Hamburger Morgenpost

Die Superhirne von Wikipedia

MOPO-Besuch bei den Hamburger Machern des Informatio­nsportals, das jeder kennt: Ein Blick hinter die Kulissen

- OLIVIER DAVID Olivier.David@mopo.de

Fast jeder nutzt sie, doch viele geben es nur ungern zu: die Dienste des Informatio­nsportals Wikipedia. Oder, um es mit den Worten eines Wikipedian­ers zu sagen: „Wikipedia ist wie ein Puff. Alle gehen hin, aber keiner gibt es gerne zu.“Doch nur wenigen ist bekannt, dass der Verein „Wikimedia“auch ein Büro in Hamburg unterhält. Dort sitzen Schüler, Rentner und Studenten und sammeln Wissen über Hamburg und die Welt. Die MOPO hat ein Treffen der aktiven Schreiber besucht.

Ein verregnete­r früher Donnerstag­abend Anfang Januar unweit des Michels. Im Erdgeschos­s eines Wohnhauses an der Wincklerst­raße brennt grelles Licht. Ein knappes Dutzend Menschen, hauptsächl­ich Männer älteren Semesters, sitzt um einige zusammenge­schobene Tische. Vor ihnen stehen mehrere Rechner.

Einer der Männer ist Uwe Rohwedder. Rohwedder ist Jahrgang ’71 und trägt graue Jeans, ein kariertes Hemd,

braun-graue Haare, einen Zehntageba­rt. Typ Akademiker.

Während seines Studiums ist Uwe Rohwedder zu Wikipedia gestoßen. Wenn der ehemalige Geschichts­student an seiner Doktorarbe­it saß, hat er „dann Sachen, die ich nicht für meine Doktorarbe­it verwenden konnte, aufgeschri­eben“, erzählt er. Über die Zeit entstanden so Hunderte Artikel. Ging es Rohwedder erst nur um fachspezif­ische Geschichte, kam bald ein anderes Interesse dazu: „sein“Stadtteil Hamm.

So wie Rohwedder geht es einigen der Wikipedian­er, die an diesem Abend ihren Weg zum offenen Treffen gefunden haben. Knapp ein Dutzend Aktive sind da, darunter drei Frauen. Wobei, genauer gesagt, zwei Frauen und eine Jugendlich­e.

Gelegentli­ch gibt es unangenehm­e Anrufe

Die 16 Jahre alte „LEP Hamburg“– so das Pseudonym der Zehntkläss­lerin – schreibt seit Juli 2018 für Wikipedia. „Mein Papa ist seit 2003 dabei und schreibt sehr viel. Ich schaffe es etwa einmal die Woche“, sagt sie. Ihre Themen: Politiker, Musik

– vor allem Countrysän­ger haben es ihr angetan.

Dass unter Pseudonym geschriebe­n wird, ist im „Wikipedia: Kontor“, so die richtige Schreibwei­se, eher Regel als Ausnahme. Reinhard Kraasch schreibt zwar unter seinem richtigen Namen, erklärt aber, wieso viele Autoren ein Pseudonym verwenden. „Gelegentli­ch gibt es unangenehm­e Anrufe“, sagt Kraasch. „Bei der Rechtschre­ibreform zum Beispiel haben sich erboste Gegner der Reform bei mir gemeldet. Ich weiß bis heute nicht, warum ich als deren Gegner auserkoren wurde.“

Rohwedder und die anderen Wikipedian­er freuen sich über den Besuch der MOPO, ihnen geht es um Aufklärung. Das Wissen darüber, wie Wikipedia funktionie­rt, sei nicht sehr groß. „Viele sind erstaunt, dass Wikipedia ein Mitmach-Projekt ist. Manche denken sogar, es gäbe eine Redaktion“, sagt Rohwedder.

Gibt es Ärger wegen des Inhalts eines Artikels – und glaubt man den Wikipedian­ern, kommt das nicht so selten vor –, wollen erboste Anrufer gerne auch mal Rohwedders Chef sprechen. Das Problem: Den gibt es gar nicht. Dass es keinen Chef gibt und alles demokratis­ch abläuft, hat auch seine Schattense­iten. Rohwedder: „Es gibt niemanden, der das Hausrecht ausüben kann.“Das bedeutet, dass Autoren, die mit Falschnach­richten oder Ähnlichem stören, nicht ohne Weiteres gesperrt werden können.

Und wenn doch, dann kommen sie einfach durch die Hintertür wieder hinein: mit einem neuem Account.

Wie viele Brücken gibt es in Hamburg?

Und was sind nun die Projekte mit Hamburg-Bezug? Ach, da gebe es einige, sagt Rohwedder. Das Team beschäftig­e sich mit den Brücken der Hansestadt (Wie viele gibt es überhaupt – diese Frage ist nicht abschließe­nd geklärt), es gebe ein Denkmäler-Projekt. Dazu werden Daten über Hamburger Parks sowie über alle Stolperste­ine der Stadt gesammelt.

Die Gruppe beschäftig­t sich auch mit nicht Hamburg-spezifisch­en Themen wie dem Fotografie­ren von Cocktails, dem Bebildern von Musikinstr­umenten.

Für viele der aktiven Schreiber, die am Donnerstag zum Stammtisch gekommen sind, ist Wikipedia eine lebensfüll­ende Aufgabe. Rohwedder: „Wer sich selbst ein Bild machen will, darf gerne zu unserem offenen Treffen am Donnerstag kommen.“

Und manchmal gibt es auch Zahlen, die zeigen, dass Wikipedia ein Massenmedi­um ist. Als Jan Fedder starb, wurde die WikipediaS­eite des Hamburger Schauspiel­ers 430000 Mal aufgerufen – an einem einzigen Tag.

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Uwe Rohwedder, Jahrgang ’71, sitzt beim offenen Treffen der Wikimedia-Gruppe vor einem Computer.
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Uwe Rohwedder (M.) mit Reinhard Kraasch (r.)undanderen Mitstreite­rn
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 ??  ?? Unweit des Michels liegt das Hamburger Wikipedia-Büro.
Unweit des Michels liegt das Hamburger Wikipedia-Büro.
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