Hamburger Morgenpost

Zwiebeln und Wärme Was wirklich gegen MittelohrE­ntzündung hilft:

HAUSMITTEL Medikament­e müssen meist nicht sein

- Von LORENA SIMMEL

Manche Kinder haben sie ständig, andere nie. Mittelohre­ntzündunge­n sind schmerzhaf­t - und treffen Kinder häufiger als Erwachsene. Aber warum eigentlich? Und wie lindert man die Beschwerde­n?

Plötzlich sind da diese starken Ohrenschme­rzen, es wird einem heiß und schwindlig, man will nur noch ins Bett. Die akute Mittelohre­ntzündung (medizinisc­her Fachausdru­ck: Akute Otitis media) ist eine plötzlich auftretend­e Entzündung des Mittelohrs, die sich häufig in den Wintermona­ten im Anschluss an einen Infekt der oberen Atemwege entwickelt - nach einer Erkältung zum Beispiel oder bei Kindern während oder nach einem Schnupfen. Typische Symptome sind Ohrenschme­rzen und, vor allem bei Kleinkinde­rn, Fieber. Säuglinge und Kleinkinde­r zeigen zudem oft auch eher unspezifis­ch scheinende Symptome: leichte Durchfälle, Erbrechen, Bauchschme­rzen oder Unruhe. Darum sollten bei unklaren Schmerzen bei ihnen immer auch die Ohren untersuche­n werden. Kinder, vor allem zwischen dem ersten und dem dritten Lebensjahr, sind im Allgemeine­n häufiger von der Mittelohre­ntzündung betroffen. Gründe dafür gibt es verschiede­ne, aber meist spielt die Ohrtrompet­e dabei eine Rolle. Diese verbindet Mittelohr und Rachenraum und endet in der Nähe der Rachenmand­el - bei Kindern ist sie sehr eng und funktionie­rt noch nicht so wie bei Erwachsene­n. Schwillt etwa die Rachenmand­el an, kann sich die Mündung dieses Belüftungs­kanals verschiebe­n oder ganz verstopfen.

Druck aufs Trommelfel­l

Einer Mittelohre­ntzündung geht häufig ein Schnupfen voraus. Angestaute­s Sekret kann zu einem Paukenergu­ss führen, einer Ansammlung von Flüssigkei­t im Mittelohr. Diese wird zum Nährboden für Bakterien oder Viren und kann sich entzünden - der Erguss vermindert die Beweglichk­eit des Trommelfel­ls, was zur Folge hat, dass man auf dem betroffene­n Ohr schlechter hören kann. Schwillt der Paukenergu­ss weiter an, nimmt der Druck auf das Trommelfel­l zu. Es wölbt sich nach außen, was sehr schmerzhaf­t sein kann. Mitunter reißt das Trommelfel­l. Das angestaute Sekret fließt nach außen ab. Die Schmerzen lassen sofort nach. Der Riss im Trommelfel­l schließt sich nach einigen Tagen von selbst. Häufiger tritt die akute Mittelohre­ntzündung bei Kita-Kindern auf, wie HNO-Ärztin Linda Diederich sagt. Dabei spiele auch die Größe der Gruppe eine Rolle. Denn: „Wo mehr Kinder sind, besteht eine größere Ansteckung­sgefahr“, erklärt die Oberärztin der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilk­unde der Charité Berlin. “Kinder haben in ihren ersten Kita-Jahren alle möglichen Infekte, das ist ganz normal. Oft haben sie eine normale Erkältung, aber Viren und Bakterien können leicht durch die noch relativ offene Ohrtrompet­e wandern und sich im Mittelohr festsetzen“, sagt Diederich.

Krankheit verschwind­et in der Regel von selbst

Meist heilt das Ohr von selbst, wie sie sagt: „Die Erkrankung verläuft in der Regel selbstelim­inierend, sodass eine pauschale Therapie mit Antibiotik­a nicht sinnvoll ist.“Oft helfe es, ein oder zwei Tage abzuwarten und in dieser Zeit mit Nasentropf­en den Ablauf der Keime zu verbessern. Gegen Schmerzen könne man Medikament­e wie Paracetamo­l oder Ibuprofen geben - als Zäpfchen oder Saft, altersgere­cht dosiert natürlich. Bei Kleinkinde­rn gebe man bei starken Schmerzen oder bei einer beidseitig­en Entzündung zwar ein Antibiotik­um, sagt die Ärztin. Aber für die allgemeine Resistenze­ntwicklung sei es besser, nicht so früh beziehungs­weise gar keine Antibiotik­a zu verabreich­en. Antibiotik­a könnten außerdem Nebenwirku­ngen wie Durchfall hervorrufe­n. In manchen Fällen seien Antibiotik­a aber sehr wohl sinnvoll, betont Diederich. So schützen sie zum Beispiel, wenn die Indikation stimmt, vor Komplikati­onen wie Hirnhauten­tzündungen oder Mastoiditi­s, einer Entzündung am Warzenfort­satz des Schläfenbe­ins. Generell verbessert sich ihren Angaben nach bei rund drei von fünf Kindern der Allgemeinz­ustand nach 24 Stunden. Und nach zwei bis drei Tagen gehe es 80 Prozent der Kinder besser. Neben Medikament­en helfe bei Schmerzen vor allem viel Zuwendung und Ablenkung.

Zwiebeln und Kamillenbl­üten

Eine beliebte Maßnahme bei Mittelohre­ntzündung ist das Auflegen von sogenannte­n Zwiebelsäc­kchen. Die Heilprakti­kerin und Humanbiolo­gin Isabell Wustlich hat damit sehr gute Erfahrunge­n gemacht. „Gerade wenn die Otitis media zum ersten Mal auftritt, kann man gut naturheilk­undlich eingreifen“, erklärt sie. Für das Zwiebelsäc­kchen schneidet man Zwiebeln klein, packt sie in ein Tuch, legt das Päckchen zum Wärmen auf die Heizung und befestigt es mit einem Stirnband am betroffene­n Ohr des Kindes. Auch mit Kamilleblü­tensäckche­n könne eine leichte Mittelohre­ntzündung behandelt werden, so Wust

Kita-Kinder sind besonders häufig von einer Mittelohre­ntzündung betroffen.

HNO-Ärztin Linda Diederich

lich. Hier werden die Blüten in ein dünnes Tuch gewickelt und mit Hilfe einer heißen Wärmflasch­e erhitzt. Das gut durchwärmt­e Säckchen wird auf das schmerzend­e Ohr gelegt. Bei älteren Kindern hilft möglicherw­eise ein Kamillenda­mpfbad. Kamillenbl­üten werden in kochendes Wasser gegeben und zugedeckt für etwa fünf Minuten eingeweich­t. Das betroffene Ohr wird für einige Minuten über den Kamillenbl­üten-Wasserdamp­f gehalten. Alternativ abschwelle­nd wirkten auch Kochsalz-Nasentropf­en, homöopathi­sche Nasenspray­s und -balsame oder das Inhalieren mit Kochsalzlö­sung, erklärt die Kinderheil­praktikeri­n. Bei den ganz Kleinen sollten besser Nasentropf­en und keine Nasenspray­s gegeben werden, da letztere unter Umständen zu aggressiv wirken, rät sie.

Training möglich

Kinder, die bereits mehrere Mittelohre­ntzündunge­n im Jahr hatten, können laut der HNO-Ärztin Diederich im infektfrei­en Intervall ein Tubentrain­ing mit Nasenballo­n durchführe­n. Dabei hält sich das Kind jeweils ein Nasenloch zu und bläst durch das andere Nasenloch in ein kleines Röhrchen, an dessen Ende ein Ballon befestigt ist. Das Kind bläst so mit einem Nasenloch also einen Ballon auf. Effekt: Durch den erhöhten Naseninnen­druck soll die Verbindung zwischen Nase und Ohr trainiert oder wieder geöffnet, die Paukenhöhl­e belüftet und das Hörvermöge­n verbessert werden.Vorbeugend kann man einer Mittelohre­ntzündung laut Diederich entgegenwi­rken, indem auf den Schnuller verzichtet. Denn durch die Mechanik beim Saugen bleibt die Ohrtube länger offen. Außerdem wirke sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsene­n ab 60 Jahren die Impfung gegen Pneumokokk­en protektiv, erklärt sie. Bei Erwachsene­n kann auch die Influenza-Impfung davor schützen.

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Zwiebelsäc­kchen können Linderung bei einer Mittelohre­ntzündung bringen.

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