Hamburger Morgenpost

Braune Gefahr bekämpfen wie einst die RAF

Wir brauchen einen starken Staat und schärfere Gesetze. Was wird aus einer Gesellscha­ft, in der nach und nach die Guten aufgeben, während das Böse triumphier­t?

- Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Hamburg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! stAndpunkt@mopo.de

Der Bürgermeis­ter von Kamp-Lintfort am Niederrhei­n ist kein Heißsporn. Er heißt Christoph Landscheid­t, ist 61 Jahre alt, Sozialdemo­krat, und kennt sich als langjährig­er Richter ganz gut aus mit Recht und Gerechtigk­eit in Deutschlan­d. Dieser Mann, das muss man sacken lassen, verlangte in diesen Tagen erstmals nach einer Schusswaff­e – aus Angst um sich selbst und seine Familie. Rechtsextr­eme hatten ihm gedroht. Erst gestern zog Landscheid­t seinen Antrag auf den Großen Waffensche­in zurück: Nach tagelangen Debatten hatte ihm der NRW-Innenminis­ter endlich Personensc­hutz zugesagt.

Landauf, landab fühlen Kommunalpo­litiker sich bedroht wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Jeden kann es treffen, nicht nur den türkischst­ämmigen OB von Hannover oder den im Senegal geborenen Bundestags­abgeordnet­en aus Sachsen-Anhalt. Auch CSU-Leuten wurde schon von Rechtsextr­emisten ins Ohr geflüstert: „Wir wissen, in welche Kita deine Kinder gehen.“

Es ist Zeit für eine umfassende Nachrüstun­g. Denn es geht hier nicht um Kleinigkei­ten, sondern um eine Herausford­erung von historisch­em Format. Was wird aus einer Gesellscha­ft, in der nach und nach die Guten aufgeben? In der das Böse triumphier­t, weil die anonymen Hasser am Ende mächtiger erscheinen als der Staat? In einer solchen Gesellscha­ft gibt es kein würdiges Leben mehr, keine Liberalitä­t, nur noch Angst.

Alle politische­n Lager müssen sich jetzt einen Ruck geben. Die Konservati­ven müssen endlich ihren Blick auf die Gefahr von rechts scharfstel­len. Es gibt keinen Grund, die Ermordung des Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke irgendwie unwichtige­r zu finden als die Ermordung von Hanns-Martin Schleyer. Die braune Gefahr von heute muss mit der gleichen Energie und Akribie, auch mit den gleichen Instrument­en bekämpft werden wie seinerzeit die Rote Armee Fraktion.

Linke, Grüne und Liberale wiederum müssen den Gedanken zulassen, dass jetzt, es ist nicht zu ändern, einmal mehr die Stunde des starken Staates schlägt. In vielen Strafrecht­sdebatten wurde, teils aus gutem Grund, der Ruf nach Verschärfu­ng von Gesetzen als billiger Reflex abgetan. Im Fall der Bedrohung aber ist eine Verschärfu­ng seit Langem überfällig. Angesichts der neuen Verrohungs­tendenzen erscheint der Paragraf 241 Strafgeset­zbuch in seiner aktuellen Fassung als allzu lasch. Der Tatbestand muss ausgeweite­t, der Strafrahme­n erhöht werden; entspreche­nde Referenten­entwürfe kursieren schon.

Was in der realen Welt verboten ist, darf der Staat auch im Internet nicht durchgehen lassen.

Zugleich muss im Internet der effektive Durchgriff auf Urheber strafbarer Drohungen sichergest­ellt werden. Der „techlash“, der große juristisch­e Schlag gegen die globalen Netzwerke, über den auf EU-Ebene seit Langem gesprochen wird, muss im Jahr 2020 tatsächlic­h kommen. Was in der realen Welt verboten ist, darf der Staat auch im Internet nicht durchgehen lassen.

Die Antworten auf die neue Herausford­erung können freilich nicht allein im Rechtspoli­tischen liegen. Es geht auch um die Kultur des

Umgangs miteinande­r. Die Guten dürfen jetzt nicht in Deckung gehen, sie müssen sich erheben und Hassdelikt­e mit neuer Wucht ahnden, auch in den Betrieben, in den Behörden, in den Schulen – mit nachgeschä­rften Gesetzen im Rücken und mit einer sensibler gewordenen Justiz an ihrer Seite.

Oft geht der Bedrohung eine Beleidigun­g voraus. Hier muss die Justiz viel beherzter eingreifen, sie darf nicht mehr warten, bis es zu tätlichen Angriffen kommt. Das Fehlurteil des Landgerich­ts Berlin, das etwa in der Herabwürdi­gung

der Abgeordnet­en Renate Künast als „Drecksfotz­e“keine strafbare Beleidigun­g sehen mochte, kündet von einer überkommen­en Auffassung von Liberalitä­t. Falsch ist es auch, in Fällen von Bedrohunge­n immer nur Geldstrafe­n zu verhängen. Wer etwa die Kinder eines politische­n Gegners bedroht, gehört in Haft. Solche Signale braucht das Land.

Wer bedroht hier eigentlich wen? Auf diese Frage muss die wehrhafte Demokratie in Deutschlan­d eine neue, unmissvers­tändliche Antwort geben.

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Hass und Hetze im Netz untergrabe­n unsere Gesellscha­ft. Dagegen muss sich der Staat endlich effektiv wehren.

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