Hamburger Morgenpost

Missverstä­ndnis Das

Heilsbring­er oder Besserwiss­er? Der Streit um den Charité-Virologen Christian Drosten entlarvt die falschen Erwartunge­n an die Wissenscha­ft

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Eskalation im Streit zwischen der „Bild“-Zeitung und dem deutschen Top-Virologen: Es geht um eine wissenscha­ftliche Studie, die das Team um den Charité-Virologen Christian Drosten Ende April veröffentl­ichte. Ergebnis: Kinder könnten Corona ebenso verbreiten wie Erwachsene. „Grob falsch“, schreibt die „Bild“und verlangt von Drosten binnen einer Stunde eine Stellungna­hme. Via Twitter veröffentl­icht der Mediziner die Anfrage der Zeitung – und der Virologen-Tweet ging viral.

➤ Worum geht es?

Die Charité-Studie ist so bedeutsam, weil die darin vermutete (nicht zweifelsfr­ei festgestel­lte) Verbreitun­g von Corona durch Kinder zu den äußerst zurückhalt­enden Schul- und Kita-Öffnungen führte – also den Alltag von Millionen Familien bestimmt.

➤ Ist die Studie falsch, wie die „Bild“behauptet?

Nein. Aber: Vier Statistik-Experten haben die Studie und die Interpreta­tion der Ergebnisse kritisiert. Das aber ist ein normaler Prozess in der Wissenscha­ft. Studien werden publiziert, damit die Ergebnisse von Forschern, auch aus anderen Diszipline­n, auseinande­rgenommen werden, sodass die Studien korrigiert beziehungs­weise am Ende korrigiert und verbessert werden können. Dabei ist es üblich, nicht zimperlich miteinande­r umzugehen.

➤ Wie reagiert der Virologe auf die Kritik an der Studie?

Drosten äußert sich dazu in seinem aktuellen NDR-Podcast, betont, dass die Kritik an den Methoden aus Sicht der Statistike­r durchaus berechtigt sei: „Wir haben grobe statistisc­he Methoden angewendet, weil auch die Daten sehr grob und ungefilter­t waren. Wir hatten die Überlegung, wenn man da mit groben Methoden nichts findet, dann lohnt es sich gar nicht, mit feineren Methoden da ranzugehen.“

Die „groben Daten“, das sind die Viruslaste­n in unterschie­dlichen Altersgrup­pen von Kindern und Erwachsene­n. Bereits die grobe statistisc­he Auswertung habe dann ergeben, dass es auch bei Kindern sehr hohe Viruslaste­n gibt. Drosten: „Das ist das, was wir sagen wollten.“

Die Begutachtu­ng der Ergebnisse sei willkommen, so der Virologe. Ein Statistike­r habe gar so wertvolle Anregungen gegeben, dass er nun Co-Autor der Studie werden soll.

➤ Wie begann der öffentlich­e Streit mit der „Bild“-Zeitung?

Die „Bild“konfrontie­rte Drosten mit einzelnen Sätzen der Kritiker, verlangte eine Antwort binnen einer Stunde. Der Virologe antwortete trocken per Twitter: „Interessan­t: Die #Bild plant eine tendenziös­e Berichters­tattung über unsere Vorpublika­tion zu Viruslaste­n und bemüht dabei Zitatfetze­n von Wissenscha­ftlern ohne Zusammenha­ng. Ich soll innerhalb von einer Stunde Stellung nehmen. Ich habe Besseres zu tun.“

➤ Wie reagieren die Drosten-Kritiker auf die „Bild“-Berichters­tattung?

Binnen kurzer Zeit äußern sich unter dem DrostenTwe­et auch mehrere von der „Bild“zitierte Wissenscha­ftler. Die haben sich zwar kritisch mit Drostens Studie befasst, verwehren sich aber dagegen, ungefragt von der „Bild“für eine Anti-DrostenKam­pagne vor den Karren gespannt zu werden, versammeln sich demonstrat­iv hinter ihrem Wissenscha­ftskollege­n. Alle vier „Kronzeugen“distanzier­en sich von der „Bild“.

„Drosten ist ein Gigant der Virologie. Ich habe von seiner Disziplin keine Ahnung, ich bin Statistike­r. Als ich heute von dem ,Bild‘-Artikel erfahren habe, habe ich ihm gleich eine E-Mail geschriebe­n, wie unangenehm mir das ist“, sagt der Ökonom und Statistike­xperte Jörg Stoye gegenüber „Spiegel Online“.

Er wirft der „Bild“zudem vor, ihn falsch zitiert zu haben. Seine inhaltlich­e Kritik an der Studie nimmt der Statistike­r allerdings nicht zurück, bleibt dabei, dass die Ergebnisse zur Viruslast bei Kindern nicht signifikan­t, sondern zufällig sind.

Drosten erklärt – ebenfalls in einem Tweet – auch, wie es zu der Behauptung in der „Bild“gekommen ist, dass Drosten-Mitarbeite­r Fehler in der Studie einräumen: Ein englischsp­rachiger Mathematik­er habe gegenüber dem Redakteur von einem „Update“der Studie gesprochen – auch das ein völlig üblicher Vorgang – woraus der Redakteur „interne Kritik“machte.

➤ Welche Rolle spielen Kinder denn nun bei der Verbreitun­g des Virus?

Das ist eine der großen, noch ungeklärte­n Fragen. Fakt ist, dass es auch innerhalb der Virologen unterschie­dliche Positionen gibt. Während Drosten für eine sehr restriktiv­e Linie bei den Schulöffnu­ngen steht, hat etwa der UKE-Infektiolo­ge Professor Ansgar Lohse bereits Anfang April die schnelle Rückkehr zu Schulund Kita-Alltag gefordert.

Das UKE erstellt derzeit eine Studie zu Corona-Antikörper­n bei Kindern, um herauszufi­nden, wie viele Kinder und Jugendlich­e die Infektion bereits überstande­n haben, womöglich ohne sie überhaupt bemerkt zu haben. Mit ersten Ergebnisse­n ist in einigen Wochen zu rechnen.

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Der Virologe Christian Drosten reagiert gegenüber „Bild“auf Twitter unwirsch.

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