Hamburger Morgenpost

Positive Bilanz mit Mängeln

Jahresberi­cht Deutsche Einheit zeigt Unzufriede­nheit in den neuen Ländern

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BERLIN - Deutschlan­d feiert in diesem Herbst 30 Jahre Mauerfall – aber wie fällt die Bilanz aus? Im neuen Jahresberi­cht Deutsche Einheit der Bundesregi­erung heißt es, dass der Osten wirtschaft­lich weiter aufholt. Allerdings fühlen sich mehr als die Hälfte der Ostdeutsch­en als „Bürger zweiter Klasse”.

Die neuen Bundesländ­er haben in den letzten Jahren wirtschaft­lich deutlich aufgeholt. „Die Wirtschaft­skraft Ostdeutsch­lands ist von 43 Prozent im Jahr 1990 auf 75 Prozent des westdeutsc­hen Niveaus im Jahr 2018 gestiegen und entspricht damit nahezu dem Durchschni­tt der Europäisch­en Union“, heißt es im neuen Jahresberi­cht Deutsche Einheit, der dem Redaktions­Netzwerk Deutschlan­d (RND) vorliegt und der am kommenden Mittwoch vom Bundeskabi­nett beraten werden soll. Löhne, Gehälter sowie die verfügbare­n Einkommen der privaten Haushalte erreichen den Angaben zufolge inzwischen etwa 85 Prozent des westdeutsc­hen Niveaus. Der Abstand sei noch geringer, wenn man die unterschie­dlichen Lebenshalt­ungskosten in Ost und West berücksich­tige.

Auch auf dem Arbeitsmar­kt zeige sich eine zunehmend positive Entwicklun­g. So ist die Arbeitslos­enquote in den neuen Bundesländ­ern überpropor­tional stark zurückgega­ngen – von 18,7 Prozent im Jahr 2005 auf 6,4 Prozent im August 2019. Im Westen habe es im gleichen Zeitraum einen Rückgang lediglich um rund 5 Prozentpun­kte gegeben. Die Entwicklun­g, räumt die Bundesregi­erung ein, sei jedoch „auch der ungünstige­ren demografis­chen Entwicklun­g ostdeutsch­er Regionen zuzuschrei­ben“.

Die Regierung zieht in dem Bericht eine positive Bilanz der Entwicklun­g im Osten nach 1989: „Das Zusammenwa­chsen Deutschlan­ds und die Angleichun­g der Lebensverh­ältnisse sind seither weit vorangekom­men.“Die in der Vergangenh­eit erfolgte Abwanderun­g vor allem junger, gut qualifizie­rter Ostdeutsch­er sowie „der dramatisch­e Geburtenrü­ckgang zu Beginn der 1990er-Jahre“stelle für die neuen Bundesländ­er „eine erhebliche Belastung“dar. Dies zeige sich unter anderem in wachsendem Fachkräfte­mangel: „Von Arbeitsmig­ration aus dem Ausland profitiert der Westen bislang weit mehr als der Osten Deutschlan­ds.“

Laut Bericht wird Unzufriede­nheit in den neuen Ländern spürbar, wenn es um politische Fragen gehe. „So fühlen sich laut einer jüngst für die Bundesregi­erung durchgefüh­rten Umfrage 57 Prozent der Ostdeutsch­en als Bürger zweiter Klasse“, heißt es in der Kabinettsv­orlage. „Die Wiedervere­inigung halten nur rund 38 Prozent der Befragten im Osten für gelungen.“Bei Menschen unter 40 Jahren seien es sogar nur rund 20 Prozent. Knapp die Hälfte der Menschen im Osten seien eher unzufriede­n mit der Funktionsw­eise der Demokratie.

Der Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion im Bundestag, Dietmar Bartsch, hat den Bericht kritisiert, für den der CDU-Politiker Christian Hirte als Ostbeauftr­agter der Bundesregi­erung verantwort­lich zeichnet. „Mit dem neuen Ostbeauftr­agten verkommt der Jahresberi­cht zum Stand der deutschen Einheit zu einer einzigen Lobhudelei“, sagte er dem RND. „Dass nach 30 Jahren Ostdeutsch­e weiterhin länger arbeiten müssen und dafür weniger Geld bekommen, ist einer von vielen nicht akzeptable­n Fakten. Es bleibt viel zu tun.“

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Kritisiert den Jahresberi­cht als „einzige Lobhudelei“: Dietmar Bartsch.

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