Hamburger Morgenpost

SERIE KIEZ-MENSCHEN

Setty Mois ist Burlesque-Star und lebt auf dem Dorf:

- Von WIEBKE BROMBERG und MARIUS RÖER

Raus aus dem einen Fummel, rein in den nächsten Fummel. Schnell noch mal Lippenstif­t und Puder auftragen. Und wo ist jetzt der Kajalstift abgebliebe­n? Hektik. In drei Minuten beginnt die nächste Show. Da quetscht sich auf einmal eine Frau mit Igel-Haarschnit­t in die kleine Garderobe im Keller. „Das Toilettenp­apier ist alle“, sagt die Besucherin trocken und schaut Setty erwartungs­voll an. Die elegante Blondine mit den hochgestec­kten Haaren und dem Pfauenkost­üm lächelt sie an. „Ja, danke. Ich kümmere mich drum.“Ihre drei Kolleginne­n schütteln die Köpfe. Setty Mois (22) ist die jüngste Tänzerin im „The Bunny Burlesque St. Pauli“an der Großen Freiheit. Und schon jetzt ein Star in der Szene. Ein Star, der mit seinen Eltern auf dem Dorf lebt und auch mal für Nachschub beim Klopapier sorgt.

Die jungen Frauen im Publikum kreischen, als Setty in einer glitzernde­n Robe mit Schlitz bis zum Schritt die Bühne betritt. Anmutig dreht sie sich, blickt arrogant und mit leicht geöffnetem Mund ins Publikum. Die Tänzerin lässt die Hüllen fallen, ganz langsam. Bei jedem Teil, das zu Boden geht, rufen und pfeifen die Frauen auf den roten Samtbänken. Die Männer sitzen starrend daneben, klatschen verhalten, als sei zu viel Begeisteru­ng unangemess­en. Setty genießt die Show, lässt sich am Ende den Hintern von ihrer Kollegin und „Burlesque-Mama“Eve Champagne ablecken.

„Etwa 70 Prozent unseres Publikums sind weiblich. Die Frauen rasten immer völlig aus. Sie freuen sich, weil es starke Frauen auf der Bühne sind, die machen, was sie wollen.“Die Tänzerinne­n seien eine Art Vorbild. „Es ist schön, wenn eine Frau eine andere Frau für das feiert, was sie tut“, sagt Setty.

Schon als Kind tanzte sie Ballett, Jazz, Hip-Hop und Latein. Ihre Shows sind jedes Mal anders. Denn sie performt spontan. „Es kommt drauf an, wie ich mich fühle und wie das Publikum mitgeht. Wenn die Leute ausrasten, entsteht eine Energie, bei der meine Shows dann auch stärker sind.“Mal ist sie Diva, mal Vamp. Doch eines ist immer gleich: Am Ende bleibt das Höschen an und die Brüste sind mit sogenannte­n Nipple Pasties bedeckt. „Ganz ausziehen würde ich mich nicht. Das ist privat. Meinen Schamberei­ch und meine Nippel behalte ich lieber für mich“, sagt die blonde Frau lachend, die mit bürgerlich­em Namen Char

Etwa 70 Prozent unseres Publikums sind weiblich. Die Frauen rasten immer völlig aus. Es ist schön, wenn eine Frau eine andere Frau für das feiert, was sie tut.

Setty Mois

lotta Coats heißt.

Bei ihrem Künstlerna­men würden viele an etwas Französisc­hes denken. Weit gefehlt: Er entstand schon in der Kindheit. Ihre Eltern sagten immer CharlottaM­aus zu ihr. „Wenn mich jemand fragte, wie ich heiße, habe ich Setty Mois gesagt. Deshalb war ich immer Setty.“

Schon mit etwa 13 Jahren wusste die heute 22-Jährige, dass sie Burlesque-Tänzerin werden will. Als sie sich Videos im Internet anschaute, stieß sie zufällig auf eins der bekannten Tänzerin Dita von Teese und beschäftig­te sich mit der Szene. „Ich war fasziniert davon, dass es im Burlesque nicht um Mainstream-Ästhetik geht. Jeder Körper ist schön und kann auf der Bühne gezeigt werden – egal, wie er aussieht.“

Bauchansat­z, Fältchen, hängende Brüste: Das alles sieht man auf der Bühne des „Bunny Burlesque“. Und es wird nicht kaschiert, sondern selbstbewu­sst präsentier­t. „Man findet jede Körperform, jedes Alter, jede Sexualität und jedes Geschlecht. Das finde ich toll“, sagt die junge Frau. Beim Burlesque, das in den 20er Jahren entstand, wird das Ausziehen zelebriert. Im Gegensatz zum Strippen: Da wird das Nacktsein zelebriert. „Es kann komisch sein, sinnlich oder zum Nachdenken anregen. Mit jeder Performanc­e erzählen wir eine Geschichte.“

Zwar war Setty schon früh klar, dass sie Burlesque-Tänzerin werden will, aber ihre Karriere musste noch warten. Nach dem Realschula­bschluss ging sie an die Stage School, brach die Ausbildung zur Musical-Darsteller­in jedoch ab. Es folgte eine Lehre zur Hotelfachf­rau in Berlin. „Ich dachte, ich müsste was Handfestes machen. Keine brotlose Kunst.“

Aber es erfüllte sie nicht. Ihr Traum war Burlesque. Egal, was andere davon halten. Durch Events kannte sie Eve Champagne, die „Mutti“im „Bunny Burlesque“. Sie war es, die Setty einen Auftritt im Showclub von Olivia Jones ermöglicht­e. Ihr Durchbruch. Seitdem tritt sie jeden Freitag und Sonnabend im „Bunnys“auf, wird auf Veranstalt­ungen als neuer Star der Szene gefeiert und wurde 2019 in Prag zur „Bohemian Queen of Burlesque“gekürt – eine große Auszeichnu­ng.

Für die einen ist es Kunst, für die anderen eine Form der Prostituti­on. Setty zuckt mit den Schultern. „Die Leute dürfen gerne ihre Meinung haben. Mein Tipp ist aber, sich erst einmal anzuschaue­n, was wir machen, bevor man voreilige Schlüsse zieht. Aber das ist ja generell so mit Vorurteile­n.“Getratsche und Missgunst kennt sie. Nicht unter Kolleginne­n, sondern privat. Denn die Tänzerin lebt fernab der Glitzerwel­t das totale Kontrastpr­ogramm.

Gemeinsam mit ihren Eltern, ihrem Bruder, Hunden und Katzen wohnt sie in einem alten Bauernhaus mitten in der Lüneburger Heide. Mächtige Kastanien überragen das Backsteinh­aus mit den weißen Sprossenfe­nstern, rote Rosen säumen den Eingang. Im parkähnlic­hen Garten ein großer See, davor ein gusseisern­er Pavillon. Eine Idylle, die in dem 2000-Seelen-Ort zeitweise zur Belastung wurde. Eine junge Frau, ohne Partner, die nachts auf dem Kiez arbeitet und sich auszieht – das sorgte für Getuschel. Um das Gerede zu beenden, entschiede­n sich Setty und ihre Familie für Aufklärung zu sorgen. Sie schrieben Einladungs­karten an Nachbarn, Freunde und Bekannte und veranstalt­eten BurlesqueS­hows im Garten. „Ich wollte denen einfach zeigen, was genau ich mache. Und sie fanden es toll“, sagt Setty.

Auch ihre eigene Familie steht hinter ihr. „Anfangs dachte ich noch, das gibt sich. Aber hat es nicht. Burlesque ist ihr Traum und wir respektier­en das. Hauptsa

che sie ist glücklich“, sagt Stephanie Coats (53). Die Mutter der Tänzerin hat schon etliche Shows ihrer Tochter gesehen und akzeptiert den Beruf nicht nur, sie ist stolz auf ihre Tochter und unterstütz­t sie. Die gelernte Schneideri­n, deren Atelier im Erdgeschos­s des Bauernhaus­es ist, steckt wochenlang­e Arbeit in die Roben und Kostüme ihrer Tochter. Gemeinsam arbeiten sie an Schnitt-Konzepten, wählen Stoff und Accessoire­s aus. „Dass meine Eltern mich so unterstütz­en, macht mich stolz. Das ist keine Selbstvers­tändlichke­it.“Viele ihrer Kolleginne­n würden ihren Job geheim halten oder hätten deswegen Probleme mit den Eltern.

Setty kann nicht verstehen, warum sich andere wegen des Tanzens von einem abwenden. Denn eigentlich gehe es ja um den Menschen hinter all dem Glitzer. „Ich bin ein aufgeschlo­ssener, lieber und treuer Mensch.“Ja, auch ein Star im Hamburger Nachtleben. Aber einer, der kein Problem damit hat, das Klopapier zu holen.

Ganz ausziehen würde ich mich nicht. Meinen Schamberei­ch und meine Nippel behalte ich lieber für mich.

Setty Mois

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Wenn Burlesque-Tänzerin Setty Mois (22) die Hüllen fallen lässt, sind es die Frauen, die völlig ausrasten.
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Unten: Setty mit einem von ihrer Mutter geschneide­rten Kleid auf der Bühne
Oben: Setty Mois macht sich in der kleinen Keller-Garderobe fertig für den Auftritt. Mitte: Ihre Unterwäsch­e beklebt die Tänzerin selber mit glitzernde­n Steinen. Das entspannt sie. Unten: Setty mit einem von ihrer Mutter geschneide­rten Kleid auf der Bühne
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Privat liebt sie die Ruhe in ihrem Elternhaus auf dem Dorf.
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Feinschlif­f: Kollegin Eve Champagne hilft Setty mit dem Straps.
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Die Tänzerin auf der Bühne des „Bunny Burlesque St. Pauli“
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Setty zieht sich für die teuflische Nummer um.
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Verführeri­sch: Setty präsentier­t sich gerne sexy. Nackt ausziehen würde sie sich aber nicht.

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