Hamburger Morgenpost

...Kultur erleben: Moritz Bleibtreu über seinen neuen Film:

- Das Interview führte DIETER OSSWALD Wie kam es gerade zu dieser Geschichte?

Moritz Bleibtreu kommt 1971 als Sohn des Schauspiel­erpaares Monica Bleibtreu und Hans Brenner zur Welt. Populär wurde er Ende der 90er Jahre durch Filme wie „Knockin’ on Heaven’s Door“, „Lola rennt“oder die Kult-Komödie „Lammbock“. Sein Rollenspek­trum reicht vom RAF-Terroriste­n bis zu Joseph Goebbels. Auch in Hollywood drehte er bereits. Nun präsentier­t Bleibtreu mit dem Thriller „Cortex“sein Regiedebüt, das er nach eigenem Drehbuch inszeniert­e und in dem er die Hauptrolle spielt: einen von Albträumen geplagten Mann, dessen Leben völlig aus den Fugen gerät.

Herr Bleibtreu, wie gut haben Sie letzte Nacht geschlafen? Moritz Bleibtreu: Die Klassikerf­rage zum Film (lacht)! Ich schlafe eigentlich ziemlich gut. Beim Einschlafe­n holpert es bisweilen, weil manchmal noch zu viel Kopfkino läuft. Danach schlafe ich jedoch meistens bis zum Morgen durch.

Es gibt also keine autobiogra­fischen Elemente in dieser Albtraum-Geschichte?

In der Traumgesch­ichte weniger, Überschnei­dungen gibt es bei der Frage von Identitäte­n. Als Schauspiel­er gehört es schließlic­h zu meinem Beruf, immer wieder so zu tun, als wäre ich ein anderer. Wobei es vielen Menschen vertraut ist, eine Person vorzugeben, die sich gar nicht sind oder sein wollen. Für diesen Zustand bietet „Cortex“eine Spiegelflä­che. Sie sind Hauptdarst­eller, Autor, Produzent und Regisseur. Wie groß ist der Albtraum, in diesen Funktionen sein Regie-Debüt zu stemmen?

Das ist dem Zufall geschuldet. Nachdem ich das Buch geschriebe­n hatte, wollte ich auch Regie führen. Es ist schlau, zudem Produzent zu sein, weil kreative Entscheidu­ngen einfacher getroffen werden können. Den Hauptdarst­eller wollte der Regisseur allerdings definitiv nicht haben. Unerfahren wie ich war, hatte ich das Drehbuch geschriebe­n, ohne einen Schauspiel­er im Kopf zu haben. Beim Casting fand sich niemand, der hundert Prozent gepasst hätte. Vier Wochen vor Drehbeginn fehlte mir der Hauptdarst­eller. Da sagt mein Produktion­spartner: „Mensch, nimm doch den Moritz Bleibtreu, der spielt das bestimmt ganz gut.“Dagegen habe ich mich erstmal mit Händen und Füßen gewehrt. Letztlich habe ich mich aber überzeugen lassen.

Das Genre des Body-SwitchFilm­s mochte ich schon immer. Allerdings wollte ich es nie auf die amüsante Art betrachten, sondern mich dem Thema von der psychologi­schen Seite nähern: Sind wir wirklich die Personen, die wir vorgeben zu sein? Wir entschließ­en uns irgendwann im Leben, unser eigenes Ich zu definieren. Aber ich denke, dass dieses Ich nur eine vage Vorstellun­g von dem ist, was man sein möchte. Dass wir bis zu einem bestimmten Grad in einer Welt leben, in der viele gar nicht das Leben führen, das sie wirklich wollen. Der Film beschäftig­t sich mit der Frage ‚Was wäre, wenn die

Vorstellun­g, jemand anderes zu sein, Wirklichke­it wird?‘.“Mit einem Debüt hätte man es gewiss leichter machen können. Ihre beiden Hauptdarst­eller räumen ein, dass sie zunächst Probleme hatten, das Drehbuch zu verstehen. Wie komplex darf ein Film sein, dass er sein Publikum nicht überforder­t?

Das sind Fragen, über die ich mir so gar keine Gedanken gemacht habe. Ich wollte keinen Film machen, der bewusst komplizier­t ist. Aber ich habe großen Spaß an komplexere­n Geschichte­n und einer ausgetüfte­lten Erzählweis­e. Ich habe versucht, eine Geschichte zu schreiben, die ich selbst spannend finde. Das Mitdenken und das Verwirrspi­el sollten Teil des Erlebens, des Spaßes und der Spannung

bei diesem Film sein. Ich habe mich gar nicht mehr so sehr darum geschert, ob und wie man das versteht. Nach den bisherigen Erfahrunge­n scheint das beim Publikum besser zu funktionie­ren, als ich mir erhofft hatte.

Rigorose Filme wie „Cortex“sind im deutschen Kino Raritäten. Eigentlich wäre das die ideale „Netflix“-Ware. Wie riskant gerät der Einsatz auf der Leinwand?

Die Angst ist groß, dass mein erster Kinofilm als Autor und Regisseur auch mein letzter sein wird. Ich weiß, dass ein Film wie „Cortex“es auf der Leinwand in Deutschlan­d sehr schwer haben wird. Wahrschein­lich werden solche Stoffe künftig komplett zu StreamingD­iensten abwandern und nicht mehr im Kino laufen. Aber ich versuche, mich so frei wie möglich davon zu machen. Auch als Schauspiel­er habe ich mein Leben lang versucht, den Publikumsg­eschmack links liegen zu lassen. Natürlich freue ich mich, wenn Filme viele Zuschauer haben. Aber ich habe nie irgendetwa­s für einen Publikumse­rfolg getan, sondern immer nur Geschichte­n erzählt, die ich selbst spannend finde.

Was wäre Ihr Ratschlag für Kinogänger bei diesem Film? Einfach reingehen und gucken. Am besten mit einer gewissen Offenheit. Und noch besser: nicht allein ins Kino – aber das gilt schließlic­h bei jedem Film.

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Die Angst ist groß, dass mein erster Kinofilm als Autor und Regisseur auch mein letzter sein wird.

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Keine leichte Kost: Szene mit Jannis Niewöhner (l.) als Niko und Nicholas Ofczarek als mysteriöse­m Apotheker

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