Braune Gefahr bekämpfen wie einst die RAF
Wir brauchen einen starken Staat und schärfere Gesetze. Was wird aus einer Gesellschaft, in der nach und nach die Guten aufgeben, während das Böse triumphiert?
Der Bürgermeister von Kamp-Lintfort am Niederrhein ist kein Heißsporn. Er heißt Christoph Landscheidt, ist 61 Jahre alt, Sozialdemokrat, und kennt sich als langjähriger Richter ganz gut aus mit Recht und Gerechtigkeit in Deutschland. Dieser Mann, das muss man sacken lassen, verlangte in diesen Tagen erstmals nach einer Schusswaffe – aus Angst um sich selbst und seine Familie. Rechtsextreme hatten ihm gedroht. Erst gestern zog Landscheidt seinen Antrag auf den Großen Waffenschein zurück: Nach tagelangen Debatten hatte ihm der NRW-Innenminister endlich Personenschutz zugesagt.
Landauf, landab fühlen Kommunalpolitiker sich bedroht wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Jeden kann es treffen, nicht nur den türkischstämmigen OB von Hannover oder den im Senegal geborenen Bundestagsabgeordneten aus Sachsen-Anhalt. Auch CSU-Leuten wurde schon von Rechtsextremisten ins Ohr geflüstert: „Wir wissen, in welche Kita deine Kinder gehen.“
Es ist Zeit für eine umfassende Nachrüstung. Denn es geht hier nicht um Kleinigkeiten, sondern um eine Herausforderung von historischem Format. Was wird aus einer Gesellschaft, in der nach und nach die Guten aufgeben? In der das Böse triumphiert, weil die anonymen Hasser am Ende mächtiger erscheinen als der Staat? In einer solchen Gesellschaft gibt es kein würdiges Leben mehr, keine Liberalität, nur noch Angst.
Alle politischen Lager müssen sich jetzt einen Ruck geben. Die Konservativen müssen endlich ihren Blick auf die Gefahr von rechts scharfstellen. Es gibt keinen Grund, die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke irgendwie unwichtiger zu finden als die Ermordung von Hanns-Martin Schleyer. Die braune Gefahr von heute muss mit der gleichen Energie und Akribie, auch mit den gleichen Instrumenten bekämpft werden wie seinerzeit die Rote Armee Fraktion.
Linke, Grüne und Liberale wiederum müssen den Gedanken zulassen, dass jetzt, es ist nicht zu ändern, einmal mehr die Stunde des starken Staates schlägt. In vielen Strafrechtsdebatten wurde, teils aus gutem Grund, der Ruf nach Verschärfung von Gesetzen als billiger Reflex abgetan. Im Fall der Bedrohung aber ist eine Verschärfung seit Langem überfällig. Angesichts der neuen Verrohungstendenzen erscheint der Paragraf 241 Strafgesetzbuch in seiner aktuellen Fassung als allzu lasch. Der Tatbestand muss ausgeweitet, der Strafrahmen erhöht werden; entsprechende Referentenentwürfe kursieren schon.
Was in der realen Welt verboten ist, darf der Staat auch im Internet nicht durchgehen lassen.
Zugleich muss im Internet der effektive Durchgriff auf Urheber strafbarer Drohungen sichergestellt werden. Der „techlash“, der große juristische Schlag gegen die globalen Netzwerke, über den auf EU-Ebene seit Langem gesprochen wird, muss im Jahr 2020 tatsächlich kommen. Was in der realen Welt verboten ist, darf der Staat auch im Internet nicht durchgehen lassen.
Die Antworten auf die neue Herausforderung können freilich nicht allein im Rechtspolitischen liegen. Es geht auch um die Kultur des
Umgangs miteinander. Die Guten dürfen jetzt nicht in Deckung gehen, sie müssen sich erheben und Hassdelikte mit neuer Wucht ahnden, auch in den Betrieben, in den Behörden, in den Schulen – mit nachgeschärften Gesetzen im Rücken und mit einer sensibler gewordenen Justiz an ihrer Seite.
Oft geht der Bedrohung eine Beleidigung voraus. Hier muss die Justiz viel beherzter eingreifen, sie darf nicht mehr warten, bis es zu tätlichen Angriffen kommt. Das Fehlurteil des Landgerichts Berlin, das etwa in der Herabwürdigung
der Abgeordneten Renate Künast als „Drecksfotze“keine strafbare Beleidigung sehen mochte, kündet von einer überkommenen Auffassung von Liberalität. Falsch ist es auch, in Fällen von Bedrohungen immer nur Geldstrafen zu verhängen. Wer etwa die Kinder eines politischen Gegners bedroht, gehört in Haft. Solche Signale braucht das Land.
Wer bedroht hier eigentlich wen? Auf diese Frage muss die wehrhafte Demokratie in Deutschland eine neue, unmissverständliche Antwort geben.