Die Warnung der alten Mrs. Winsen
Wie eine 94-jährige Dame die USA in Sachen Trump wachrüttelt
HANNOVER - Ein Journalist ruft an? Aus Deutschland? Einem Land, in dem sie nie war?
Lois Winsen, Jahrgang 1926, aus San Diego ganz im Süden Kaliforniens mochte es im ersten Moment kaum glauben. Dann freut sie sich: „You made my day“, sagt sie fröhlich. Sie haben mir den Tag gerettet. Die alte Dame lebt in einer ruhigen, wohlhabenden Gegend. In 20 Minuten ist man am Meer. Ein Paradies. Und doch belastet sie etwas. Lois Winsen fürchtet erstmals in ihrem langen Leben um die Freiheit in den USA. Die Bilder aus Portland haben in ihr furchtbare Ahnungen und Assoziationen ausgelöst. Dass ein US-Präsident bewusst eine TV-wirksame Eskalation von Gewalt anschiebt, um davon bei Wahlen zu profitieren, sagt sie, lasse ihr keine Ruhe.
In einem Leserbrief an die „L. A. Times“erinnerte sie dieser Tage an Adolf Hitler. Auch der habe sich an der Macht halten wollen durch eine von ihm selbst in Gang gesetzte Welle von Chaos und Gewalt. „Ich bin alt genug, mich an das zu erinnern, was als Kristallnacht bekannt wurde.“
Hitler? Kristallnacht? Sind die Begriffe nicht eine Nummer zu groß für die Debatte um Portland? Nein, sagt
Lois Winsen, sie bleibe dabei. Manches wäre deutlicher geworden, „wenn die ,Times‘ meinen Brief nicht so stark gekürzt hätte“. Aber dann lacht sie und räumt ein: „Okay, man muss immer was kürzen, ich habe ja selbst viel gekürzt in meinem Leben.“
Lois Winsen war Redakteurin in einem Buchverlag. Sie hat auch selbst einiges verfasst. In der Erzählung „Mein vietnamesischer Sohn“beschreibt sie die Verbindung, die sich zwischen ihr, der jüdischen Großmutter, und einem Vietnamesen entwickelt hat, der als Flüchtling in die USA kam und ihr Nachbar wurde. Es ist eine wahre Geschichte. Bei der Lektüre, so ein Rezensent, habe er gelacht und geweint.
Auf Trump blickte Winsen von Anfang an mit Abscheu: „An dem ist nichts echt, der ist ein Scharlatan.“Was in Deutschland in den Dreißigern passierte, hat sie nicht selbst miterlebt. Aber ihre Eltern haben es ihr erzählt – „und das hat in meiner Jugend sehr, sehr großen Eindruck auf mich gemacht“.
Diese Warnungen gibt sie nun einfach weiter.