SERIE KIEZ-MENSCHEN
Setty Mois ist Burlesque-Star und lebt auf dem Dorf:
Raus aus dem einen Fummel, rein in den nächsten Fummel. Schnell noch mal Lippenstift und Puder auftragen. Und wo ist jetzt der Kajalstift abgeblieben? Hektik. In drei Minuten beginnt die nächste Show. Da quetscht sich auf einmal eine Frau mit Igel-Haarschnitt in die kleine Garderobe im Keller. „Das Toilettenpapier ist alle“, sagt die Besucherin trocken und schaut Setty erwartungsvoll an. Die elegante Blondine mit den hochgesteckten Haaren und dem Pfauenkostüm lächelt sie an. „Ja, danke. Ich kümmere mich drum.“Ihre drei Kolleginnen schütteln die Köpfe. Setty Mois (22) ist die jüngste Tänzerin im „The Bunny Burlesque St. Pauli“an der Großen Freiheit. Und schon jetzt ein Star in der Szene. Ein Star, der mit seinen Eltern auf dem Dorf lebt und auch mal für Nachschub beim Klopapier sorgt.
Die jungen Frauen im Publikum kreischen, als Setty in einer glitzernden Robe mit Schlitz bis zum Schritt die Bühne betritt. Anmutig dreht sie sich, blickt arrogant und mit leicht geöffnetem Mund ins Publikum. Die Tänzerin lässt die Hüllen fallen, ganz langsam. Bei jedem Teil, das zu Boden geht, rufen und pfeifen die Frauen auf den roten Samtbänken. Die Männer sitzen starrend daneben, klatschen verhalten, als sei zu viel Begeisterung unangemessen. Setty genießt die Show, lässt sich am Ende den Hintern von ihrer Kollegin und „Burlesque-Mama“Eve Champagne ablecken.
„Etwa 70 Prozent unseres Publikums sind weiblich. Die Frauen rasten immer völlig aus. Sie freuen sich, weil es starke Frauen auf der Bühne sind, die machen, was sie wollen.“Die Tänzerinnen seien eine Art Vorbild. „Es ist schön, wenn eine Frau eine andere Frau für das feiert, was sie tut“, sagt Setty.
Schon als Kind tanzte sie Ballett, Jazz, Hip-Hop und Latein. Ihre Shows sind jedes Mal anders. Denn sie performt spontan. „Es kommt drauf an, wie ich mich fühle und wie das Publikum mitgeht. Wenn die Leute ausrasten, entsteht eine Energie, bei der meine Shows dann auch stärker sind.“Mal ist sie Diva, mal Vamp. Doch eines ist immer gleich: Am Ende bleibt das Höschen an und die Brüste sind mit sogenannten Nipple Pasties bedeckt. „Ganz ausziehen würde ich mich nicht. Das ist privat. Meinen Schambereich und meine Nippel behalte ich lieber für mich“, sagt die blonde Frau lachend, die mit bürgerlichem Namen Char
Etwa 70 Prozent unseres Publikums sind weiblich. Die Frauen rasten immer völlig aus. Es ist schön, wenn eine Frau eine andere Frau für das feiert, was sie tut.
Setty Mois
lotta Coats heißt.
Bei ihrem Künstlernamen würden viele an etwas Französisches denken. Weit gefehlt: Er entstand schon in der Kindheit. Ihre Eltern sagten immer CharlottaMaus zu ihr. „Wenn mich jemand fragte, wie ich heiße, habe ich Setty Mois gesagt. Deshalb war ich immer Setty.“
Schon mit etwa 13 Jahren wusste die heute 22-Jährige, dass sie Burlesque-Tänzerin werden will. Als sie sich Videos im Internet anschaute, stieß sie zufällig auf eins der bekannten Tänzerin Dita von Teese und beschäftigte sich mit der Szene. „Ich war fasziniert davon, dass es im Burlesque nicht um Mainstream-Ästhetik geht. Jeder Körper ist schön und kann auf der Bühne gezeigt werden – egal, wie er aussieht.“
Bauchansatz, Fältchen, hängende Brüste: Das alles sieht man auf der Bühne des „Bunny Burlesque“. Und es wird nicht kaschiert, sondern selbstbewusst präsentiert. „Man findet jede Körperform, jedes Alter, jede Sexualität und jedes Geschlecht. Das finde ich toll“, sagt die junge Frau. Beim Burlesque, das in den 20er Jahren entstand, wird das Ausziehen zelebriert. Im Gegensatz zum Strippen: Da wird das Nacktsein zelebriert. „Es kann komisch sein, sinnlich oder zum Nachdenken anregen. Mit jeder Performance erzählen wir eine Geschichte.“
Zwar war Setty schon früh klar, dass sie Burlesque-Tänzerin werden will, aber ihre Karriere musste noch warten. Nach dem Realschulabschluss ging sie an die Stage School, brach die Ausbildung zur Musical-Darstellerin jedoch ab. Es folgte eine Lehre zur Hotelfachfrau in Berlin. „Ich dachte, ich müsste was Handfestes machen. Keine brotlose Kunst.“
Aber es erfüllte sie nicht. Ihr Traum war Burlesque. Egal, was andere davon halten. Durch Events kannte sie Eve Champagne, die „Mutti“im „Bunny Burlesque“. Sie war es, die Setty einen Auftritt im Showclub von Olivia Jones ermöglichte. Ihr Durchbruch. Seitdem tritt sie jeden Freitag und Sonnabend im „Bunnys“auf, wird auf Veranstaltungen als neuer Star der Szene gefeiert und wurde 2019 in Prag zur „Bohemian Queen of Burlesque“gekürt – eine große Auszeichnung.
Für die einen ist es Kunst, für die anderen eine Form der Prostitution. Setty zuckt mit den Schultern. „Die Leute dürfen gerne ihre Meinung haben. Mein Tipp ist aber, sich erst einmal anzuschauen, was wir machen, bevor man voreilige Schlüsse zieht. Aber das ist ja generell so mit Vorurteilen.“Getratsche und Missgunst kennt sie. Nicht unter Kolleginnen, sondern privat. Denn die Tänzerin lebt fernab der Glitzerwelt das totale Kontrastprogramm.
Gemeinsam mit ihren Eltern, ihrem Bruder, Hunden und Katzen wohnt sie in einem alten Bauernhaus mitten in der Lüneburger Heide. Mächtige Kastanien überragen das Backsteinhaus mit den weißen Sprossenfenstern, rote Rosen säumen den Eingang. Im parkähnlichen Garten ein großer See, davor ein gusseiserner Pavillon. Eine Idylle, die in dem 2000-Seelen-Ort zeitweise zur Belastung wurde. Eine junge Frau, ohne Partner, die nachts auf dem Kiez arbeitet und sich auszieht – das sorgte für Getuschel. Um das Gerede zu beenden, entschieden sich Setty und ihre Familie für Aufklärung zu sorgen. Sie schrieben Einladungskarten an Nachbarn, Freunde und Bekannte und veranstalteten BurlesqueShows im Garten. „Ich wollte denen einfach zeigen, was genau ich mache. Und sie fanden es toll“, sagt Setty.
Auch ihre eigene Familie steht hinter ihr. „Anfangs dachte ich noch, das gibt sich. Aber hat es nicht. Burlesque ist ihr Traum und wir respektieren das. Hauptsa
che sie ist glücklich“, sagt Stephanie Coats (53). Die Mutter der Tänzerin hat schon etliche Shows ihrer Tochter gesehen und akzeptiert den Beruf nicht nur, sie ist stolz auf ihre Tochter und unterstützt sie. Die gelernte Schneiderin, deren Atelier im Erdgeschoss des Bauernhauses ist, steckt wochenlange Arbeit in die Roben und Kostüme ihrer Tochter. Gemeinsam arbeiten sie an Schnitt-Konzepten, wählen Stoff und Accessoires aus. „Dass meine Eltern mich so unterstützen, macht mich stolz. Das ist keine Selbstverständlichkeit.“Viele ihrer Kolleginnen würden ihren Job geheim halten oder hätten deswegen Probleme mit den Eltern.
Setty kann nicht verstehen, warum sich andere wegen des Tanzens von einem abwenden. Denn eigentlich gehe es ja um den Menschen hinter all dem Glitzer. „Ich bin ein aufgeschlossener, lieber und treuer Mensch.“Ja, auch ein Star im Hamburger Nachtleben. Aber einer, der kein Problem damit hat, das Klopapier zu holen.
Ganz ausziehen würde ich mich nicht. Meinen Schambereich und meine Nippel behalte ich lieber für mich.
Setty Mois