So leidet St. Paulis gute Seele
Allen fehlt ihr „Kiebitz-Eck“an der Kollau
Sie gehört zu den vielen Menschen beim FC St. Pauli, die gern arbeiten möchten, aber momentan wegen der Corona-Krise schlicht nicht dürfen. Birgid Hönig führt den Kiosk auf dem Trainingsgelände an der Kollaustraße, wäscht nebenbei auch noch die Klamotten der U23-Kicker und -Trainer. Beide Jobs fehlen der 65-jährigen Pinnebergerin ungemein, sie leidet wie ein Hund.
„Diese Zeit ist grausam, ich habe wegen der Bewegungsarmut schon neun Kilo zugenommen“, erzählt sie der MOPO. Die Einnahmen haben durch das ausfallende Kiosk-Geschäft dagegen logischerweise abgenommen: „Aber ich nage nicht am Hungertuch.“Und, augenzwinkernd: „Jetzt kommt es mir zugute, dass ich so geizig bin. Nein, im Ernst: Ich brauche nicht viel zum Leben und habe für schlechte Zeiten ein büsch’n zur Seite gelegt.“
Was der St. Paulianerin aus Leidenschaft, die früher Ordnerin am Millerntor war und seit Jahren bei jedem Heimspiel Kuchen zugunsten der Jugendabteilung verkauft, an die Nieren geht: „Mir fehlen die vielen Menschen im Alltag. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann.“
Am Rande der Übungsplätze ist sie kaum wegzudenken. Ohne sie und ihr klitzekleines Unternehmen würde im wahrsten Sinne des Wortes was fehlen. Nicht nur Kaffee, Tee, belegte Brötchen, Würstchen oder Süßigkeiten, die Dinge, die sie für kleines Geld verkauft. Alle kommen gern für eine Weile zu ihr, tanken kurz auf, lesen Zeitung, genießen den Smalltalk.
„Ich vermisse den Klönschnack mit den Trainingskiebitzen, Platzwart Shane Wiese und seinem Team, mit U23-Torwarttrainer Matthäus Witt oder auch den Hamburger Journalisten.“Im Hintergrund läuft bei ihr unablässig Rock Antenne Radio. Wenn Frau Hönig gebeten wird, die Musik auszumachen, dann weigert sie sich konsequent, bietet höchstens einen Kompromiss an: „Ich mache sie bloß leiser.“
Was der Dame ebenfalls abgeht, ist das Knuddeln mit einigen Stammkunden. Das heißt aber beileibe nicht, dass sie immer gut drauf ist. Ihre erstaunliche Selbsterkenntnis nach sechs Wochen ohne Kiosk: „Ich habe viel über mich nachgedacht. Ich bin manchmal ganz schön zickig und schroff. Ich poltere ab und an meine Meinung raus, ohne großartig nachzudenken. Ich reibe mich halt gern. Zu Hause geht das nicht. Mein Lebensgefährte Hans diskutiert nicht mit mir, verlässt dann lieber den Raum.“Listig lachend fügt „Biggi“hinzu: „Sosehr mir meine St. Pauli-Familie fehlt – es soll ja keiner glauben, dass ich mich ändern werde.“
Zu ihrem Alltag gehören auch die Profis, die ihr draußen auf dem Parkplatz nahezu täglich über den Weg laufen. Sorgen macht sie sich um zwei ihrer vielen Lieblingsspieler, deren Zukunft angesichts der prekären Lage im Profi-Fußball dieser Tage ungeklärt ist: „Der Gedanke, dass ich Jan-Philipp Kalla und Waldemar Sobota nicht mehr im Stadion oder auch auf dem Gelände in der kommenden Saison sehen kann, ist schrecklich. Ich wünsche mir sehr, dass sie bei uns bleiben dürfen.“
Keiner weiß, wann alles wieder normal wird, wann auch „Biggis Kiebitz-Eck“an der Kollaustraße wieder die altbekannte Kundschaft empfangen darf. Birgid Hönig könnte mittlerweile in Rente gehen, verschwendet daran aber keinen Gedanken: „Viel lieber würde ich noch gern weiter in meinem Kiosk und für meinen geliebten Verein arbeiten.“
Mir fehlen die vielen Menschen. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann. Birgid Hönig