuser durch größere neue ersetzt. Hört sich doch gut an? Genau das haben sich ein guter Freund und ich eben auch gedacht. Leider sehen das manche Anwohner und offenbar auch die Hamburger Politik anders.
Weil wir unser Erspartes sinnvoll und nachhaltig verwenden wollten, haben wir Anfang 2018 ein Grundstück mit einem alten abbruchreifen Einfamilienhaus im Hamburger Nordosten gekauft. Eigentlich wollten wir auf dem Grundstück, wo zuletzt eine nette ältere Dame gelebt hatte, sechs Wohnungen für insgesamt drei Seniorenpärchen und drei Familien errichten. Die Finanzierungskonditionen waren günstig, sodass wir faire Mieten im mittleren Preissegment hätten verlangen können. Leider wurde unser Plan von den Nachbarn sowie Teilen der Lokalpolitik und den zuständigen Behörden zunichtegemacht.
Unser Architekt hat das geplante Haus den geltenden Vorgaben entsprechend geplant. Das Bauamt wollte dann immer wieder neue Pläne, weitere Unterlagen. Und dann waren auf einmal auch noch auf mysteriöse Weise Dokumente verschwunden.
Durch diese Verzögerungstaktik hat sich der Antragsprozess monatelang hingezogen. Ganz zufällig wurde dann, genau am Tag vor der Entscheidung über unseren Antrag, eine Veränderungssperre erlassen. Diese Sperre gibt der Stadt nun Zeit, die Vorgaben für Bauvorhaben in diesem Gebiet zu verändern. Solange die Sperre gilt, darf in dem Gebiet praktisch nur das gebaut werden, was dort schon vorhanden ist – also Einzelund Doppelhäuser. Unser Bauantrag wurde dann auch direkt am nächsten Tag abgelehnt.
Aber warum stellt sich das Bauamt in diesem Fall quer, wenn doch von allen Seiten neuer Wohnraum verlangt wird? Weil es den Anwohnern im Gebiet schlicht darum geht, den Status quo und die damit verbundenen Privilegien zu konservieren. Alles soll so bleiben, wie es ist. Am besten sollen auf den großen Grundstücken in diesem Stadtteil, die gerne über 1000 Quadratmeter messen, weiterhin klassische Einfamilienhäuser stehen, in denen dann einzelne Familien ihr Glück in den eigenen vier
Wänden finden können.
Ist ja auch eine schöne Vorstellung, so ein Einfamilienhaus mit riesigem Garten zu besitzen, mit genug Abstand zum nächsten Nachbarn, damit keiner beim Sonnenbad oder Frühstück auf der Terrasse am Sonntagmorgen stört.
Das Problem ist nur: So schön dieser Traum auch sein mag, es geht in der Realität für viele Menschen in Hamburg um ganz andere, existenzielle Dinge. Es geht darum, dass Familien ihr angestammtes Umfeld verlassen müssen, weil sie sich die Miete schlicht nicht mehr leisten können.
Diese Wunschvorstellung vom Eigenheim lässt die Politik sich einiges kosten. In unserem Fall wird die Stadt Hamburg am Ende einen sechsstelligen Betrag ausgegeben haben, um neue Wohnungen für sechs Familien zu verhindern. Der Betrag setzt sich zusammen aus gesetzlich geregelten Entschädigungszahlungen sowie aus unzähligen Arbeitsstunden der Mitarbeiter der Stadt und des Gerichts, die sich mit dem nun folgenden Rechtsstreit auseinandersetzen werden. Ausgang offen.
Manche Anwohner und auch die Politik im Hamburger Nordosten setzen ihre Prioritäten eben anders. Angeblich geht es darum, die Grundstückspreise nicht in die Höhe schießen zu lassen und etwas gegen „böse“Investoren zu tun. Damit eine „normale“Familie es sich noch leisten kann, sich jenen Traum vom Einfamilienhaus zu erfüllen. Deshalb hat die Politik dort beschlossen, die Nachverdichtung radikal einzuschränken. Die Begründung: „Wir müssen den Stadtteil vor Veränderungen bewahren.“
Dass mit dieser Entscheidung Tausende, vielleicht sogar Zehntausende von Quadratmetern Wohnfläche, die eigentlich möglich gewesen wären, auf einmal in der Luft verpuffen, daran hat bei diesen Plänen wohl keiner so richtig gedacht.
Denn keine Veränderung, also Beibehaltung des Status quo, bedeutet, weniger Wohnungen für die Menschen, die sie dringend brauchen. Es bedeutet auch, dass die Preise für Wohnraum in Hamburg insgesamt weiter steigen werden, denn wo weniger Wohnraum auf mehr Nachfrage trifft, bedeutet das noch teurere Preise. In Zeiten, in denen über einen Mietendeckel auch in Hamburg diskutiert wird, sehr traurig.
Wir als kleine Investoren fühlen uns ziemlich alleingelassen. Denn die großen Bauvorhaben bekommen Unterstützung aus der Politik und den Interessensverbänden. Was vergessen wird: Mehr als die Hälfte aller Vermieter in Deutschland sind Privatpersonen und eben keine großen Wohnungsgesellschaften. Aber genau für diese kleinen Vermieter und Bauherren, die nicht von reiner Profitgier getrieben sind, finden sich kaum Fürsprecher.
Wohnen ist in der Tat die neue soziale Frage. Und wie bei allen sozialen Fragen ist nicht nur die Politik in der Bringschuld, sondern auch die Bevölkerung. Doch genau Letztere stellt sich oftmals und vielerorts quer. Dieses Querstellen führt leider dazu, dass andere, die gerne Wohnraum schaffen wollen, es allzu oft erst gar nicht versuchen, weil die Hürden zu groß erscheinen.
Solange einige Menschen nicht bereit sind, Veränderung zum Wohle anderer zuzulassen, so lange wird der Wohnungsmangel eine unserer größten Herausforderungen bleiben.