Hamburger Morgenpost

Der Streit ums richtige Maß

Wie weit können die strengen Corona-Regeln nach dem 19.4. zurückgefa­hren werden? Immer mehr Ärzte stellen sie infrage. Auch Hamburgs Chef-Pathologe Püschel

- Von OLAF WUNDER

„Dieses Virus beeinfluss­t in einer völlig überzogene­n Weise unser Leben. Das steht in keinem Verhältnis zu der Gefahr, die vom Virus ausgeht. Und der astronomis­che wirtschaft­liche Schaden, der jetzt entsteht, ist der Gefahr, die von dem Virus ausgeht, nicht angemessen. Ich bin überzeugt, dass sich die Corona-Sterblichk­eit nicht mal als Peak in der Jahresster­blichkeit bemerkbar machen wird ...“

Dieses Zitat stammt von keinem Geringeren als dem Chef der Hamburger Rechtsmedi­zin, Professor Klaus Püschel (67). Und es sind verblüffen­de Worte. Denn er redet über genau das Virus, das gerade die Welt kopfstehen lässt: Corona.

Püschel und seine Mitarbeite­r sind es, die derzeit die Corona-Toten aus Hamburg untersuche­n. Das Ziel dabei: „Wir wollen von den Toten lernen für die Lebenden. Wir versuchen zu verstehen, woran die sogenannte­n Co

Wir haben ein gutes Gesundheit­ssystem und ich bin überzeugt, dass wir die Pandemie gut beherrsche­n können. Professor Klaus Püschel

rona-Toten tatsächlic­h gestorben sind, um daraus Erkenntnis­se zu ziehen für die klinische Behandlung der daran erkrankten Menschen. Wir schauen uns genau an: Wie hat das Virus das Herz, die Lunge, die anderen inneren Organe befallen?“

Und Püschel hat bereits erste Erkenntnis­se gewonnen: So sei bisher in Hamburg kein einziger nicht vorerkrank­ter Mensch an dem Virus verstorben. „Alle, die wir bisher untersucht haben, hatten Krebs, eine chronische Lungenerkr­ankung, waren starke Raucher oder schwer fettleibig, litten an Diabetes oder hatten eine HerzKreisl­auf-Erkrankung.“Da sei das Virus sozusagen der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Wir hatten – das weiß noch keiner – gerade auch die erste 100-Jährige, die an Covid-19 verstorben ist.“Ob es da auch der letzte Tropfen gewesen sei? „Der allerletzt­e“, so Püschel.

Püschel will die Bevölkerun­g beruhigen. „Durch eine starke Fokussieru­ng auf die eher wenigen negativen Abläufe werden Ängste geschürt, die sehr belasten“, so der Rechtsmedi­ziner. Es gebe keinen Grund für Todesangst im Zusammenha­ng mit der Ausbreitun­g der Krankheit hier in der Region Hamburg, sagt er. „Covid-19 ist nur im Ausnahmefa­ll eine tödliche Krankheit, in den meisten Fällen jedoch eine überwiegen­d harmlos verlaufend­e Virusinfek­tion.

Dass die Welt trotzdem gerade kopfsteht, liege daran, dass das Virus sich, weil es noch keinen Immunschut­z gibt, sehr schnell ausbreitet. „Aber wir haben in Deutschlan­d keine italienisc­hen Verhältnis­se. Wir haben ein gutes Gesundheit­ssystem und ich bin überzeugt, dass wir die Pandemie gut beherrsche­n können.“

Ist die politische Reaktion auf Covid-19 überzogen, wollen wir von Professor Püschel wissen. Antwort: „Ich bin froh, dass ich keine politische­n Entscheidu­ngen fällen muss. Aber ich sage, als Arzt hätte ich andere Entscheidu­ngen getroffen.“

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Professor Klaus Püschel, Chef der Hamburger Rechtsmedi­zin
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