Maas im Interview Der Außenminister über Trump, Brexit und Türkei:
Bundesaußenminister Heiko Maas (54, SPD) im Interview mit dem RND
BERLIN - Die Welt hat augenblicklich auch jenseits von Corona genügend Baustellen, die einen Außenminister auf Trab halten können. Ob die bevorstehende US-Wahl, Russland, die Türkei oder Großbritannien und der Brexit: Bundesaußenminister Heiko Maas hat eine ganze Palette an Aufgaben. Mit dem 54-jährigen Sozialdemokraten sprach Marina Kormbaki.
Herr Minister, erfüllt Sie der USWahlkampf mit Sorge oder Hoffnung?
Wahlkämpfe besorgen mich nicht. Wahlkämpfe sind Ausdruck von Demokratie. In der Sache und im Stil kann man geteilter Meinung sein. Wir haben auch in Deutschland schon geschmacklose Wahlkämpfe erlebt. Ich zeige nicht mit dem Finger auf die USA, sondern sehe in diesem Wahlkampf einen ernsten demokratischen Wettstreit, bei dem es um viel geht.
Würde es denn mit Joe Biden als Mann im Weißen Haus einfacher werden?
Ich gehöre nicht zu denen, die meinen, dass mit einem Präsident Biden „alles wieder gut“würde. Die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik ist seit Jahren dabei, ihre im Kalten Krieg angenommene Rolle in der Welt strategisch neu auszurichten. Wir müssen uns darauf einrichten, dass sich an dieser Grundtendenz strukturell nichts ändern wird. Möglicherweise sprechen wir uns unter einer anderen Regierung mit den Amerikanern besser ab. Es bleibt aber die Lehre: Wir Europäer müssen mehr Eigenverantwortung übernehmen.
Einig sind sich US-Republikaner und Demokraten in ihrer Ablehnung gegenüber der Ostseepipeline Nordstream 2. Wird sie zu Ende gebaut?
Ich gehe davon aus, dass Nordstream 2 zu Ende gebaut wird. Die Frage ist, wann. Über unsere Energiepolitik und Energieversorgung entscheiden wir hier in Europa. Wir kritisieren ja auch nicht, dass die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr ihre Ölimporte aus Russland mehr als verdoppelt haben und jetzt der weltweit zweitgrößte Importeur russischen Schweröls sind. Die USA nehmen ihr Recht auf eine eigenständige Energiepolitik wahr. Wir tun das auch.
Nachdem die EU im Fall Nawalny Sanktionen verhängt hat, droht Moskau mit Gegensanktionen. Bricht eine Eiszeit im deutschrussischen Verhältnis an?
Nein. Daran kann auch niemand ein Interesse haben. Auf den Fall Nawalny haben wir schnell eine klare europäische Antwort gegeben. Das war bei einem so schweren Bruch des Völkerrechts auch nötig. Bedauerlicherweise haben wir in Deutschland aber auch andere Konfliktthemen mit Moskau wie etwa den Tiergartenmord und den Hackerangriff auf den Bundestag. Unser Verhältnis zu Russland bleibt kompliziert. Deshalb werden wir auch in Zukunft auf inakzeptable Aktionen aus
Russland eine europäische Antwort geben müssen.
Die Türkei zeigt sich in Libyen, aber auch im Erdgasstreit mit Griechenland und Zypern unbeeindruckt von Sanktionsdrohungen. Erfordert die militarisierte türkische Außenpolitik einen Strategiewechsel?
Die Türkei hat mit der neuerlichen Entsendung des Forschungsschiffes „Oruc Reis“zu Wochenbeginn die zuvor mühsam auch von uns vermittelte Vertrauensatmosphäre schwer beschädigt. Deswegen sah ich in dieser Woche von einer geplanten Reise nach Ankara ab. Aber: Auch die Türkei kann kein Interesse an einem dauerhaften Fortbestand all der Konflikte haben, auf die sie Ein
fluss nimmt. Die Türkei ist an den Konflikten in Libyen, Syrien, im östlichen Mittelmeer sowie in Armenien und Aserbaidschan beteiligt. Strategisch sollte der Türkei auch daran gelegen sein, diese Konflikte zu entschärfen.
Erwägen Sie Sanktionen ?
Wir bemühen uns bis Dezember um Verhandlungslösungen, so hat es der Europäische Rat beschlossen. Sollte dies nicht möglich sein, weil Verhandlungsbemühungen torpediert werden, werden wir uns über andere Mittel Gedanken machen müssen.
Wird Großbritannien die EU tatsächlich ohne Deal verlassen?
Großbritannien hat die EU ja bereits verlassen, mit einem Austrittsabkommen, in dem viele wichtige Fragen schon geregelt sind. Aber was einen sogenannten No Deal 2.0 angeht: Das wäre weder im britischen Interesse noch im europäischen. Die Bürgerinnen und Bürger haben durch die Corona-Pandemie aktuell wirklich genug andere Sorgen. Wir wollen eine Einigung. Es ist aber auch richtig, dass die Zeit dafür jetzt wirklich knapp wird. Wir bereiten uns auf alle Szenarien vor.
Droht bei steigenden Corona-Infektionen eine Wiederholung des Grenzchaos vom Frühjahr?
Wir wollen die Fehler aus dem Frühjahr nicht erneut begehen, das gilt auch für Grenzen. Damals waren kilometerlange Staus an der deutsch-polnischen Grenze die Folge. Historische geglaubte Debatten an der deutsch-französische Grenze brachen wieder auf. Das darf sich nicht wiederholen.