...auf Rädern: Was Hamburg beim Nahverkehr von Wien lernen kann:
Kostenloser HVV? Expertin erklärt, warum das bei uns nicht die Lösung ist
In Tallinn, Luxemburg und Monheim am Rhein ist der öffentliche Nahverkehr schon kostenlos, auch in Wien ist die Nutzung von Bus und Bahn mit dem Jahresticket für 365 Euro sehr günstig. Und wirkt sich gut auf die Ökobilanz aus: Seit einigen Jahren übersteigt die Anzahl der Jahresticket-Inhaber in der österreichischen Metropole nun schon die der zugelassenen Pkw. Rund 38 Prozent und damit der größte Anteil der Verkehrswege werden mit dem ÖPNV zurückgelegt, in Hamburg sind es nur 22 Prozent. Sollte Hamburg also dem Wiener Beispiel folgen? Die Verkehrsexpertin Philine Gaffron erklärt, worauf es wirklich ankommt.
Wien gilt als Paradebeispiel für eine Stadt mit einem viel genutzten öffentlichen Nahverkehr. Kein Wunder, könnte man denken, bei dem günstigen Tarif von nur einem Euro pro Tag. Zum Vergleich: In Hamburg zahlt man für ein Vollzeit-Jahresabo für den Bereich „AB“1093 Euro, also knapp das Dreifache. Und immer noch werden in unserer Hansestadt die meisten Wege mit dem Pkw zurückgelegt.
Also den HVV ab sofort kostenlos machen? „Ich glaube, es würde sich nicht viel ändern“, meint Philine Gaffron vom Institut für Verkehrsplanung und Logistik der TU Harburg. „Wenn das Angebot gleich bleibt“, setzt sie nach, denn: Der Preis allein ist für viele Menschen nicht Anreiz genug, das Auto stehen zu lassen. Für einen Umstieg braucht es Bequemlichkeit und Praktikabilität. Das bedeutet vor allem ein dichtes Netz mit hoher Taktung und pünktlichen Verbindungen. Wie in Wien eben.
Neben diesen sogenannten „Pull“Faktoren, die einen positiven Anreiz bieten, sorgen auch „Push“-Faktoren für
einen Umstieg – indem sie den Gebrauch von anderen Verkehrsmitteln, wie dem Auto, unbequemer machen, erklärt Gaffron. Die Reduktion oder Preiserhöhung von Parkplätzen ist hier besonders effektiv. So zahlt ein Wiener für einen Bewohnerparkausweis 120 Euro im Jahr. In Hamburg waren es bislang rund 25 Euro – seit Juni dürfen sie allerdings teurer werden.
Wie bei der Wiener Melange braucht es eben auch beim ÖPNV-Angebot die richtige Mischung, und Wien hat sie offenbar gefunden – und das mit günstigen Fahrpreisen. Aber warum Hamburg noch nicht? Zum einen ist Wien flächenmäßig kleiner als
Hamburg, der Stadt komme also ihre Kompaktheit zugute, erklärt Gaffron. Darüber hinaus werde in Wien schon seit vielen Jahren in die entsprechende Infrastruktur investiert. In Hamburg habe man mit der Diskussion um die Stadtbahn hingegen Zeit verloren.
Im Vergleich zu anderen Städten werde der Hamburger ÖPNV auch weniger subventioniert. Einerseits schone das die öffentlichen Kassen und Steuergelder. „Andererseits ist es der öffentliche Nahverkehr als Rückgrat einer klimafreundlichen Mobilität vielleicht wert, mehr Geld zu investieren“, meint Gaffron.
Aber auch in Hamburg ist der öffentliche Nahverkehr gut aufgestellt, insbesondere in der Innenstadt fahren viele Linien mit hoher Taktung. Lücken im Netz bestehen vor allem am Stadtrand. Mit dem „Hamburg-Takt“soll das geändert werden – und künftig überall in der Stadt innerhalb von fünf Minuten ein Nahverkehrsangebot erreichbar sein.
Am kostengünstigsten kann das HVV-Netz übrigens mit Bussen ausgebaut werden, denn die Errichtung einer Bushaltestelle ist im Vergleich zu einer U-Bahn-Station günstig, und auch die Straßen gibt es schon. Werden Busspuren mit Vorrang eingerichtet, fallen vielleicht Parkplätze weg oder Straßenspuren werden umgewidmet. Ist das alles geschehen, sind die laufenden Betriebskosten das Teuerste am Busnetz, denn es braucht Fahrer – zumindest bis autonom fahrende Busse kommen. Aber bis dahin dauert es wohl noch.
Doch der ÖPNV ist nicht nur fürs Klima wichtig, sondern auch für soziale Gerechtigkeit. Denn während sich viele Menschen ein Fahrkartenabo leisten können, können andere das eben nicht. Und diese Menschen werden durch die hohen Preise in ihrer Mobilität eingeschränkt. „Deshalb bin ich der Meinung, dass es für bestimmte Gruppen viel günstigere Tarife oder kostenlosen Nahverkehr geben sollte“, sagt Gaffron.
Vielleicht ist der öffentliche Nahverkehr es wert, mehr Geld zu investieren.
Philine Gaffron