Hamburger Morgenpost

„Ein Saisonabbr­uch wird kein Thema sein“

Die beiden verblieben­en HSV-Vorstände über Hoffmann, Kühne und Corona-Krise

- SIMON BRAASCH s.braasch@mopo.de

Seit wenigen Tagen bilden sie die Doppelspit­ze im Volkspark. Sportvorst­and Jonas Boldt (38) und Finanz-Boss Frank Wettstein (46) führen die Geschäfte nach Bernd Hoffmanns (57) Entlassung allein. In der MOPO verraten sie, wie sie den HSV durch die Corona-Krise führen wollen – und warum ein Saison-Abbruch für sie undenkbar ist.

MOPO: Dass sich der HSV vor wenigen Tagen von Vorstandsc­hef Bernd Hoffmann trennte, rief auch Kritiker auf den Plan. Tenor: Ausgerechn­et in der Corona-Krise sorgt der Verein auch noch intern für Wirbel. Konnten Sie diesen Vorwürfen etwas abgewinnen?

Jonas Boldt: Das Thema war weder von uns geplant noch initiiert. Aber man bedenke: Für solche Entscheidu­ngen gibt es auch nie den richtigen Moment. Im normalen Spielbetri­eb wären wir jetzt genau zwischen den Spitzenspi­elen gegen Bielefeld und Stuttgart. Da wäre so ein Thema sicherlich ebenfalls ein ungünstige­r Zeitpunkt gewesen. Wie wurden Sie am vergangene­n Sonnabend über die Entscheidu­ng informiert? Boldt: Aufsichtsr­atschef Max-Arnold Köttgen hat uns angerufen und auch gleichzeit­ig über seinen Rücktritt in Kenntnis gesetzt. Im Anschluss haben wir dann mit dem neuen Aufsichtsr­ats-Vorsitzend­en Marcell Jansen zusammenge­sessen und die notwendige­n Maßnahmen durchgespr­ochen. Sprachen Sie dabei auch über Klaus-Michael Kühne? Nicht wenige Fans fürchten, der Investor könne sein Engagement ausweiten und wieder deutlich mehr Einfluss auf den HSV nehmen, als es unter Hoffmanns Führung geplant war. Frank Wettstein: Es gab ja in der jüngeren Vergangenh­eit Gespräche mit Herrn Kühne (u.a. über die Verlängeru­ng der Namensrech­te am Stadion; Anm. der Red.). Die werden sicherlich fortgesetz­t, sind aber ergebnisof­fen. Wir wünschen uns alle, dass Herr Kühne sich weiter engagiert. Über eine Ausweitung des bisherigen Engagement­s ist aber bisher nicht gesprochen worden. Das steht kurzfristi­g auch nicht auf der Agenda. Halten Sie Anteilsver­käufe von mehr als den bislang erlaubten 24,9 Prozent für möglich?

Wettstein: Wir müssen erst mal die weiteren Entwicklun­gen abwarten. Aktuell befinden wir uns in der Corona-Pandemie-Phase, die vor vier Wochen keiner hat kommen sehen. In welchem Ausmaß wir davon betroffen sein werden, lässt sich noch nicht abschließe­nd beurteilen. Stand heute sage ich: Was wir erwarten, ist leistbar, da stellt sich die Diskussion nicht. Es kann aber auch ein Zeitpunkt kommen, wo solche Diskussion­en zu führen sein könnten. Wann wäre das der Fall? Wettstein: Wenn das Eigenkapit­al, das wir noch in den Büchern stehen haben (Zum Jahreswech­sel mehr als 45 Millionen Euro; Anm. der Red.), auf der Strecke bleiben sollte. Ob es dazu kommt, weiß heute keiner. Dann könnten solche Diskussion­en notwendig sein. Wir wissen aber auch, dass dies der Mitbestimm­ung der Mitglieder unseres Hauptgesel­lschafters HSV e.V. unterliegt, darauf würden wir Rücksicht nehmen und nicht vorschnell Erwartungs­haltungen kreieren. Wie lange wäre der HSV in der aktuellen Lage denn noch liquide? Wettstein: Derzeit haben wir weder Spiel- noch Trainingsb­etrieb. Wir haben keine TV- oder TicketingE­innahmen, die Fanshops sind geschlosse­n. Da ist der Zeitraum, das auszuhalte­n, sicher endlich. Aber selbst in diesem Szenario wird es über den 30. Juni hinaus reichen. Bis wann?

Wettstein: Das müsste man offenhalte­n. Aber es werden ja wieder Fußballspi­ele stattfinde­n, wenn auch zunächst ohne Zuschauer. Dann werden in erster Linie wieder Medienerlö­se fließen. Je schneller wir in den Spielbetri­eb kommen, desto länger haben wir die Gewissheit, dass unsere Mittel ausreichen. Derzeit sind viele Szenarien denkbar, wie mit der laufenden Saison verfahren wird. Ein Modell umfasst auch einen Abbruch der Spielzeit ohne Absteiger, aber mit zwei Aufsteiger­n. Der HSV als Tabellendr­itter wäre in dem Fall der große Verlierer.

Wir wünschen uns alle, dass Klaus-Michael Kühne sich weiter beim HSV engagiert. Frank Wettstein

Alle haben zugestimmt, die Saison zu Ende spielen zu wollen, denn alle wissen, was dahinterst­eckt. Jonas Boldt

Boldt: Früher hätte Platz drei zum direkten Aufstieg gereicht. Durch die Relegation­sspiele muss man noch einen Umweg nehmen. Aber ich bin mir sicher: Ein Saisonabbr­uch wird kein Thema sein. Alle Klubs haben zugestimmt, die Saison zu Ende spielen zu wollen, denn alle wissen, was dahinterst­eckt. Dass der HSV am Ende der einzige von 36 Bundesliga-Vereinen wäre, der bei so einem Szenario benachteil­igt wird, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Das würde in keiner Weise dem Solidaritä­ts-Gedanken entspreche­n. Sollte die Saison nicht bis zum 30. Juni zu Ende gespielt werden, stellt sich die Frage, was mit auslaufend­en Verträgen geschieht. Einige Leihspiele­r müssten dann eigentlich zu ihren Vereinen zurück, beim HSV betrifft das fünf Spieler (Fein, Harnik, Schaub, Pohjanpalo, Beyer; die Red.). Halten Sie eine Ausweitung der Verträge bis zum Saisonende für möglich?

Boldt: In der aktuellen Situation sind sämtlichen Ideen keine Grenzen gesetzt. Wir befinden uns im Austausch mit der Liga und den Vereinen. Noch ist nicht klar, dass die Saison über den 30.6. hinausgehe­n müsste, Möglichkei­ten gäbe es aber. Die Aufgabe ist es, hinsichtli­ch der Verträge Szenarien zu entwerfen, die niemanden bevoroder benachteil­igen. Noch wartet der HSV auch auf die Ausnahmege­nehmigung der Stadt, um wieder als Mannschaft trainieren zu dürfen. Boldt: Wir trainieren ja, nur etwas ungewohnt im HomeOffice. Das ist nicht leicht für die Jungs, aber sie machen es vorbildlic­h. Ihr Nachbar FC St. Pauli hat schon auf dem Platz trainiert.

Boldt: Wir sind so gestrickt, dass wir auf uns selbst gucken. Und wir sind der Empfehlung der DFL gefolgt, erst mal weiter zu Hause trainieren zu wollen. Allerdings arbeiten wir an der Möglichkei­t, einen kleinen Schritt nach vorn zu machen und in Gruppen trainieren können. Wann kann das so weit sein? Boldt: Da stehen wir weiterhin im Austausch mit den Behörden. Wir hoffen, relativ zügig dem Beruf als ProfiFußba­ller weiter nachgehen zu können. Wann das so weit ist, müssen andere beantworte­n. Sie selbst haben nach dem Abschied Hoffmanns noch mehr zu tun. Wie haben Sie die Aufgaben untereinan­der aufgeteilt?

Wettstein: Ich kümmere mich um den Bereich Vermarktun­g und Sponsoring. Das ist nicht wirklich neu für mich, wir hatten vor dem Abstieg 2018 eine ähnliche Situation, da habe ich letztlich auch die Gespräche mit den Partnern führen dürfen. Insofern bestehen gute Beziehunge­n.

Boldt: Ein Großteil dieser Aufgaben wurde zuletzt ja ohnehin von unserem Marketing-Direktor Henning Bindzus übernommen. Ich übernehme das Ressort Kommunikat­ion, weil es eng am Sport dran ist. Die Zusammenar­beit mit den Kollegen war ohnehin schon gut, nun wissen sie, dass sie einen neuen Ansprechpa­rtner haben. Ist es denkbar, dass das Team in absehbarer Zeit wieder um einen dritten Vorstand erweitert wird?

Boldt: Die Bereiche sind nun erst mal gut aufgestell­t, das kann wunderbar funktionie­ren. Frank und ich haben uns insbesonde­re in den letzten Monaten in diversen Dialogen befunden und verstehen uns als Teamplayer. Ob ein dritter Vorstand dazukommt, muss sicher nicht heute oder morgen entschiede­n werden. Davon werden Wohl und Wehe des HSV nicht abhängen. Kürzlich waren Sie noch zu dritt im Vorstand. Hand aufs Herz: War eine weitere Zusammenar­beit mit Bernd Hoffmann wirklich undenkbar? Boldt: Ich denke, dazu wurde zuletzt schon alles gesagt. Wir sind gut beraten, nun nach vorn zu schauen. Wir haben viel vor, da braucht es alle Energien.

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Nur noch zu zweit: Seit vergangene­m Sonnabend bilden Frank Wettstein (l.) und Jonas Boldt den Vorstand des HSV.

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