Hamburger Morgenpost

Mordfall Lübcke: Spur führt nach Pinneberg

Der Verdacht: Tatwaffe kam aus Norddeutsc­hland

- Von JÖRG KÖPKE

Im Fall des ermordeten Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke führt eine neue Spur nach Norddeutsc­hland. Die Bundesanwa­ltschaft hat aus Schleswig-Holstein Akten zum mutmaßlich­en Mörder Stephan Ernst angeforder­t, wie das Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND) aus Ermittlerk­reisen erfuhr.

Nach RND-Informatio­nen untersucht die oberste deutsche Anklagebeh­örde, ob die Tatwaffe, ein Revolver des brasiliani­schen Hersteller­s „Rossi“, Kaliber .38 Special, ursprüngli­ch von der rechtsextr­emen Terrorgrup­pe „Combat 18 Pinneberg“stammte.

Die Ermittlung­en konzentrie­ren sich auf zwei aktenkundi­ge Vorgänge. Am 5. April 2003 nahm Ernst an einer Demonstrat­ion gegen eine Wehrmachts­ausstellun­g in Neumünster teil. Dort kam es zu gewalttäti­gen Ausschreit­ungen. Ernst wurde wegen Körperverl­etzung und Beleidigun­g zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte eine Frau am Hals gepackt und weggeschle­udert und war bereits wegen eines 1993 verübten Bombenansc­hlags auf eine Flüchtling­sunterkunf­t im südhessisc­hen Hohenstein-Steckenrot­h vorbestraf­t.

Organisier­t wurde die Demonstrat­ion in Neumünster vom damaligen NPD-Landeschef, Waffenhänd­ler und „Combat 18 Pinneberg“-Mitglied Peter B.

Am 28. Oktober 2003 durchsucht­e die Polizei mit 300 Beamten des Staatsschu­tzes etwa 50 Wohnungen und Treffpunkt­e der rechten Gruppe „Combat 18 Pinneberg“in Schleswig-Holstein und Hamburg. Der Verdacht: Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g, Waffenhand­el, Vertrieb illegaler CDs und Schutzgeld­erpressung.

Im Zuge der Razzien stellten die Fahnder ein Kassenbuch, eine „Anti-Antifa-Liste“mit Namen, Lichtbilde­rn und Adressen politische­r Gegner sowie sechs Waffen sicher, neben einer Pumpgun und einer Schrotflin­te vier „Rossi“-Revolver – baugleich mit der Mordwaffe aus Kassel. Unklar ist, ob sämtliche „Rossi“-Revolver der militanten Gruppe damals aufgespürt werden konnten.

Zu den fünf Hauptverdä­chtigen zählte Peter B. Dem RND bestätigte B. jetzt auf Anfrage, die Demonstrat­ion in Neumünster 2003 angemeldet und geleitet zu haben. Stephan Ernst sei ihm persönlich nicht bekannt. Den Namen habe er erstmals am 17. Juni 2019 kurz nach dem Mord an Lübcke erfahren. „Ob ich ihm auf einer der vielen Veranstalt­ungen damals begegnet bin, vermag ich nicht auszuschli­eßen. Persönlich­er Kontakt oder Kommunikat­ion schließe ich aber aus“, sagte B. Genau das wird zurzeit geprüft.

Als sicher gilt, dass beide einen gemeinsame­n Bekannten haben, den Bad Segeberger Neonazi Bernd T., mit dem Peter B. nach eigenen Angaben zwischen 1994 und 1996 in Neumünster eine Jugendstra­fe verbüßte. T. lebte bis vor wenigen Wochen wie der mutmaßlich­e LübckeMörd­er Ernst in Nordhessen. Beide werden der dortigen rechten Szene im Umfeld von „Combat 18“zugerechne­t. T. zog erst kürzlich wieder nach Bad Segeberg zurück. Peter B. will seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm haben.

Peter B. sagte, er habe 2004 im Zuge eines Deals vor Gericht „einen Schwung Waffen auf meine Kappe nehmen“müssen, „ohne dass ich sie je gesehen, respektive diese angekauft oder weiterverm­ittelt hätte“. Er könne nicht beurteilen, wohin diese Waffen verkauft worden sein könnten. „Wie viele Revolver ich damals besessen habe, müsste ich schätzen.“Er glaube jedoch, „mit einiger Sicherheit“ sagen zu können, „dass alle Revolver aus meinem Konvolut durch die Landespoli­zei sichergest­ellt werden konnten“. Um welche Marken es sich bei den Revolvern gehandelt habe, wisse er nicht mehr.

Der Anwalt von Peter B., Philipp Marquort, sagte dem RND, er halte es für möglich, dass einige der Waffen damals vergraben worden seien.

Stephan Ernst hatte in einem überrasche­nden, mittlerwei­le widerrufen­en Geständnis offengeleg­t, dass er über zahlreiche Waffen verfügt – neben der Tatwaffe auch über eine Pumpgun und eine Maschinenp­istole vom Typ Uzi samt Munition. Er nannte Details, wie er sich diese angeblich über zwei Verkäufer beschafft habe und offenbarte Verstecke. Das Gros der insgesamt 46 beschlagna­hmten Waffen fanden Ermittler in einem Erdloch auf dem Gelände seines Arbeitgebe­rs. Die Tatwaffe will Ernst 2016 gekauft haben.

Der Verdacht: Stammte die Tatwaffe von der Terrorgrup­pe „Combat 18 Pinneberg?“

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