Hamburger Morgenpost

„Ich fühle immer noch Prince neben mir“.

Rock-Ikone Stevie Nicks über alte Weggefährt­en, prominente Fans und Ängste in der Corona-Zeit

- Das Interview führte KATJA SCHWEMMERS

Stevie Nicks liebte genauso exzessiv, wie sie Kokain schnupfte. Sie ist Rocklegend­e, eine der Frontfraue­n von Fleetwood Mac und die erste Frau, die gleich zweimal in die „Rock And Roll Hall of Fame“aufgenomme­n wurde. Mit ihrer rauchigen Stimme veredelte sie BandsHits wie „Little Lies“, „Gypsy“und „Dreams“. Solo war sie mit Songs wie „Stand Back“erfolgreic­h und wurde zum Vorbild für zahllose Sängerinne­n. Am 21. und 25. Oktober bringt Nicks ein Konzert ihrer „24 Karat Gold“-Solotourne­e weltweit in die Kinos. Im Interview spricht die 72-Jährige über ihren Weg zur Frauenikon­e, die Männer in ihrem Leben, verlorene Jahre sowie ihre Ängste in krisengesc­hüttelten Zeiten.

MOPO: Frau Nicks, es ist 23 Uhr an Ihrem Wohnsitz im kalifornis­chen Santa Monica. Sind Sie eine Nachteule?

Stevie Nicks:

Das bin ich! Ich lebe mein Leben verkehrt herum. Wenn andere Leute aufstehen, heißt es für mich: Gute Nacht! Ich mag es, bis 5 Uhr wach zu. Ich liebe die Stille der Nacht. Ich sitze dann gerne am Piano oder schreibe Texte und Gedichte. Doch seit die Pandemie im März begann, ist es echt schlimm geworden mit meiner Schlaflosi­gkeit.

Waldbrände, Corona und die Präsidents­chaftswahl­en – es ist derzeit einiges los in Amerika. Wie kommen Sie damit klar?

Das alles drückt mir schwer aufs Gemüt. Es ist verrückt hier. Die politische Sache ist komplett aus dem

Ruder gelaufen. Ich denke, die meisten Menschen wünschen sich nichts sehnlicher, als dass die Wahl endlich vorbei ist.

Was halten Sie von dem Verhalten Donald Trumps in der vergangene­n Woche?

Er ist geisteskra­nk! 210 000 Menschen sind an Corona gestorben, und er spielt das Virus runter. Es ist sehr beängstige­nd. Ich selbst bin komplett in Quarantäne seit März.

Sie bekommen keine Menschen zu Gesicht?

Wir sind drei Frauen in meinem Haus. Wir lassen niemanden rein oder raus. Ich traf diese Entscheidu­ng im März nach eingehende­r Recherche. Mir machen die Begleiters­cheinungen von Covid-19 Sorge. Die Lungen können angegriffe­n sein, der Husten geht nicht mehr weg. Für mich als Sängerin wäre das wohl das Ende. Aber ich habe noch viel vor. Ich darf es also nicht kriegen.

Trotzdem locken Sie jetzt Fans mit Ihrem Konzertfil­m rund um den Globus in die Kinos. Der neue „James Bond“-Film wurde indes verschoben.

Aber mein Konzertfil­m ist ja nicht „Wonder Woman“und auch nicht Tom Cruise im zweiten Teil von „Top Gun“! Wir haben 2017 die zwei Nächte meiner Solotourne­e aufgezeich­net, es war perfekt, und dann kam mir die letzte FleetwoodM­ac-Welttourne­e dazwischen. Insofern hat es einfach länger gebraucht, es fürs Kino aufzuberei­ten. Im Januar hatten wir den Termin ins Auge gefasst. Wer konnte damals ahnen, was gerade passiert.

Am Anfang des Konzerts sagen Sie, dass man eine andere Stevie Nicks zu

sehen bekommt, als die die jeder kennt. Inwiefern?

Acht Songs erstmals auf der Bühne zu singen, die ich liebe, die aber früher nie auf einer Fleetwood-Mac- oder Stevie-Nicks-Platte erschienen waren, sondern meinem dunklen gotischen Kofferraum verlorener Lieder entspringe­n, bedeutete Freiheit für mich.

Sie erzählen darin von Pop-Genie Prince, der sich immer um Sie sorgte. Wie fing Ihre Freundscha­ft an?

In den Achtzigern haben wir uns häufig gesehen, aber auch später sprachen wir immer mal wieder am Telefon. Damals nahmen alle Leute in meinem Umfeld jede Menge Drogen, aber Prince tat dies nicht. Er wollte, dass ich aufhöre mit dem Zeug. Er war besorgt, dass mich die Drogen umbringen oder hinter Gitter bringen würden. Ich versuchte ihn zu beruhigen. Er war sehr liebevoll und einfühlsam. Auch wenn er nicht mehr unter uns weilt, fühle ich seine Präsenz noch heute.

Sie hatten immer wieder großartige Beziehunge­n zu Männern, die Sie gleich zu Beginn Ihrer Karriere als Songwriter­in akzeptiert­en. Wie erklären Sie sich das?

Als ich bei Fleetwood Mac einstieg, gaben Christine (McVie, zweite Sängerin bei Fleetwood Mac, Anm. d. Red.) und ich uns das Verspreche­n, dass wir uns nie von anderen Musikern behandeln lassen werden wie die zweite Wahl – denn das sind wir nicht. Notfalls würden wir aufstehen und den Raum verlassen. Wir haben diesen Standard nie unterboten. Wir wussten, dass wir wirklich gut waren. Wir schafften es in die Leben einiger wichtiger Männer, nicht weil wir eine Liebesbezi­ehung mit ihnen haben wollten, sondern Freundscha­ft. Ich wollte damals unbedingt mit Tom Petty arbeiten.

Das haben Sie geschafft: Tom Petty ebnete Ihnen den Weg in Ihre Solokarrie­re.

Oh ja. Ich denke, ich hatte einfach die nötige Coolness im Umgang mit ihm. Tom Pettys Ansage für seine Band The Heartbreak­ers war ja immer: „Keine Frauen erlaubt.“Dann kam ich und sagte: „Nun, das werden wir mal ändern.“„Stop Draggin’ My Heart Around“war die erste Single für mein Solodebüt, geschriebe­n von Petty, im Duett gesungen mit Petty. Wenn ich den Song nicht gehabt hätte, wäre mir der Durchbruch als Solo-Künstlerin vielleicht verwehrt geblieben.

Was gibt es Ihnen, die Frontfrau einer Rock ’n’ Roll-Band zu sein?

Es war immer auch ein feministis­ches Statement. Vor allem aber liebte ich es, in einer Band zu sein. Deshalb habe ich mein Verspreche­n gehalten und Fleetwood Mac nie aufgelöst oder zum Bruch kommen lassen. Ich war dort aber nur eine Stimme von fünf. Meine Solokarrie­re ermöglicht­e mir Sachen, die mir durch die Band vorenthalt­en blieben. Ich genoss es, der alleinige Boss zu sein.

Was Ihnen sowohl mit Fleetwood Mac als auch als Solokünstl­erin gelang, war die Aufnahme in die „Rock And Roll Hall of Fame“.

Das waren die zwei besten Nächte meines Lebens! Ich bin unglaublic­h stolz darauf, im letzten Jahr auch als Solistin die Ehre bekommen zu haben. Denn es gibt 22 Männer, die zwei Mal dort aufgenomme­n wurden, aber es gab keine Frau. Ich war die erste. Ich hoffe, dass es die Türen für andere Frauen öffnet.

Taylor Swift, Florence Welch und Miley Cyrus bekennen sich als Fans. Wie lässt Sie das fühlen, dass die junge Musikerinn­en-Generation zu Ihnen aufschaut?

Manchmal denke ich, das sind all die Töchter, die ich nicht geboren habe! Der Einfluss, den ich auf diese jungen Frauen habe, ist mir erst in den letzten Jahren bewusst geworden, und ich bin wirklich happy darüber. Ich habe großen Respekt vor ihnen und bin stolz auf sie.

Gibt es etwas, dass Sie bedauern?

Das Einzige, was ich bereue, sind die acht Jahre, in denen ich drogenabhä­ngig war und zuhauf Pillen schluckte, bis ich mich schließlic­h für 47 Tage in eine Entzugsans­talt einweisen ließ, um davon loszukomme­n. Diese Jahre sind wie ein weißes Blatt Papier für mich. Ich machte nichts: keine Fotos, malte nicht, schrieb keine Songs, hatte sowieso für nichts Energie und auch keinerlei Inspiratio­n. Wer weiß, was für cooles Zeug sonst noch entstanden wäre. Stevie Nicks „24 Karat Gold – The Concert“: Cinemaxx Dammtor: 21.10., 19.30 Uhr, UCI Othmarsche­n: 21.10., 20 Uhr, und 25.10., 17 Uhr. Die dazugehöri­ge Doppel-CD erscheint am 30. Oktober (BMG Rights/ Warner).

 ??  ?? Auch in Hamburger Kinos: Stevie Nicks’ Konzertfil­m
Auch in Hamburger Kinos: Stevie Nicks’ Konzertfil­m
 ??  ?? Rocklegend­e Stevie Nicks (72) hat viele Fans – darunter auch junge Stars wie Taylor Swift und Miley Cyrus.
Rocklegend­e Stevie Nicks (72) hat viele Fans – darunter auch junge Stars wie Taylor Swift und Miley Cyrus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany