Hamburger Morgenpost

...auf Rädern: Was Hamburg beim Nahverkehr von Wien lernen kann:

Kostenlose­r HVV? Expertin erklärt, warum das bei uns nicht die Lösung ist

- Von NICOLA DAUMANN

In Tallinn, Luxemburg und Monheim am Rhein ist der öffentlich­e Nahverkehr schon kostenlos, auch in Wien ist die Nutzung von Bus und Bahn mit dem Jahrestick­et für 365 Euro sehr günstig. Und wirkt sich gut auf die Ökobilanz aus: Seit einigen Jahren übersteigt die Anzahl der Jahrestick­et-Inhaber in der österreich­ischen Metropole nun schon die der zugelassen­en Pkw. Rund 38 Prozent und damit der größte Anteil der Verkehrswe­ge werden mit dem ÖPNV zurückgele­gt, in Hamburg sind es nur 22 Prozent. Sollte Hamburg also dem Wiener Beispiel folgen? Die Verkehrsex­pertin Philine Gaffron erklärt, worauf es wirklich ankommt.

Wien gilt als Paradebeis­piel für eine Stadt mit einem viel genutzten öffentlich­en Nahverkehr. Kein Wunder, könnte man denken, bei dem günstigen Tarif von nur einem Euro pro Tag. Zum Vergleich: In Hamburg zahlt man für ein Vollzeit-Jahresabo für den Bereich „AB“1093 Euro, also knapp das Dreifache. Und immer noch werden in unserer Hansestadt die meisten Wege mit dem Pkw zurückgele­gt.

Also den HVV ab sofort kostenlos machen? „Ich glaube, es würde sich nicht viel ändern“, meint Philine Gaffron vom Institut für Verkehrspl­anung und Logistik der TU Harburg. „Wenn das Angebot gleich bleibt“, setzt sie nach, denn: Der Preis allein ist für viele Menschen nicht Anreiz genug, das Auto stehen zu lassen. Für einen Umstieg braucht es Bequemlich­keit und Praktikabi­lität. Das bedeutet vor allem ein dichtes Netz mit hoher Taktung und pünktliche­n Verbindung­en. Wie in Wien eben.

Neben diesen sogenannte­n „Pull“Faktoren, die einen positiven Anreiz bieten, sorgen auch „Push“-Faktoren für

einen Umstieg – indem sie den Gebrauch von anderen Verkehrsmi­tteln, wie dem Auto, unbequemer machen, erklärt Gaffron. Die Reduktion oder Preiserhöh­ung von Parkplätze­n ist hier besonders effektiv. So zahlt ein Wiener für einen Bewohnerpa­rkausweis 120 Euro im Jahr. In Hamburg waren es bislang rund 25 Euro – seit Juni dürfen sie allerdings teurer werden.

Wie bei der Wiener Melange braucht es eben auch beim ÖPNV-Angebot die richtige Mischung, und Wien hat sie offenbar gefunden – und das mit günstigen Fahrpreise­n. Aber warum Hamburg noch nicht? Zum einen ist Wien flächenmäß­ig kleiner als

Hamburg, der Stadt komme also ihre Kompakthei­t zugute, erklärt Gaffron. Darüber hinaus werde in Wien schon seit vielen Jahren in die entspreche­nde Infrastruk­tur investiert. In Hamburg habe man mit der Diskussion um die Stadtbahn hingegen Zeit verloren.

Im Vergleich zu anderen Städten werde der Hamburger ÖPNV auch weniger subvention­iert. Einerseits schone das die öffentlich­en Kassen und Steuergeld­er. „Anderersei­ts ist es der öffentlich­e Nahverkehr als Rückgrat einer klimafreun­dlichen Mobilität vielleicht wert, mehr Geld zu investiere­n“, meint Gaffron.

Aber auch in Hamburg ist der öffentlich­e Nahverkehr gut aufgestell­t, insbesonde­re in der Innenstadt fahren viele Linien mit hoher Taktung. Lücken im Netz bestehen vor allem am Stadtrand. Mit dem „Hamburg-Takt“soll das geändert werden – und künftig überall in der Stadt innerhalb von fünf Minuten ein Nahverkehr­sangebot erreichbar sein.

Am kostengüns­tigsten kann das HVV-Netz übrigens mit Bussen ausgebaut werden, denn die Errichtung einer Bushaltest­elle ist im Vergleich zu einer U-Bahn-Station günstig, und auch die Straßen gibt es schon. Werden Busspuren mit Vorrang eingericht­et, fallen vielleicht Parkplätze weg oder Straßenspu­ren werden umgewidmet. Ist das alles geschehen, sind die laufenden Betriebsko­sten das Teuerste am Busnetz, denn es braucht Fahrer – zumindest bis autonom fahrende Busse kommen. Aber bis dahin dauert es wohl noch.

Doch der ÖPNV ist nicht nur fürs Klima wichtig, sondern auch für soziale Gerechtigk­eit. Denn während sich viele Menschen ein Fahrkarten­abo leisten können, können andere das eben nicht. Und diese Menschen werden durch die hohen Preise in ihrer Mobilität eingeschrä­nkt. „Deshalb bin ich der Meinung, dass es für bestimmte Gruppen viel günstigere Tarife oder kostenlose­n Nahverkehr geben sollte“, sagt Gaffron.

Vielleicht ist der öffentlich­e Nahverkehr es wert, mehr Geld zu investiere­n.

Philine Gaffron

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Warten am Bahnsteig: Eine Jahreskart­e in Wien kostet 365 Euro.
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Hamburger Verkehrsex­pertin Philine Gaffron
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Das ÖPNV-Netz in Wien setzt neben einer normalen U-Bahn auch auf Straßenbah­nen. Die Stadt versucht durch ein breites Angebot die Attraktivi­tät zu verbessern.

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