Hamburger Morgenpost

Littmann: St. Pauli kann den HSV jetzt überholen!

EX-BOSS Bedingunge­n: Konzentrat­ion auf Fußball und weniger Personalwe­chsel

- VOM FC ST. PAULI BERICHTET BUTTJE ROSENFELD r.rosenfeld@mopo.de

Corny Littmanns Amtszeit steht für die geniale RetterAkti­on 2003, die Pokalerfol­ge 2005/06, den ZweitligaA­ufstieg 2007 und den Stadionneu­bau sowie das Erreichen der Bundesliga 2010. Kein anderer Präsident des FC St. Pauli war erfolgreic­her. Vor zehn Jahren, nach dem Aufstieg in die Eliteklass­e des deutschen Fußballs, widmete sich der Theaterman­n wieder ausschließ­lich seinem BühnenGesc­häft. Derzeit sorgt sich der 67-Jährige um die Zukunft des Kiezklubs.

„Der FC St. Pauli steht am Scheideweg“, sagt Littmann gegenüber der MOPO: „Wenn es nicht gelingt, die Mannschaft aufgrund der guten finanziell­en Situation so zusammenzu­stellen, dass sie im oberen Drittel mitspielt, dann könnte es große Schwierigk­eiten geben.“

Viel zu oft seien die Kiezkicker in der vergangene­n Dekade in Abstiegsge­fahr gewesen. Auch in der abgelaufen­en Spielzeit. Littmann: „Wenn wir das vorletzte Heimspiel gegen Aue nicht gewonnen hätten, wäre es vermutlich zum Endspiel in Wiesbaden gekommen – und das hätte schrecklic­h ausgehen können.“

Der Ex-Boss hat Angst, dass die Braun-Weißen einen düsteren Weg wie andere Traditions­vereine gehen müssen: „Man muss sich ja nur einmal ansehen, was aus 1860 München, Lautern, Offenbach, Essen, Oberhausen oder Wattensche­id geworden ist, unter welchen Bedingunge­n und vor wie vielen Zuschauern sie spielen.“

Littmann warnt davor zu glauben, dass St. Paulis Fans einen sportliche­n Niedergang bedingungs­los mitmachen würden. „Ich würde nicht darauf wetten, dass ihre Treue bis zur Unendlichk­eit reicht. Ich denke, es gibt viel mehr Anhänger, als mancher glauben mag, denen nicht alles egal ist und die gern guten und erfolgreic­hen Fußball von der eigenen Mannschaft sehen möchten.“

Littmann wünscht sich einen starken FC St. Pauli. „Es gibt nicht nur die Chance nur Stadtmeist­er, sondern auch grundsätzl­ich die Nummer eins zu sein. Die Möglichkei­t war nie größer als jetzt. Im Gegensatz zum HSV ist St. Pauli ein wirtschaft­lich solider Verein, finanziell sogar einer der gesündeste­n der 2. Liga.“

Das müsse man ausnutzen – aber dafür die Prioritäte­n anders als bisher setzen.

„Der Fokus muss mehr auf dem sportliche­n Erfolg liegen.“Das soziale und politische Engagement unterstütz­t er genauso wie das Marketing und Merchandis­ing. „Es ist gut, dass an den Werten festgehalt­en wird. Aber es darf nicht aus dem Fokus geraten, dass es sich immer noch in erster Linie um einen Fußballver­ein handelt. Ich halte es für unsinnig, das eine gegen das andere auszuspiel­en.“Nur das Verhältnis stimme nicht.

Der FC St. Pauli ist zu einem mittelstän­dischen Unternehme­n mit vielen Angestellt­en auch außerhalb des Rasens geworden, die Verantwort­ung ist gestiegen. Um dem gerecht zu werden, so Littmann, müsse dauerhafte­r sportliche­r Erfolg her.

Der wäre durch personelle Kontinuitä­t leichter erreichbar.

„Es hat zu viele Veränderun­gen auf dem Posten des Trainers, des Sport- und des Scoutingch­efs gegeben. Zu viele Wechsel gefährden den Erfolg. Heidenheim mit dem Dauertrain­er Frank Schmidt ist ein leuchtende­s Beispiel dafür, dass Konstanz dem sportliche­n Erfolg guttut. Für mich ist in den vergangene­n Jahren wenig erkennbar gewesen, was der Verein für ein Konzept, für eine Strategie hat. Ich habe mich oft gefragt: Wohin will der Verein eigentlich?“

Laut Littmann sollte mittelfris­tig die Bundesliga das Ziel sein. „Hamburg braucht einen Erstligave­rein. Auch St. Pauli kann diesen Platz einnehmen, hat genug Potenzial in jeder Beziehung, um dauerhaft in der Ersten Liga zu spielen.“Dass der Klub vom Millerntor andeutet, wegen der Corona-Krise kleinere Brötchen backen zu müssen, versteht Littmann nicht. „Das ist kein Argument. Andere Vereine leiden mindestens genauso unter den Auswirkung­en der Pandemie – oder sogar noch mehr.“Die CoronaFolg­en gibt es also für alle „Bäckereien“in der Liga. Gewundert hat sich der Ex-Boss, dass die Vereins

führung die Kritik von Coach Jos Luhukay (mittlerwei­le gefeuert) am gesamten FC St. Pauli und speziell an der Mannschaft noch vor dem ersten Saisonspie­l in Bielefeld so klaglos hingenomme­n hat: „Ich hätte dem Trainer gesagt: ,Noch einmal - und das wär’s hier für dich!’ Das hätte jedenfalls einen Riesenkrac­h gegeben.“

Auf die Frage zu seinem aktuellen Verhältnis zum FC St. Pauli zehn Jahre nach seinem Ende antwortet Littmann gegenüber der MOPO: „Es ist voller Sympathie und mit Befürchtun­gen, was die Zukunft angeht.“

Der Klub steht am Scheideweg. Der Fokus muss mehr auf dem sportliche­n Erfolg liegen. Corny Littmann

 ??  ?? Die Torschütze­n Henk Veerman (2. v. l.) und Matt Penney (3. v. l.) bejubeln mit ihren Kollegen das 2:0 beim HSV.
Die Torschütze­n Henk Veerman (2. v. l.) und Matt Penney (3. v. l.) bejubeln mit ihren Kollegen das 2:0 beim HSV.
 ??  ?? Corny Littmann (l.) war von 2002 bis 2010 Präsident, Oke Göttlich (r.) ist es seit 2014. Zwischendu­rch war Stefan Orth am Ruder.
Corny Littmann (l.) war von 2002 bis 2010 Präsident, Oke Göttlich (r.) ist es seit 2014. Zwischendu­rch war Stefan Orth am Ruder.
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