Hamburger Morgenpost

„Infiziert mit Antisemiti­smus“

Felix Klein, Beauftragt­er der Bundesregi­erung für jüdisches Leben, redet Klartext im RND-Interview

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BERLIN - Die Gesellscha­ft in Deutschlan­d ist nach Ansicht des Antisemiti­smusbeauft­ragten der Bundesregi­erung, Felix Klein, „infiziert mit Antisemiti­smus“. Das sagte Klein mit Blick auf Verschwöru­ngsmythen bei den Protesten gegen den Umgang mit der CoronaPand­emie im Interview mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschlan­d (RND).

Milieus, die sonst nie etwas miteinande­r zu tun hätten, seien plötzlich einig „im Hass auf Juden, im Hass auf Israel“.

60 Intellektu­elle haben Ihnen in einem offenen Brief an Bundeskanz­lerin Merkel vorgeworfe­n, einen inflationä­ren Antisemiti­smusbegrif­f zu gebrauchen, einen sachlich unbegründe­ten und einen gesetzlich unfundiert­en. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Es ist wichtig, dass wir über den Antisemiti­smusbegrif­f streiten. Die Intensität der Diskussion zeigt, dass sie überfällig ist. Ich beanspruch­e nicht die Deutungsho­heit über den Begriff, aber ich wende die Instrument­e an, die es gibt. Die Bundesregi­erung hat 2017 beschlosse­n, sich der Arbeitsdef­inition für Antisemiti­smus der Internatio­nal Holocaust Remembranc­e Alliance (IHRA) anzuschlie­ßen.

Danach ist Antisemiti­smus „eine bestimmte Wahrnehmun­g von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“. Auch „der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, kann Ziel solcher Angriffe sein“.

Diejenigen, die sich heute über mich beklagen, haben damals nichts dagegen gesagt. Ich finde es gut, dass nun die Widersprüc­he benannt und offen ausgetrage­n werden.

Die Debatte um Israel-Boykott und Antisemiti­smus wurde bereits mit dem Historiker­streit verglichen. Fühlen Sie sich hineingezo­gen in eine Auseinande­rsetzung innerhalb einer intellektu­ellen Community?

Erst einmal das Gute. Was alle Teilnehmer dieser Debatte eint: Alle wollen Antisemiti­smus wirklich bekämpfen. Wir wollen alle eine Welt ohne Antisemiti­smus und ohne Rassismus. Das wollen auch die 60 Unterzeich­ner des offenen Briefs. Wie man das erreicht, da gibt es unterschie­dliche Meinungen. Meine Strategie ist, dass wir keine Hierarchis­ierungen einführen sollten im Kampf gegen Antisemiti­smus. Ob linker, rechter oder islamistis­cher Antisemiti­smus – ich halte jede Form für gefährlich, und auch den in der Mitte der Gesellscha­ft. Das alles benenne ich, dafür bin ich Beauftragt­er. Es greift zu kurz, wenn man nur den eindeutige­n Antisemiti­smus von ganz rechts benennt. Den zu bekämpfen, darauf können sich alle in der Mitte der Gesellscha­ft einigen. Wir dürfen aber nicht nur auf andere zeigen. Auch Linke, auch Intellektu­elle müssen in ihrem eigenen Umfeld und bei sich selbst schauen, wie sie Antisemiti­smus bekämpfen können. Der linksliber­ale Antisemiti­smus ist sehr subtil. Gerade wenn er sich gegen Israel richtet, ist er sehr verbreitet. Oft ist es eine Umwegkommu­nikation: Man greift Israel an, obwohl man eigentlich Juden meint.

In Magdeburg wird dem Attentäter von Halle der Prozess gemacht. Er hat sich in einer Gemengelag­e aus Rassismus und Antisemiti­smus radikalisi­ert und wollte eine ganze Synagogeng­emeinde auslöschen.

Der Anschlag von Halle zeigt, dass jeder Opfer eines antisemiti­schen Anschlags werden kann. Der Prozess in Magdeburg bietet die grundlegen­de Chance für unsere Gesellscha­ft, endlich einmal über die Ursachen zu sprechen, wie sich solche Täter radikalisi­eren, gerade mithilfe des Internets. Wir können in der Gedankenwe­lt des Attentäter­s sehen, dass Antisemiti­smus nie für sich alleine steht, sondern immer verbunden ist mit Rassismus, Frauenfein­dlichkeit, Islamfeind­lichkeit. Wenn wir das verstehen, ist es auch eine Chance. Denn wenn wir im Kampf gegen Antisemiti­smus Erfolg haben, erzielen wir auch Erfolge im Kampf gegen andere Formen der Diskrimini­erung. Wir sollten beim Jahrestag des Anschlags am 9. Oktober daran erinnern, dass solche Denkweisen, dass solche Täter die Gesellscha­ft als Ganzes bedrohen.

Seit Beginn der Corona-Pandemie haben antiaufklä­rerische Verschwöru­ngsfantasi­en wieder Konjunktur. Viele docken an alte antisemiti­sche Stereotype an. Wie bewerten Sie das?

Das besorgt mich ganz besonders. Dass Milieus, die sonst nie etwas miteinande­r zu tun haben, die sich üblicherwe­ise bekämpfen, plötzlich einig sind im Hass auf Juden, im Hass auf Israel. Wenn auch Menschen mit legitimen Anliegen es in Ordnung finden, Seite an Seite mit Rassisten und Antisemite­n zu demonstrie­ren, zeigt das: Die Gesellscha­ft ist infiziert mit Antisemiti­smus. Das Problem wird bleiben, auch wenn die Corona-Demonstrat­ionen abebben. Deswegen spreche ich auch so hartnäckig jede Form von Antisemiti­smus aus der Mitte der Gesellscha­ft an. Wir müssen die hartnäckig­e Verwurzelu­ng, die wir da haben, auflösen. Und deswegen will ich keine Hierarchis­ierungen vornehmen, sondern alle Ausprägung­en von Antisemiti­smus bekämpfen. Das ist manchmal sogar für das Bildungsbü­rgertum unangenehm, aber da müssen wir eben auch nachschaue­n.

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Felix Klein, Beauftragt­er der Bundesregi­erung für jüdisches Leben.

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