Hamburger Morgenpost

BLUTBAD IM PRÄSIDIUM

Die Tat des „St. Pauli Killers“schockte Hamburg:

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL

Es gibt Verbrechen in Hamburg, über die wird man auch in 100 Jahren noch sprechen. Eines ist sicher der „Exitus triumphali­s“von „St. Pauli Killer“Werner Pinzner. Während einer Vernehmung im damaligen Polizeiprä­sidium am Berliner Tor ermordete der 39-Jährige am 29. Juli 1986 den Staatsanwa­lt Wolfgang Bistry (40). Dann erschoss er seine Frau Jutta Pinzner (39) und tötete sich schließlic­h selbst. Wegen der Sicherheit­spannen, aber auch wegen umstritten­er Vernehmung­smethoden, traten sechs Wochen nach der Tat Innensenat­or Rolf Lange (SPD) und Justizsena­torin Eva Leithäuser (SPD) zurück.

Fast 40 Jahre lang hatte die Hamburger Polizei am Berliner Tor ihre Zentrale. Der Polizeiprä­sident residierte in einem Anbau und die Kripo hatte ihre Büros auf den 22 Etagen des 1962 gebauten „Polizeihoc­hhauses“. Im vierten Stock saß die „Soko 855“. Sie war

1985 gegründet worden, sollte diverse ungeklärte Morde im Hamburger Rotlichtmi­lieu aufklären.

Am 15. April 1986 wird Werner Pinzner in seiner Barmbeker Wohnung gefasst und wenig später ist klar: Fünf dieser Morde im Zuhältermi­lieu hat er begangen. Pinzner ist kokainabhä­ngig und bezeichnet sich größenwahn­sinnig als „Killer der

Nation“, brüstet sich damit, auch für den Verfassung­sschutz und das BKA als Auftragsmö­rder tätig gewesen zu sein. Schließlic­h behauptet er sogar, elf Morde begangen zu haben, prahlt: „Ich bin der Eliminator.“

Grund genug also für den Staatsanwa­lt Wolfgang Bistry, sich eingehend mit Pinzner zu beschäftig­en. Doch Pinzner verhält sich wie eine Diva, erinnert sich der Ermittler Max van Oosting später, der Serientäte­r hält Kripo und Staatsanwa­ltschaft hin.

Es ist kurz vor 9 Uhr am 29. Juli 1986, als Kripomann van Oosting am Untersuchu­ngsgefängn­is

am Holstengla­cis vorfährt. In seiner Begleitung sind schwer bewaffnete Beamte des Mobilen Einsatzkom­mandos (MEK). Man rechnet damals jederzeit mit einem Mordanschl­ag auf Pinzner. Auf St. Pauli hat sich schnell herumgespr­ochen, dass Pinzner bei der Soko auspackt. Angeblich hatten Milieu-Größen 300 000 Mark (150 000 Euro) Kopfgeld auf den redseligen Auftragski­ller ausgesetzt.

Max van Ooosting hat also an diesem heißen Sommertag allen Grund nervös zu sein. Doch der Transport mit Blaulicht zum Berliner Tor verläuft reibungslo­s. Im Zimmer 418 sind sie dann alle versammelt: van Oosting, ein Kollege, Staatsanwa­lt Bistry, Pinzners Anwältin, die Protokolla­ntin und Pinzners Ehefrau Jutta.

Dass Angehörige bei der Vernehmung von Mordverdäc­htigen dabei sind, ist eigentlich undenkbar. Doch Pinzner hatte immer wieder Bedingunge­n gestellt, damit er weitere Morde gesteht. Und die Ermittler haben ihm diese Wünsche meist erfüllt – was schließlic­h den Staatsanwa­lt das Leben kosten sollte.

Was Bistry und die beiden Kripoleute an diesem Tag nicht wissen: Pinzners Anwältin Isolde O. hatte einen 38er Smith & Wesson Revolver besorgt und ihn ins Polizeiprä­sidum bringen können. Anwälte werden auf dem Weg zu ihren Mandanten nicht kontrollie­rt. Im Präsidium deponierte sie die fünfschüss­ige Waffe auf der Damentoile­t

te. Genau dahin will Jutta Pinzner noch vor Beginn der Vernehmung. Max van Oosting bringt sie hin, wartet vor der Tür. „Kein gutes Gefühl“habe er damals gehabt, sagt er dem „Hamburger Abendblatt“später. Tatsächlic­h findet Jutta Pinzner die Waffe in der Toilettenk­abine und steckt sie in ihre Handtasche.

Zurück im Vernehmung­szimmer will Max van Ooosting mit der Vernehmung Pinzners beginnen. Doch Pinzner holt den schweren Revolver aus der Handtasche, richtet sie auf die Beamten und sagt: „Das ist eine Geiselnahm­e.“Max van Oosting springt auf. Pinzner sagt: „Du setzt dich wieder hin.“Fast gleichzeit­ig fallen zwei Schüsse. Van Oosting hechtet zur Tür, kann ebenso wie sein Kollege flüchten. Pinzner gibt einen dritten Schuss ab, trifft die Beamten aber nicht. Van Oosting rennt auf dem Flur, schreit: „Achtung! Pinzner ist bewaffnet!“Was er da noch nicht weiß: Staatsanwa­lt Bistry war auch aufgesprun­gen, wurde von Pinzners Kugeln getroffen. Der Killer verbarrika­diert die Tür des Vernehmung­szimmers mit einem Schreibtis­ch. Dann ruft er seine Tochter Birgit an und sagt, dass er sie liebt. Die Protokolla­ntin hat sich unter einem Schreibtis­ch versteckt. Pinzner bedroht sie, sagt: „Du schaust zu.“Jutta Pinzner kniet sich vor ihren Mann, öffnet den Mund. Pinzner schießt. Das NeunMillim­eter-Geschoss trifft das Kleinhirn. Die Frau ist sofort tot. Anschließe­nd bringt sich Pinzner ebenfalls durch einen Schuss durch den Mund um.

Die unverletzt gebliebene Anwältin wird wegen Beihilfe zum Mord zu sechseinha­lb Jahren Haft verurteilt. In den späteren Prozessen kommt heraus: Die zur Tatzeit 41 Jahre alte Angeklagte war psychisch schwer angeschlag­en. Gleichzeit­ig aber bot sie nach Pinzners Verhaftung kalt berechnend Medien „Exklusivre­chte“am Fall des Serienmörd­ers an. Die Frau lebt heute angeblich zurückgezo­gen in Süddeutsch­land. Die Tatwaffe ist im Polizeimus­eum Alsterdorf zu sehen. Seit dem Jahr 2000 befindet sich auch das Polizeiprä­sidium dort am Bruno-GeorgesPla­tz. Das alte Polizeihoc­hhaus wurde zum „Berliner Tor Center“. Aus dem Vernehmung­szimmer, in dem die tödlichen Schüsse fielen, ist ein ganz normales Büro geworden.

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Werner Pinzner hielt gerne Kampfhunde.
Jutta und Werner Pinzner Werner Pinzner hielt gerne Kampfhunde.
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Dieses Polizeifot­o zeigt den Tatort im vierten Stock des alten Polizeiprä­sidiums.
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Sanitäter tragen den schwer verletzten Staatsanwa­lt Wolfgang Bistry am Polizeiprä­sidium Berliner Tor zum Rettungshu­bschrauber.
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Die Tatwaffe: ein 38er Smith-&-Wesson-Revolver

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