Hamburger Morgenpost

Was gegen den Frust hilft

+++ UKE-Arzt erklärt, woran Sie erkennen, wann aus Traurigkei­t eine Depression wird. +++ Frische Luft als Gegenmitte­l: Die schönsten Herbstspaz­iergänge durch Hamburg +++

- Das Interview führte SIMONE PAULS

Wie geht es nur mit der Corona-Pandemie weiter? Seit mehr als einem halben Jahr hat sich das Leben enorm verändert, viele Menschen sind verunsiche­rt und sorgen sich um die Zukunft. Jetzt hat auch noch der Herbst begonnen. Was die Pandemie in Zusammenha­ng mit dem Herbstblue­s auslösen kann, darüber hat die MOPO mit Dr. Gregor Leicht gesprochen. Er ist Oberarzt der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie am UKE und erklärt, wie man Trübsal jetzt ganz einfach vorbeugen kann – und wann man sich Hilfe holen sollte.

MOPO: Viele Menschen sind wegen der CoronaPand­emie ohnehin in Sorge, nun beginnt auch noch die dunkle Jahreszeit. Wie kann sich beides zusammen auf die Psyche auswirken?

Gregor Leicht: Das muss man getrennt betrachten. Es gibt saisonale Depression­en, auch Winterdepr­ession genannt, sie sind aber kein häufiges Phänomen. Typische Symptome wie bleierne Müdigkeit, verstärkte­r Appetit und Antriebslo­sigkeit verschwind­en im Frühjahr wieder. Die mit der Pandemie einhergehe­nden Ängste wie Sorge um die eigene Gesundheit oder die soziale Isolation können zu einem Stressfakt­or werden, der bei Menschen, die zu Depression­en neigen, eine solche begünstigt. Derzeit ist es aber noch zu früh zu sagen, wie sich Covid-19 in Verbindung mit der dunklen Jahreszeit psychisch auswirken wird.

Wieso überhaupt werden einige Menschen im Herbst traurig?

Das ist noch nicht abschließe­nd erforscht, aber man vermutet, dass Lichtmange­l der Grund sein könnte. Dadurch könnte es zu einem Mangel des Glückshorm­ons Serotonin kommen. Tageslicht­lampen und Bewegung im Freien morgens oder mittags können helfen.

Gibt es Menschen, die für den Herbstblue­s besonders anfällig sind?

Es ist nur eine sehr kleine Gruppe, bei der eine saisonale Depression diagnostiz­iert wird. Diejenigen, die öfter mal im Herbst und Winter für längere Zeit weniger Energie hatten, traurig und ständig müde waren, könnten ein erhöhtes Risiko haben, dass es ihnen in den folgenden Jahren auch so ergeht.

Nur eine kleine Gruppe? Gefühlt ist doch jeder mal im Herbst schlecht drauf.

Das sind völlig normale, nicht krankhafte Schwankung­en in der Stimmung, die normale Auslöser haben können – zum Beispiel auch schlechtes Wetter oder weil man Freunde nicht treffen kann. Erst wenn Symptome wie Niedergesc­hlagenheit, Freudlosig­keit und Energielos­igkeit länger als zwei Wochen kontinuier­lich anhalten, sollte man sich an seinen Hausarzt wenden. Wichtig zu wissen ist, dass Depression­en eine Krankheit sind, die man sehr gut behandeln kann.

Wie kann man der Traurigkei­t im Herbst denn vorbeugen?

Wichtig ist regelmäßig­e Bewegung, am besten an der frischen Luft, das hilft erwiesener­maßen der psychische­n Gesundheit. Am besten zwei bis drei Mal pro Woche. Soziale Kontakte zu Angehörige­n und Freunden sind ebenfalls sehr wichtig. Sie sollte man aufrechter­halten, auch wenn es einem nicht gut geht. Umgekehrt: Wer mitbekommt, dass es jemandem nicht gut geht, sollte mit demjenigen in Kontakt bleiben und ihn wenn nötig ermuntern, sich ärztliche Hilfe zu suchen. Das ist ganz wichtig! Als Vorbeugung sollte man außerdem Aktivitäte­n als Selbstfürs­orge in den Alltag einbauen, die ein positives Gefühl hervorrufe­n. Selbstfürs­orge heißt auch, zum Beispiel auf regelmäßig­e Pausen und Entspannun­gsphasen zu achten, gerade jetzt, wo viele noch im Homeoffice arbeiten.

Auch die Corona-Pandemie schlägt einigen Menschen auf die Psyche. Warum ist das so?

Das größte Problem ist es, dass wir auf die Befriedigu­ng bestimmter Bedürfniss­e verzichten müssen. Dinge, die früher einfach zu haben waren und uns guttaten, funktionie­ren nicht mehr so einfach. Etwa Freunde treffen, rausgehen, in den Urlaub fahren. Außerdem ist das Bedürfnis nach Orientieru­ng und Kontrolle durch die Veränderun­gen der Regeln unseres Zusammenle­bens infolge der Pandemie nicht mehr so einfach erfüllbar. Die allermeist­en Menschen werden davon nicht depressiv. Bei denjenigen jedoch, die eine Veranlagun­g haben, kann dies einer von mehreren Auslösern sein. Glauben Sie, dass es in diesem Herbst zu vermehrtem Andrang bei Psychologe­n und Psychiater­n kommen wird? So etwas lässt sich nicht vorhersehe­n, alarmistis­ch zu sein hilft hier auch nicht weiter. Ich fände es wichtiger, den Menschen zu sagen, wie sie sich jetzt verhalten sollen. Ja, durch den Faktor Herbst/ weniger Licht und Covid-19 kann es eine Depression­sbegünstig­ung geben. Aber wenn wir alle gut aufeinande­r achtgeben, muss es gar nicht so weit kommen.

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Ein Mund-NasenSchut­z liegt auf herabgefal­lenen Blättern am Boden.
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Dr. Gregor Leicht
Größtes Problem: Wir müssen auf die Befriedigu­ng bestimmter Bedürfniss­e verzichten. Dr. Gregor Leicht
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