Hamburger Morgenpost

Das Alter geht bald so richtig ins Geld

Deutschlan­d benötigt 200 000 neue Pflegekräf­te – und die lassen die Heimkosten steigen

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Der letzte Lebensabsc­hnitt ist oft der teuerste – und er wird noch teurer, denn Pflegebedü­rftige müssen für einen Heimplatz immer mehr aus eigener Tasche bezahlen. Der Anstieg der Eigenantei­le könnte sich jetzt noch beschleuni­gen. Der Grund: Ein neues Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Heime mehr Pflegekräf­te einstellen müssen.

Ohne das Eingreifen der Politik könnten die Eigenantei­le für ein Pflegeheim in den kommenden Jahren schneller steigen als bisher angenommen. Verdi-Vorstandsm­itglied

Sylvia Bühler sagte am Montag, ein bisher von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) unter Verschluss gehaltenes Gutachten komme nach ihren Informatio­nen zu dem Ergebnis, dass die Heime personell chronisch unterbeset­zt seien und die Zahl der Beschäftig­ten um gut 30 Prozent steigen müsse. Das wäre ein Bedarf von 200000 zusätzlich­en Stellen, was rund 10 Milliarden Euro kosten würde. Dazu kommen Mehrausgab­en in Höhe von bis zu 5 Milliarden Euro durch die von der großen Koalition geplante Einführung flächendec­kender Tarifvertr­äge in der

Altenpfleg­e.

Ein Bündnis aus Verdi, Diakonie und Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) forderte Spahn am Montag auf, so schnell wie möglich eine Reform der Pflegevers­icherung auf den Weg zu bringen. Ansonsten gehe die Entwicklun­g zulasten der Pflegebedü­rftigen und der Beschäftig­ten, warnten sie.

AWO-Chef Wolfgang Stadler sprach von einer „Zwickmühle“: Auf der einen Seite müsse es darum gehen, aufgrund des Fachkräfte­mangels den Pflegeberu­f durch eine bessere Personalau­sstattung und höhere Löhne attraktive­r zu machen. Auf der anderen

Seite dürfe es nicht zu einer finanziell­en Überforder­ung der Pflegebedü­rftigen kommen.

Bei der derzeitige­n Konstrukti­on der Pflegevers­icherung als „Teilkaskov­ersicherun­g“gehen höhere Löhne oder andere Mehrausgab­en der Heime voll zulasten der Heimbewohn­er. So stiegen deren Eigenantei­le in den vergangene­n Jahren sehr deutlich. Sie liegen derzeit im bundesdeut­schen Schnitt bei knapp 2000 Euro im Monat.

Verdi, Diakonie und AWO plädieren wie Grüne und Linksparte­i für die Einführung einer Vollversic­herung

in der Pflege. Zudem sollen die privat Versichert­en, also auch die Beamten, in Form einer Bürgervers­icherung einbezogen werden. Nach Berechnung­en des Bremer Pflegewiss­enschaftle­rs Heinz Rothgang müsste der Beitragssa­tz in diesem Modell von jetzt 3,05 Prozent nur marginal angehoben werden. Ohne die Komponente der Bürgervers­icherung würde der Beitragssa­tz für eine Vollversic­herung allerdings um etwa 0,6 Prozentpun­kte steigen.

Spahn will bis Mitte 2020 einen Vorschlag zur Pflegefina­nzierung vorlegen. Demnächst plant das Ministeriu­m dazu landesweit Veranstalt­ungen. Die Bereitscha­ft in der Union, angesichts der schwächeln­den Konjunktur die Beiträge zur Pflegevers­icherung anzuheben und damit die Lohnnebenk­osten steigen zu lassen, gilt jedoch nicht als besonders hoch.

Fortschrit­te gibt es hingegen bei der Frage flächendec­kender Tariflöhne in der Altenpfleg­e. Sowohl VerdiVorst­andsmitgli­ed Bühler als auch AWO-Chef Stadler berichtete­n, ein Abschluss werde noch in diesem Jahr angestrebt.

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