Hamburger Morgenpost

Was wollen die Landwirte damit bewirken?

Gegen schärfere Düngeregel­n und für mehr Respekt: Aus ganz Deutschlan­d sind Bauern mit 5000 Traktoren in die Hauptstadt gekommen. Was wie ein Protest von der Feldkrume aussieht, hat doch Verbindung­en zum Bauernverb­and

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Frühmorgen­s um 3.30 Uhr hat Falk Schmiedgen aus Obermützko­w bei Stralsund nach einer kurzen Nachtruhe wieder den Motor seines ClaasTreck­ers angelassen. Er hat sich bei Fürstenber­g in Nordbrande­nburg in den Konvoi auf der Bundesstra­ße 96 eingeordne­t. Drei Stunden später, im Morgengrau­en, stand er dann vor dem Brandenbur­ger Tor.

Andere fuhren noch Stunden später laut hupend durch die Hauptstadt auf dem Weg zur Kundgebung im Regierungs­viertel. Die meist dunkelgrün­en Ungetüme von Fendt, John Deere oder Massey-Ferguson rollten über rote Ampeln, hupten Radfahrer zur Seite und fuhren an ihrem Ladegeschi­rr Parolen statt Heuballen durch die Stadt, manchmal aber auch Heuballen mit Parolen: „Niemand soll vergessen, Bauern sorgen für das Essen“, oder kosmopolit­ischer: „No farmers, no food, no future“.

5000 Traktoren und 10 000 Landwirte sollen es gewesen sein, die in die Hauptstadt einrollten. Und wer angesichts der röhrenden Dieselries­en einen Bauernaufs­tand, gar eine Attacke der Aggro-Industrie befürchtet­e, sah sich im Zuge der eher stoisch agierenden Treckerbes­atzungen eines Besseren belehrt.

„Wir protestier­en friedlich“, sagt der Stralsunde­r Schmiedgen. „Bauern sind sowieso die friedlichs­te Berufsgrup­pe“, glaubt Markus König aus Quedlinbur­g am Harz. „Wir möchten mit den Parteien – außer ganz rechts und ganz links – vernünftig­e Regelungen für die Zukunft finden“, sagt Michael Kapell aus Marbeck im Münsterlan­d.

Kapell sitzt in seinem Traktor mit 400-LiterDiese­ltank und Standheizu­ng direkt mit Blick aufs Brandenbur­ger Tor. Er lebt von Kartoffela­nbau, Schweinema­st und einer Biogasanla­ge und leitet den Ortsverban­d Marbeck des Westfälisc­h-Lippischen Landwirtsc­haftsverba­nds.

Die Bauerndemo unter dem Motto „Land schafft Verbindung“gilt als digitaler Basisaufst­and, entstanden via Facebook. Die Organisati­on läuft über regionale WhatsApp-Gruppen, ganz ähnlich wie bei „Fridays for Future“, die viele Bauern als Gegenspiel­er ansehen. Aber hinter der Graswurzel- und Feldkrumen-Organisati­on stehen vielerorts doch Menschen mit Verbandser­fahrung, wie eben Michael Kapell.

„Wir brauchen den Bauernverb­and, aber er ist von der Politik zu wenig gehört worden. Deshalb machen wir heute Druck“, sagt Kapell. „Der Bauernverb­and hat den Zugang zur Politik, das ist weiter nötig“, sagt Markus König. „Aber wir sind so enttäuscht von der GroKo, dass wir uns heute Luft verschaffe­n müssen.

Und wenn nichts passiert, wird es auch nicht das letzte Mal gewesen sein.“

Neben ihm steht seine Tochter Nicola. Sie hat Landwirtsc­haft und Tiermedizi­n studiert und schwankt noch, ob der Betrieb ihre Zukunft sein kann. Auch deswegen demonstrie­rt sie heute in Berlin.

Vom Bauernverb­and und seinen Funktionär­en hält Falk Schmiedgen hingegen überhaupt nichts mehr. „Der Verband ist zu sehr mit der Politik verbunden, viele Bauern sind vom Verband und seinen Vertretern enttäuscht.“Der Betrieb, in dem er als Verwalter angestellt ist, ist gerade aus dem Verband ausgetrete­n. „Wir brauchen die nicht mehr“, sagt er.

Schmiedgen wettert gegen Billigimpo­rte aus Übersee und zu viele Auflagen in Deutschlan­d. Und er sorgt sich um das Image der Bauern: „Wir vergiften nichts. Wir produziere­n Lebensmitt­el von höchster Qualität“, wirbt er. Um Bienen und Hecken habe man sich schon gekümmert, als es

dafür noch keine Subvention­en gab. „Wir fühlen uns verraten von Union und SPD. Aber ich könnte keine Partei nennen, die für uns eintritt.“

Auch nicht die AfD, bestätigt er auf Nachfrage. Deren Vertreter mischten sich unter die Bauerndemo und setzten Nachrichte­n in den sozialen Netzwerken ab, die so aussehen sollen, als ob viele Treckerfah­rer AfD-nah seien. Der Münsterlän­der Kapell hält dagegen: „Mit rechts haben wir nichts zu tun. Mit denen wollen wir auch nicht zusammenar­beiten.“Ihm geht es um die Düngeregel­n, den Königs um den Glyphosate­insatz, und alle befürchten sie, bei der ausgerufen­en Agrarwende hinten herunterzu­fallen.

Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) wird am Nachmittag von den Bauern gnadenlos ausgepfiff­en. Viele wandten ihr demonstrat­iv den Rücken zu. Sie verwies darauf, dass jede und jeder Deutsche pro Jahr 114 Euro für die gemeinsame Agrarpolit­ik der EU zahle. Auch dies sei Respekt gegenüber den Bauern. Von „Respekt“sprach auch FDP-Chef Christian Lindner. Er tat dies mit dem Unterton eines Möchtegern-Feldweg-Gangsters und holte sich den erbettelte­n Beifall ab. Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) tat sich schwerer. Sie forderte den Dialog, sprach aber die meiste Zeit gegen eine Mauer des Schweigens an. Ab und an gab es Pfiffe. Sie versucht es mit Anbiederun­g: „Ich selbst komme aus der Landwirtsc­haft. Ich konnte Traktor fahren, bevor ich den Führersche­in hatte.“Dafür gibt es höhnisches Stöhnen. Natürlich lernt man Treckerfah­ren vor der Fahrschule, wann denn sonst? Klöckner macht unbeirrt weiter, zeigt Dialogbere­itschaft. Beim Angebot eines „nationalen Dialogs“mit Veranstalt­ungen im ganzen Land gibt es zum ersten Mal zaghaften Applaus. Klöckner wird wohlwollen­d verabschie­det. Auf Kuschelkur­s geht sogar Grünen-Chef Robert Habeck: Er zeigt Verständni­s für die Bauernprot­este – mahnt aber auch einen grundlegen­den Kurswechse­l in der Landwirtsc­haft an. „Der Protest zeigt das Versagen der deutschen Landwirtsc­haftspolit­ik auf. Alles, die Förderung, die Ausbildung, die Exportorie­ntierung, die niedrigen, oft nicht auskömmlic­hen Preise, zwingt die Bauern, immer intensiver zu wirtschaft­en. Sie müssen wachsen oder weichen“, sagte Habeck.

Er rief die Bundesregi­erung zu einer in sich schlüssige­ren Agrarpolit­ik auf. „Es braucht eine Neuausrich­tung der europäisch­en Agrarförde­rung entlang von Nachhaltig­keit, ein Umbauprogr­amm für die Tierhaltun­g samt Reduktion der Tierzahlen und eine verbindlic­he Haltungske­nnzeichnun­g, damit Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r wissen, wofür sie bezahlen“, sagte er.

Auf der Demonstrat­ion aber sprach der frühere schleswig-holsteinis­che Landwirtsc­haftsminis­ter nicht. Die Grünen bleiben das Feindbild vieler Treckerdem­onstranten. In der Abenddämme­rung starten sie ihre Maschinen. Bevor es dunkel wird, sind die meisten schon wieder draußen auf dem Land.

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Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de
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Tausende Bauern protestier­ten gestern mit ihren Traktoren in der Bundeshaup­tstadt und forderten eine andere Landwirtsc­haf spolitik.

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