Der „Rainbow Tours“-Prozess und das dubiose Corona-Attest
GERICHT Angeklagter erscheint nicht – angeblich wegen des Verdachts auf eine Erkrankung
Sie haben Generationen von Abiturienten nach Lloret de Mar, Paris oder an den Plattensee gekarrt: Die superbilligen Busreisen von „Rainbow Tours“gehörten zur Jugendkultur der 80er und 90er Jahre. Jetzt befasst sich das Hamburger Landgericht mit der Millionen-Pleite des Unternehmens 2011. Der Prozess beginnt mit einer dubiosen Krankmeldung.
Der Anklagevorwurf lautet auf vorsätzliche Insolvenzverschleppung. Angeklagt sind der Ex-Inhaber Mathias Kampmann (58), ein Insolvenzverwalter (64, wegen Beihilfe) und der Berliner Investor Jörg G. (61). Gegen zwei weitere Mitangeklagte wurde das Verfahren gegen Geldauflagen eingestellt, ein weiterer Angeklagter, Rechtsberater des Unternehmens, ist untergetaucht.
Gestern konnte nicht einmal die Anklage verlesen werden. Grund: Die Verteidigerin des Investors hat für ihren Mandanten Jörg G. eine zwei Tage alte ArztÜberweisung eingereicht, aus der hervorgehen soll, dass bei ihm ein CoronaVerdacht besteht. Sodann droht die Anwältin mit einer Schadenersatzforderung, sollte das Gericht über den Verdacht in der öffentlichen Hauptverhandlung sprechen.
Kammer und Staatsanwaltschaft setzten sich über die Drohung hinweg, erklärten, dass der Angeklagte unentschuldigt fehle. Der Staatsanwalt: „Das hat System. Herr G. ist gerichtserfahren und vorbestraft wegen Verstößen gegen die Buchführungspflicht. Ich glaube, er will sich absichtlich der Verhandlung entziehen.“
Der Kammervorsitzende merkt an, dass „Covid“auf der angeblichen Überweisung mit „t“geschrieben ist: „Von einem Arzt? Das ist überraschend.“Außerdem passe der Code auf der Krankschreibung nicht zu einem Corona-Verdacht. Die Kammer hat gestern auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen Jörg G. erlassen.
Mathias Kampmann ist laut Staatsanwaltschaft vorsätzliche Insolvenzverschleppung, Bankrott und Betrug vorzuwerfen. Er soll „Rainbow Tours“und ein weiteres Reiseunternehmen 2011 verkauft haben, obwohl diese bereits zahlungsunfähig waren. Mit dem Herauszögern des Insolvenzantrags habe er die rentablen Bereiche der Unternehmen retten wollen.
Der nun angeblich unter Corona-Verdacht stehende Jörg G. soll die zahlungsunfähigen Unternehmen damals gekauft und ihren Sitz nach Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern) verlegt haben. Die Anklage gegen ihn lautet ebenfalls auf vorsätzliche Insolvenzverschleppung und Bankrott.
In den Insolvenzverfahren wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft offene Forderungen von 2,5 Millionen Euro gegen das Reiseunternehmen und von 2 Millionen gegen das Busunternehmen angemeldet.
Der Prozess wird am 28. Oktober fortgesetzt, dann möglicherweise mit der polizeilichen Vorführung von Jörg G.