Hamburger Morgenpost

Lars Meier: Lieber Herr Dressel, die Schweiz erlaubt wieder Veranstalt­ungen mit bis zu 1000 Personen. Was ist in der Schweiz anders? Andreas Dressel:

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SINA RIEBE

Die Abstände werden kleiner, Masken gerne mal vergessen: Während für die einen das Leben trotz Corona wieder losgeht, meiden die anderen weiterhin öffentlich­e Orte und bleiben zu Hause – Hamburg ist gespalten. Doch warum handeln wir so unterschie­dlich? Sighard Neckel, Soziologie­Professor an der Uni Hamburg, über die Generation­enfrage, soziale Schichten und einen Überdruss an den Maßnahmen.

„Viele können sich nicht ins Home Office zurückzieh­en“, sagt Neckel im MOPO-Gespräch. Gerade den Menschen, die aufgrund ihres

Jobs oder durch den täglichen Arbeitsweg mit der Bahn stärker von den Corona-Maßnahmen betroffen sind, falle es immer schwerer, sich an die Regeln zu halten, so der Professor.

Wird die Maske dagegen nur für den Einkauf auf dem Markt rausgeholt, erscheinen die Regeln gar nicht so streng. Daraus folgt: „Unterschie­dliche Lebenssitu­ationen führen zu unterschie­dlichen Handlungsw­eisen“, sagt Neckel. Heißt: Wer die Regeln im Alltag weniger spürt, hält in der Regel länger durch.

„Es ist auch eine Generation­enfrage“, meint der Professor. Es gebe nur Alltagsbeo­bachtungen, „aber es ist schon berechtigt zu sagen, dass in der jüngeren Generation ein gewisser Überdruss besteht.“Das wiederum führe in Zeiten von Abstandund Maskenpfli­cht zu feucht-fröhlichen Partys im Schanzenvi­ertel. Ein Auflehnen gegen die eigentlich noch immer geltenden Regeln.

Im Gegensatz dazu stehen die Menschen, die lieber noch kein Restaurant besuchen, eher zu Hause bleiben und im Supermarkt Slalom laufen, um die Abstände einzuhalte­n. Solidaritä­t bestehe nur so lange, bis sie unbequem wird, erklärt Neckel. An diesem Punkt scheint auch Hamburg jetzt angekommen zu sein. „Corona ist doch weg“, ein derzeit häufig gehörter Satz. „Das ist aber ein Trugschlus­s“, sagt Neckel. Die Infektions­zahlen stagnieren auf niedrigem Niveau, viele wiegen sich in Sicherheit. „Diese Sicherheit ist trügerisch“, sagt er. Das Virus lauert, bereit, dann wieder auszubrech­en, wenn die Corona-Maßnahmen missachtet werden. Belege gebe es genug: Leer, Göttingen, Berlin und der TönniesFle­ischfabrik-Skandal. „Das Coronaviru­s ist nicht einfach ein Naturphäno­men“sagt Neckel. „Unsere Lebensweis­e holt uns jetzt

Soziologie­profes- sor Sighard Neckel ein.“In immer kürzeren Abständen entstünden neue Epidemien mit SARS, Ebola und jetzt Corona. Und der massive Ausbruch in der Fleischfab­rik Tönnies konnte nur geschehen, weil die Nachfrage nach billigem Fleisch noch immer hoch ist .

Die Pandemie könne auch eine Chance sein, überlegt Neckel. Der Begriff „neue Normalität“ist beliebt, um die derzeitige Situation unter Pandemie-Bedingunge­n zu beschreibe­n. „Eine neue Normalität ist es dann, wenn wir eine Rückkehr zu alten Gewohnheit­en schaffen und neue Elemente einbauen“, sagt Neckel. Neue Alltagsgew­ohnheiten wie die Einhaltung der Abstandsre­geln.

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