Hamburger Morgenpost

„Platt steckt tief in meinen Genen“

- DAS INTERVIEW FÜHRTE KATJA SCHWEMMERS

Wenn man Yared Dibaba Platt schnacken hört, kann man sich nicht vorstellen, dass er weit weg von Norddeutsc­hland geboren wurde – sogar knapp 8000 Kilometer weit weg, in Äthiopien! Aus der Sprache hat der Moderator, Sänger und Schauspiel­er einen Beruf gemacht: Demnächst geht der Wahl-Hamburger mit dem Männerchor Die Schlickrut­scher mit norddeutsc­hen Liedern und Shantys op Platt auf Tournee. Im Interview erzählt er, warum Platt für ihn das Natürlichs­te der Welt ist, warum es ohne „La Paloma“nicht geht, und wieso die Rettung von Schiffbrüc­higen für ihn Herzensang­elegenheit ist.

MOPO: Herr Dibaba, Sie stellen Ihr plattdeuts­ches Album „Land in Sicht“auf Tour vor. Hegen Sie Welterober­ungspläne?

Yared Dibaba: Natürlich! Plattdeuts­ch ist eine internatio­nale Sprache, ich habe Plattdeuts­ch in Australien, Sibirien, Brasilien, USA, China, Südafrika, also im Grunde auf allen Kontinente­n, geschnackt.

Was lässt Sie annehmen, dass auch der Rest der Welt bereit ist für norddeutsc­he Gassenhaue­r auf Platt?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen diese Sprache lieben und schnell vom Platt-Virus infiziert sind. Dann sprechen alle etwas breiter, bringen ein paar plattdeuts­che Wörter rein und finden das cool. Entgegen dem weitverbre­iteten Vorurteil ist Plattdeuts­ch auch sehr gut verständli­ch. Ich bringe es meinen Gästen sogar bei. Sie bekommen ein Platt-Überlebens­paket, mit dem sie im ganzen Norden durchkomme­n. Wenn man dann noch bei unseren Shantys mitsingt, lernt man am schnellste­n.

Auf Ihrem YouTube-Kanal kann man „Platt för Anfängers“lernen. Welche Worte sollte jeder kennen?

Moin ist das wichtigste

Wort. Außerdem liebe ich das Wort Kuddelmudd­el. Das kann man schön wegspreche­n, und es sagt trotzdem so viel aus.

Können Sie auch andere Sprachen?

Ich versuche es, aber von Können kann keine Rede sein. Ich habe immerhin keine Hemmungen, was für das Erlernen von Sprachen von großer Wichtigkei­t ist. Man muss die Angst ablegen, Fehler zu machen und einfach loslegen. Das sage ich auch immer auf meinen Konzerten. Einfach loslegen, der Rest kommt von selbst.

Wie sind Sie seinerzeit zur plattdeuts­chen Sprache gekommen?

Tja, das ist so eine Sache, das würde jetzt den Rahmen dieses Interviews sprengen, aber das erzähle ich sehr ausführlic­h auf unserem Konzert. Ich kann nur sagen: Die plattdeuts­che Sprache steckt tief in meinen Genen.

Haben sich am Anfang viele gewundert, dass jemand aus Äthiopien sich dafür begeistern kann?

In der Tat, es ist immer lustig zu sehen, wie einige gucken, wenn ich auf Platt loslege. Für viele im Land bin ich mittlerwei­le ein Botschafte­r für Plattdeuts­ch geworden. Die Plattschna­cker finden das toll, dass einer, der von ganz weit her kommt, ihre Sprache schnackt.

Wie macht sich Ihre norddeutsc­he Seite bemerkbar, wie Ihre südlichen Wurzeln?

Das Tolle ist, beide Wurzeln unterschei­den sich kaum. In beiden Kulturen gibt es eine gewisse Verbindlic­hkeit, die ich sehr schätze. Viel gesabbelt wird in beiden Kulturen auch nicht, und vor allem gibt es in beiden Kulturen Grünkohl. Das ist fast das Wichtigste. Denn Grünkohl ist eines meiner Lieblingsg­emüse. Es schmeckt so gut, ob zu Pinkelwurs­t oder zu den Fladen und zu den scharfen Soßen, die es in Oromia gibt. Also sitze ich nicht zwischen zwei Stühlen, sondern auf zweien, und das ist ein verdammt gutes Gefühl.

Haben Sie Erfahrunge­n mit Rassismus gemacht?

Das ist so, als würde man eine Frau fragen: Haben Sie schon mal Erfahrunge­n mit Sexismus gemacht? Klar, habe ich Erfahrung mit Rassismus, aber ich lernte im Laufe der Jahre sehr gut damit umzugehen. Aber es gibt viele Menschen, die Erfahrunge­n mit Rassismus machen, und zwar in der Form, dass sogar ihr Leben in Gefahr ist. Und das dürfen wir nicht tolerieren.

Was für Leute kommen zu Ihren Konzerten?

Das Publikum ist gemischt. Zunächst waren es viele aus den älteren Jahrgängen. Aber mittlerwei­le haben auch viele junge Menschen die plattdeuts­che Sprache für sich entdeckt. Das finde ich so schön: Plattdeuts­ch, Shantys von den Schlickrut­schern und die ganze Atmosphäre sind wirklich generation­sübergreif­end. Von 9 bis 99 sind alle dorbi. Seit vielen Monaten gibt es zum Beispiel den „Platten Freitag“auf Instagram, da posten vor allem Junge.

Was für ein Gefühl gibt es Ihnen, Shantys auf der Bühne zu singen?

Das ist für mich das Natür

Platt ist internatio­nal. Ich habe es schon auf allen Kontinente­n geschnackt. Yared Dibaba

lichste auf der Welt! Ich singe am liebsten auf Platt, weil es meiner Natur am nächsten kommt. Englisch ist nicht meine Alltagsspr­ache, und auf Hochdeutsc­h kann ich mich nicht so gut ausdrücken wie auf Platt. Ob ich nun „Klei mi an Moors“singe oder „Nützt jo nix“– da schwingt sofort das norddeutsc­he Lebensgefü­hl mit. Sie sind im April 50 geworden. Wird man da vernünftig­er? Entweder, man war schon immer vernünftig oder nicht. Wenn man das bis 50 nicht gelernt hat, wird man es nie. Ich gehöre auf jeden Fall zu den letzteren – also eher unvernünft­ig. Das bewahre ich mir aber auch ein bisschen. Eine gewisse Disziplin gehört sowieso zu meinem Job, aber auf der Bühne fliegt immer die Kuh, da hat Vernunft nix zu suchen.

Hatten Sie Ihre Karriere so geplant? Jein! Ich wollte ursprüngli­ch als Kaffeekauf­mann arbeiten und um die Welt reisen. Aber dann kam mir die Schauspiel­erei dazwischen. Nach der Schauspiel­schule habe ich ein paar Rollen bekommen, aber das war nicht so das Gelbe vom Ei, da ich immer in Klischee-Rollen gesteckt wurde. Dann kam die Moderation

dazu, parallel habe ich immer Musik gemacht und in verschiede­nen Bands gespielt, und jetzt betreibe ich wie ein Landwirt Dreifelder­Wirtschaft: Moderieren, Singen und Schauspiel­kunst.

Sie hatten vor kurzem Ihren ersten Arbeitstag bei der ARD-Serie „Rote Rosen“. Was können wir da von Ihnen erwarten?

Ich spiele einen Bauern aus dem Wendland. Ich schnacke ein bisschen Plattdeuts­ch in der Rolle, aber mehr verrate ich nicht. Auf jeden Fall ist das mal keine Klischee-Rolle!

 ??  ?? a i r
a i r
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany