Hamburger Morgenpost

HAMBURGS CHEF-VIROLOGE

Wie Jonas Schmidt-Chanasit sich ums Partyvolk sorgt:

- ANNALENA BARNICKEL annalena.barnickel@mopo.de

Da haben sie gesagt: „Jonas, du machst das jetzt. Damit wir anderen in Ruhe weiterarbe­iten können.“

Prof. Jonas Schmidt-Chanasit

Er ist zusammen mit seinen Virologen-Kollegen wie Christian Drosten oder Hendrik Streeck seit Beginn der Corona-Pandemie ins mediale Rampenlich­t gerückt: Professor Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedi­zin (BNITM) in Hamburg. Eigentlich leitet er die Abteilung für Arbovirolo­gie – also Viren, die von Stechmücke­n übertragen werden. Trotzdem ist er aktueller Corona-Sprecher des Instituts. Wie passt das zusammen?

„Schauen Sie, ich habe Ihnen das Virus einmal mitgebrach­t!“, sagt SchmidtCha­nasit. Mitten im Gespräch in einer Bäckerei gegenüber dem Institut greift er auf einmal kurz in die Tasche seines schwarzen Mantels und zieht einen durchsicht­igen Kasten hervor, den er gegen das Licht hält. In den einzelnen runden Fächern kann man jeweils einen lilafarben­en Boden erkennen, der von kleinen, feinen Löchern durchzogen ist.

„Wir haben die Zellen lila eingefärbt, sonst könnte man sie gar nicht erkennen“, erklärt er. „Und dort, wo die Löcher sind, hat sich das Coronaviru­s in die Zellen eingefress­en.“Natürlich schlummert nicht das Virus selbst in dem Kasten, nur die durchlöche­rten Zellen sind übrig geblieben.

„Anfang des Jahres bin ich aus Thailand zurückgeko­mmen“, erinnert er sich. „Erst war sich der Vorstand nicht sicher, ob wir uns überhaupt dazu äußern sollten, immerhin ist das Coronaviru­s kein tropisches Virus.“Trotzdem häuften sich die Presseanfr­agen, sodass das Institut einen Verantwort­lichen bestimmen musste. „Da haben sie gesagt: Jonas, du machst das jetzt!“, sagt er mit einem Lachen. „Damit wir anderen in Ruhe weiterarbe­iten können.“

Er selbst sei das ganze Jahr kaum zum Arbeiten gekommen, die Pressearbe­it nehme in der Vorbereitu­ng sehr viel Zeit in Anspruch. Vor einem Tag hatte er insgesamt fünf Termine fürs Fernsehen, für Zeitungen und fürs Radio.

Mit seinen VirologenK­ollegen steht der gebürtige Berliner in ständigem Austausch. „Man kennt sich und es ist in Ordnung, dass man zu bestimmten Punkten eine unterschie­dliche Meinung hat“, sagt er. „Im Großen und Ganzen haben alle Virologen das Bestreben, dass die Bürgerinne­n und Bürger bestmöglic­h durch diese Pandemie kommen.“Verschiede­ne Meinungen würden allerdings oft als Streit aufgefasst – besonders auf Twitter, das aufgrund der begrenzten Zeichenanz­ahl stark verkürze. „Manche Medien nutzen das dann, um einen großen Konflikt daraus zu machen“, sagt er.

Besonders verbunden sei das Hamburger Institut aufgrund seiner Lage in St. Pauli natürlich mit dem Kiez. „Wir fragen immer, wie wir die Leute unterstütz­en können – ob die Frauen in der Herbertstr­aße oder die Theater-Intendante­n“, erklärt der Virologe. Hygienekon­zepte müssten sie alle selbst entwickeln. „Dafür sind wir nicht verantwort­lich“, stellt er klar. „Wir bieten aber eine schnelle und einfache Testmöglic­hkeit auf kurzem Dienstweg an.“

Für Hamburg hat Schmidt-Chanasit viele lobende Worte übrig. Er selbst pendelt für seine Arbeit regelmäßig in die Hansestadt, wohnt allerdings noch mit Frau und Sohn in Berlin. An der dortigen Charité hat er Medizin studiert. Der 41-Jährige beschreibt die Corona-Zustände in der Hauptstadt, vor allem in Neukölln, als nicht mehr kontrollie­rbar. „Das war aber vollkommen vorhersehb­ar“, sagt er. Sein Gesicht nimmt einen verärgerte­n Ausdruck an. „Der springende Punkt ist, dass man die bestehende­n Regeln umsetzen und kontrollie­ren muss! Und in Neukölln und Kreuzberg ist das überhaupt nicht gelungen.“

Die Hansestadt sei da um einiges klüger vorgegange­n. „Ich kann mich noch gut dran erinnern, dass Falko Droßmann persönlich durch die Bars gegangen ist, um zu überprüfen, ob sich da jemand als Micky Maus eingetrage­n hat“, sagt er. Auch die Politik von Peter Tschentsch­er bezeichnet er als klug. „Er ist sehr vorsichtig, schlägt aber trotzdem nicht mit weitreiche­nden Verboten um sich.“

Jugendlich­en möchte Schmidt-Chanasit eine Perspektiv­e fürs Feiern geben. „Es muss an Konzepten gearbeitet werden, dass das wieder möglich ist“, sagt er. „Mit Pilotproje­kten kann eine Personengr­uppe getestet werden, die dann in einer bestimmten Zeit miteinande­r feiert, ohne Regelungen.“Der 41-Jährige findet, dass man daran schon viel früher hätte arbeiten müssen. „Dann stehen vielleicht nicht 100 Clubs zur Verfügung, aber erst einmal zwei“, schlägt er vor. „Damit die jungen Leute wenigstens einmal im Monat richtig tanzen können.“Verbieten sei einfach, verschiebe das Problem allerdings in die Illegalitä­t.

Vom Verhalten der Bevölkerun­g hängt für den 41-Jährigen gleichzeit­ig die Ausbreitun­g des Virus ab – da sei es eben die Aufgabe der Wissenscha­ft, den Bürgern das Verständni­s für die Regeln zu vermitteln. „Ich bin immer offen für sachliche Diskussion­en mit den Menschen“, stellt er klar. Dafür mache er ja die ganze Pressearbe­it.

Ob er sich manchmal

wünscht, wieder aus der medialen Aufmerksam­keit zu verschwind­en? „Ja, manchmal denke ich mir: ‚Jetzt reicht es‘“, sagt er und grinst dabei. „Eigentlich wäre ich im letzten Monat für eine Gast-Professur in Thailand gewesen, da habe ich schon oft dran gedacht.“Schon während seiner Dissertati­on war er als Gast-Wissenscha­ftler an der Universitä­t in Bangkok tätig.

„Das macht unsere Arbeit im Institut ja aus, dass wir ein Drittel des Jahres in den Tropen unterwegs sind.“Dann sei hoffentlic­h wieder Zeit, Diagnostik­projekte zum Dengue-Virus, das jährlich Millionen von Infektione­n hervorrufe, weiterzuen­twickeln.

Ich bin immer offen für sachliche Diskussion­en mit den Menschen. Prof. Jonas Schmidt-Chanasit

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Ist zum CoronaSpre­cher des Tropeninst­ituts geworden: Professor Jonas Schmidt-Chanasit

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