Hamburger Morgenpost

SS-Mann (93) aus Hamburg vor Gericht

Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen

- Von BERNHARD SPRENGEL

Wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen muss sich ein ehemaliger SS-Wachmann ab Donnerstag vor dem Landgerich­t verantwort­en. Über ihn urteilen muss die Jugendstra­f ammer. Das klingt bizarr angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte 93 Jahre alt ist. Aber der Hamburger Bruno D. war erst 17 bzw. 18, als er von August 1944 bis April 1945 Dienst als Wachmann im Konzentrat­ionslager Stutthof bei Danzig tat.

Laut Staatsanwa­ltschaft hat D. „die heimtückis­che und grausame Tötung insbesonde­re jüdischer Häftlinge unterstütz­t“. Im KZ Stutthof und seinen Nebenlager­n sowie auf den sogenannte­n Todesmärsc­hen zu Kriegsende starben rund 65000 Menschen. Während der Wachtätigk­eit des Angeklagte­n sei es zur systematis­chen Tötung von Lagerinsas­sen gekommen. „Häftlinge wurden überwiegen­d durch Genickschu­ss im Krematoriu­m des Lagers oder durch Verabreich­ung von Zyklon B getötet“, so die Staatsanwa­ltschaft.

Zu den Aufgaben des Angeklagte­n habe gehört, Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern. Er habe als „Rädchen der Mordmaschi­nerie“dazu beigetrage­n, dass der Tötungsbef­ehl der Staatsführ­ung des Dritten Reiches umgesetzt werden konnte.

Nach Angaben eines Gerichtssp­rechers wird jeder Prozesstag nicht länger als zwei Stunden dauern, weil der Angeklagte gesundheit­lich angeschlag­en ist. Es sind bis zum 17. Dezember zwölf Verhandlun­gstage vorgesehen. Mehr als ein Dutzend Überlebend­e des KZs treten als Nebenkläge­r auf. Als Sachverstä­ndige sollen ein Historiker und ein Jugendpsyc­hiater befragt werden. Anfang April hatte das Landgerich­t Münster einen Prozess gegen einen anderen ehemaligen SS-Wachmann des Konzentrat­ionslagers Stutthof eingestell­t: Ein medizinisc­her Gutachter hatte den 95-Jährigen für verhandlun­gsunfähig erklärt.

Die Staatsanwa­ltschaft von Itzehoe ermittelt zurzeit gegen eine 94-jährige ehemalige Schreibkra­ft in Stutthof wegen Verdachts der Beihilfe zum Mord.

In das Lager waren unmittelba­r nach Kriegsbegi­nn polnische Zivilisten gebracht worden. Ab 1942 folgten nach Angaben des Museums Stutthof Transporte aus den übrigen von Deutschlan­d besetzten Gebieten. Im Juni 1944 wurde Stutthof Teil der sogenannte­n Endlösung. Die SS brachte vor allem jüdische Frauen aus den Arbeitslag­ern im Baltikum und aus Auschwitz nach Stutthof. Die Haftbeding­ungen waren beinahe so schlimm wie in einem Vernichtun­gslager. Die Gefangenen starben an Krankheite­n und Misshandlu­ngen, aber auch durch Erschießen, Erhängen, Vergasen und tödliche Phenolspri­tzen ins Herz.

Nach dem Krieg wurden 70 Mitglieder der Wachmannsc­haften und sogenannte Kapos vor polnische Gerichte gestellt. 21 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt und hingericht­et, 47 zu teilweise langen Haftstrafe­n verurteilt und zwei freigespro­chen. Der erste Kommandant des Lagers, Max Pauly (er war später KZ-Kommandant von Neuengamme), wurde 1946 von einem britischen Militärger­icht zum Tode verurteilt und hingericht­et. In Deutschlan­d wurden zwischen 1950 und 1964 drei Stutthof-Prozesse in Hamburg, Bochum und Tübingen geführt, die mit fünf Verurteilu­ngen zu mehrjährig­en Haftstrafe­n und zwei Freisprüch­en endeten.

Nach Recherchen des NDR-Magazins „Panorama 3“laufen in Deutschlan­d noch 29 Strafverfa­hren gegen mutmaßlich­e Nazi-Verbrecher. Die Ermittlung­en richteten sich gegen insgesamt 50 namentlich bekannte Beschuldig­te. Darunter seien auch Frauen. Vor allem KZ-Wachleute seien in den Fokus der Ermittlung­en geraten.

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 ??  ?? 65 000 Menschen starben im KZ Stutthof – darunter die Eltern von Judy Meisel: Vater Osser Beker und Mutter Mika Beker starben in der Gaskammer von Stutthof. Das Eingangsto­r des KZs Stutthof: Heute befindet sich hier eine Gedenkstät­te. Verbrennun­gsofen im Krematoriu­m: Hier wurden die Leichen zu Asche verbrannt.
65 000 Menschen starben im KZ Stutthof – darunter die Eltern von Judy Meisel: Vater Osser Beker und Mutter Mika Beker starben in der Gaskammer von Stutthof. Das Eingangsto­r des KZs Stutthof: Heute befindet sich hier eine Gedenkstät­te. Verbrennun­gsofen im Krematoriu­m: Hier wurden die Leichen zu Asche verbrannt.
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Im ehemaligen KZ Stutthof bei Danzig herrschten furchtbare Zustände – so schlimm wie in einem Vernichtun­gslager.

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