Hamburger Morgenpost

Aus Hamburg kommt das Öko-Plastik der Zukunft

RECYCLING Drei Start-ups aus der Hansestadt gehen kreativ gegen Umweltvers­chmutzung vor

- Von CHARLOTTE NZIMIRO

400 Tonnen Mikroplast­ik gelangen jährlich in unsere Umwelt – und das mit katastroph­alen Folgen für Mensch und Tier. Drei Hamburger Start-ups haben sich jetzt dem Kampf gegen die Plastikver­schmutzung verschrieb­en und tragen durch ihre unterschie­dlichen Ansätze dazu bei, dass idealerwei­se kein Plastik mehr produziert werden muss. Zumindest nicht solches, wie wir es kennen. Das Plastik der Zukunft ist recycel- und sogar essbar.

Christian Schiller (35) wurde 2018 auf einem Segeltrip von

Kolumbien nach Panama wachgerütt­elt. „Wir waren schnurstra­cks in einen Teppich aus Algen und Plastikmül­l gesegelt, der auch noch dazu übel roch, mitten in der traumhafte­n Karibik!“

Ein halbes Jahr später gründete Schiller gemeinsam mit seinem Co-Founder Volkan Bilici „Cirplus“– das

Amazon des Kunststoff­handels. Die Online-Plattform verbindet weltweit Unternehme­n, die mit Kunststoff­abfällen und Rezyklaten handeln oder diese erwerben und in der Produktion einsetzen wollen. Die Plattform hat aktuell bereits 500 000 Tonnen Material an Handelsvol­umen. Tonnen, die die Unternehme­n sonst in den globalen Süden schicken, da die Verarbeitu­ng dort billiger ist.

„Recycling muss attraktive­r werden, sprich wirtschaft­licher“, sagt Christian Schiller und erklärt, dass im Laufe der Zeit viel Geld in die Neuplastik-Produktion investiert wurde, um diese noch effiziente­r und billiger zu machen, jedoch hatte keiner Interesse an der Weiterentw­icklung von RecyclingS­ystemen. „Denn das wäre ja schlecht für das Geschäft mit dem Neuplastik“, erklärt der Gründer. Sein deutlicher Appell: „Es darf für Firmen keine Argumente gegen Recycling geben – Recycling muss die billigste Lösung sein!“

Für den globalen Süden würde mehr Recycling weniger Abfälle aus der westlichen Welt bedeuten, doch das Problem der fehlenden Abfallwirt­schaft und des in der Natur herumliege­nden Plastiks gibt es dort dennoch. „Nach dem Cradle-toCradle Ansatz muss alles Plastik, was leicht in die Umgebung gelangen kann, dort auch biologisch abbaubar sein. Nicht abbaubares Plastik dürfen wir nur dort einsetzen, wo ein funktionie­rendes Sammel- und Recyclings­ystem existiert“, meint Anne Lamp (29), die Gründerin von „Traceless“.

„Traceless“ist zu den Ursprüngen der Plastikher­stellung zurückgeke­hrt und sogar noch einen Schritt weiter gegangen. In den Anfängen wurde Plastik aus natürliche­n Rohstoffen wie Holz hergestell­t, die jedoch schnell durch billiges Erdöl ersetzt wurden. „Uns ist es sehr wichtig, dass wir den natürliche­n Kunststoff nicht aus potenziell­en Nahrungsmi­tteln oder Bäumen herstellen. Wir nehmen einfach das, was keiner mehr will.“Aus den Abfällen der Agrarindus­trie filtern Lamp und ihr Team die sogenannte­n natürliche­n Polymere heraus, aus denen unter anderem das Kunststoff­granulat und die Kunststoff­folien hergestell­t werden.

„Traceless“-Kunststoff ist daher zu 100 Prozent biologisch abbaubar, nicht giftig und vollkommen unschädlic­h für die Umwelt. „Unser Anspruch ist es, dass man unseren Kunststoff auch essen kann, das habe ich auch bereits getan – es schmeckt neutral, sagt Anne Lamp lachend.

Aber was ist mit den fünf Milliarden Tonnen an wildem Plastik, die auf der ganzen Welt verstreut herumliege­n? Christian Sigmund (32) von „Wildplasti­c“und sein sechsköpfi­ges Gründertea­m haben eine Antwort. „Plastik ist kein Müll, sondern ein Wertstoff“, sagt er, „deswegen muss dieser Wertstoff gesammelt und zu

Es darf keine Argumente gegen Recycling geben – Recycling muss die billigste Lösung sein!

etwas verarbeite­t werden, was jeder gebrauchen kann und ganz sicher in die deutsche Abfallwirt­schaft zugeführt wird!“„Wildplasti­c“entwickelt­e die sogenannte­n Wildbag-Müllbeutel aus wildem Plastik.

Das Plastik für die Beutel stammt aus Gegenden ohne funktionie­rende Abfallwirt­schaft und Orten, die die westliche Welt – auch Deutschlan­d – als ihre Müllkippe nutzen. Menschen schuften dort für einen Hungerlohn unter unwürdigen und gesundheit­sgefährden­den Bedingunge­n. „Wildplasti­c“arbeitet mit unterschie­dlichen zertifizie­rten Organisati­onen zusammen, die lokale „Wildplasti­c“Sammler beschäftig­en, sie fair entlohnen und sichere

Arbeitsbed­ingungen und soziale Absicherun­gen bieten.

Gemeinsam möchte man die Natur aufräumen und dafür sorgen, dass die Wertstoffe erst gar nicht in der Umwelt landen. Der gesammelte Wertstoff wird anschließe­nd recycelt und weitervera­rbeitet. Mittlerwei­le stellt „Wildplasti­c“auch Versandtas­chen für große Versandhäu­ser her – ein Schritt in die richtige Richtung.

Für die drei Gründer hat das Ziel, den Planeten vor der Plastik-Vergiftung zu retten, höchste Priorität. Wie sehr, zeigten die Mitarbeite­r von „Cirplus“. „Während des CoronaLock­downs waren sie bereit, für die Hälfte ihres Gehaltes zu arbeiten. Drei Kollegen musste ich dennoch entlassen, aber sie sind bei uns geblieben und haben ohne Lohn weitergear­beitet“, erzählt Christian Schiller gerührt. Dass sich ein solches Engagement bis in die Führungset­agen großer Konzerne und Umweltvers­chmutzer durchsetzt, wäre wünschensw­ert.

 ??  ?? Anne Lamp (29) filtert mit ihrer Firma „Traceless“Polymere aus den Abfällen der Agrarindus­trie.
Anne Lamp (29) filtert mit ihrer Firma „Traceless“Polymere aus den Abfällen der Agrarindus­trie.
 ??  ?? Volkan Bilici (l.) und Christian Schiller bieten mit „Cirplus“eine Plattform zum Kunststoff­handel.
Volkan Bilici (l.) und Christian Schiller bieten mit „Cirplus“eine Plattform zum Kunststoff­handel.
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Wildbag-Müllbeutel werden aus aufgesamme­ltem Plastik recycelt.

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