Glück muss man haben
Innsbruck ist ein Paradies für Kletterer – in der Halle, am Fels, am Berg. Ein Selbstversuch
Und dann kracht es mitten in der Felswand, jemand schreit: „Stein!“, ich klammere mich so platt an die Wand, wie es geht, und denke noch: Wird das hier gut ausgehen?
Es begann harmlos in Innsbruck. Direkt unterm Goldenen Dachl steht eine Bühne. Dort singt ein TrachtenChor das Andreas-HoferLied – mehr Tirol geht nicht. Aber Innsbruck kann auch anders, die Tiroler Landeshauptstadt vermarktet sich als „Climbers’ City“. Rund um die Stadt kann man klettern, an hohen Bergen, in Sportklettergebieten und im neuen Kletterzentrum Innsbruck. Reini Scherer (52), hager mit grauen Strubbelhaaren, Erstbegeher von Dschungelfieber, einer sauschweren (XI-)Kletterroute in der Martinswand, Steilwandskifahrer, hat zehn Jahre für diese Halle gekämpft.
Drinnen sieht es aus, als hätte jemand Riesen-Smarties an die Wand geklatscht, 50000 bunte Griffe für 400000 Euro wurden installiert, jede Woche werden neue Boulder geschraubt. Das heißt, die Griffe werden abmontiert und in neuen Kombinationen wieder angebracht. Hier starten nun junge Tirolerinnen und Tiroler ihre Kletterkarriere, was nicht heißt, dass man sie je an der Martinswand oder in der Ehnbachklamm sehen wird. „80 Prozent bleiben in der Halle, gehen gar nicht an den Fels,“sagt Scherer. In der Halle trifft sich die Szene aus der ganzen Welt, was wiederum Kletterer anzieht, zum Promigucken.
So kann man hier die Österreicherin Anna Stöhr treffen, zweifache Weltmeisterin und vierfache Weltcupsiegerin im Bouldern. Sie sagt: „Klar klettere ich auch draußen, dann weiß man wieder, warum man überhaupt klettert.“
Also stehen wir bald im Klettergarten Walchenbach, dort hat wiederum Angy Eiter (32) angefangen. Eiter, viermalige Weltmeisterin im Lead-Klettern, bindet sich ins Seil ein. Als erste Frau überhaupt kletterte sie 2017 in Andalusien eine Route im französischen Schwierigkeitsgrad 9b, die weltweit auch nur eine Handvoll Männer knacken konnte. Angy Eiter ist 1,54 Meter groß.
„Ich bin klein, ja, aber ich bin auch wendig“, sagt die Tirolerin. Da müsse sie eben ihre Stärken in die Wand bringen. „Das ist ja das Tolle an diesem Sport. Es ist schon lässig, wenn man an seine Grenzen stößt.“In Walchenbach überziehen die Sportkletterrouten senkrechte, schwarz und hellbeige geäderte Kalkwände in einem Wäldchen bei Imst. Wer Schweres knacken will, wird hier fündig, aber für weniger Sportliche wie mich finden sich hier auch Touren an griffigem Fels.
Sportkletterer treffen sich auch in der Ehnbachklamm, lotrechte Wände entlang eines Baches, ein
Paradies für Sportkletterer – auch weil man in Badeschlappen hinschlurfen kann. Zwei Tiroler Haudegen des Sportkletterns, Jakob Oberhauser, ein gedrungenes Muskelpaket, und Robert Thaler, die langen Haare zu einem dünnen Zopf gebunden, beide 47, waren oft dort. Sie haben rund um Innsbruck zahlreiche sauschwere Routen eröffnet, die Namen tragen von Bob-Marley-Songs wie „Buffalo Soldiers“, da kann man sich denken, dass das eine Weile her ist.
Von Bohrhaken, die bombenfest halten, war damals noch nicht die Rede. „Die Dübel waren aus Messing und die Haken aus Stahl, das korrodierte in einem Jahr“, erinnert sich Oberhauser. Heute durchlaufen die Kletterer Kurse, in der Halle sei alles „super safe“. Das Klettern finde heute wie das ganze Leben in einem behüteten, geregelten Umfeld statt, sagt Oberhauser. Von manchen Touren müsse er im Nachhinein sagen, „das bin ich nicht geklettert, das habe ich überlebt“.
Wie gefährlich ist Klettern, und wie gefährlich darf es sein? Und wie gefährlich darf das Leben sein? Beim Abendessen entspinnt sich darüber eine Diskussion. Spitzensportler werden beobachtet, man sieht ihre Videos im Netz, sind sie Vorbilder, gar Helden? Angy Eiter sagt: „Im Wettkampf war ich die erste Österreicherin, da war ich Vorreiterin, sicher auch Vorbild.“Aber was, wenn Videos Nachahmer anstacheln, die Gefahren weniger gut einschätzen können? Etwa bei „free solo“, also bei Klettertouren ganz ohne Seil, bei denen jeder Fehler zum Tod führt. Eiter stellt die Gegenfrage: „Darf jemand das, was er so gerne macht, jetzt nicht mehr machen, weil man ihm dabei zuschaut?“
Klettern in der Halle und am Felsen, schön und gut, nun will ich aber an den Berg, es erscheint mir eine logische Steigerung. Wir steigen gemeinsam mit Bergführer Martin Gstrein eineinhalb Stunden Richtung Muttekopfhütte bei Imst auf. Wir wollen am Engelkarturm den Engelpfeiler gehen, eine 5+. Gstrein, Unterlippenbärtchen, brustgroßes Tattoo, eine Zahnlücke seit dem letzten Eisklettern, rät gleich am Einstieg zum Helm. Vier Männer sind schon über uns eingestiegen, sie sind aus Bayern.
Schon in der ersten Seillänge bröseln kleine Steine von oben herunter. Martin steigt vor, ich steige nach, und einmal habe ich an einer gar nicht so leichten Stelle plötzlich den Griff in der Hand, an dem ich mich festhalten wollte. Das Gestein ist wirklich etwas schütter hier.
Es kracht, ich höre Rufe. „Stein!“Ich klammere mich so platt an den Fels, wie es geht. Hinter mir rumpelt etwas Großes vorbei, Steine prasseln auf den Helm, viel Zeit zum Denken ist nicht, mir rauscht etwas durch den Kopf wie: oh shit, oh shit, da ruft Martin von oben: „Barbara, alles gut?“Ja! Ich zittere, reiß mich zusammen und klettere bis zu ihm.
Martin wurde am Arm erwischt, es sind nur Kratzer. Die Seilschaft über uns hat eine Felsplatte aus der Wand gerissen. Wie wir später an einer hellen Stelle in der Wand sehen werden, hat sich wohl der Nachsteiger an einer Steinplatte von der Größe eines Couchtisches festgehalten, die nur an der Wand auflag. Und die rumste zu Tal, an Martin vorbei, weil er zum Glück einen Schritt weiter rechts stand. Und über mich hinweg, weil sich der Fels über mir etwas herauswölbte.
Da hatte ich also mein Recht auf Risiko. Wir klettern weiter, und es wird noch ein schöner Klettertag. „Du wolltest doch was Alpines“, sagt Gstrein später. Wir waren zur rechten Zeit am rechten Ort. Oder wie der Bergführer beim Radler auf der Latschenhütte sagen wird: „An Fetten muaßt a amol hobn im Leben.“Und „fett viel Glück“hatten wir wahrlich.
Infos: www.climbers-paradise.com