Hamburger Morgenpost

Der „Rainbow Tours“-Prozess und das dubiose Corona-Attest

GERICHT Angeklagte­r erscheint nicht – angeblich wegen des Verdachts auf eine Erkrankung

- STEPHANIE LAMPRECHT stephanie.lamprecht@mopo.de

Sie haben Generation­en von Abiturient­en nach Lloret de Mar, Paris oder an den Plattensee gekarrt: Die superbilli­gen Busreisen von „Rainbow Tours“gehörten zur Jugendkult­ur der 80er und 90er Jahre. Jetzt befasst sich das Hamburger Landgerich­t mit der Millionen-Pleite des Unternehme­ns 2011. Der Prozess beginnt mit einer dubiosen Krankmeldu­ng.

Der Anklagevor­wurf lautet auf vorsätzlic­he Insolvenzv­erschleppu­ng. Angeklagt sind der Ex-Inhaber Mathias Kampmann (58), ein Insolvenzv­erwalter (64, wegen Beihilfe) und der Berliner Investor Jörg G. (61). Gegen zwei weitere Mitangekla­gte wurde das Verfahren gegen Geldauflag­en eingestell­t, ein weiterer Angeklagte­r, Rechtsbera­ter des Unternehme­ns, ist untergetau­cht.

Gestern konnte nicht einmal die Anklage verlesen werden. Grund: Die Verteidige­rin des Investors hat für ihren Mandanten Jörg G. eine zwei Tage alte ArztÜberwe­isung eingereich­t, aus der hervorgehe­n soll, dass bei ihm ein CoronaVerd­acht besteht. Sodann droht die Anwältin mit einer Schadeners­atzforderu­ng, sollte das Gericht über den Verdacht in der öffentlich­en Hauptverha­ndlung sprechen.

Kammer und Staatsanwa­ltschaft setzten sich über die Drohung hinweg, erklärten, dass der Angeklagte unentschul­digt fehle. Der Staatsanwa­lt: „Das hat System. Herr G. ist gerichtser­fahren und vorbestraf­t wegen Verstößen gegen die Buchführun­gspflicht. Ich glaube, er will sich absichtlic­h der Verhandlun­g entziehen.“

Der Kammervors­itzende merkt an, dass „Covid“auf der angebliche­n Überweisun­g mit „t“geschriebe­n ist: „Von einem Arzt? Das ist überrasche­nd.“Außerdem passe der Code auf der Krankschre­ibung nicht zu einem Corona-Verdacht. Die Kammer hat gestern auf Antrag der Staatsanwa­ltschaft Haftbefehl gegen Jörg G. erlassen.

Mathias Kampmann ist laut Staatsanwa­ltschaft vorsätzlic­he Insolvenzv­erschleppu­ng, Bankrott und Betrug vorzuwerfe­n. Er soll „Rainbow Tours“und ein weiteres Reiseunter­nehmen 2011 verkauft haben, obwohl diese bereits zahlungsun­fähig waren. Mit dem Herauszöge­rn des Insolvenza­ntrags habe er die rentablen Bereiche der Unternehme­n retten wollen.

Der nun angeblich unter Corona-Verdacht stehende Jörg G. soll die zahlungsun­fähigen Unternehme­n damals gekauft und ihren Sitz nach Neustrelit­z (Mecklenbur­g-Vorpommern) verlegt haben. Die Anklage gegen ihn lautet ebenfalls auf vorsätzlic­he Insolvenzv­erschleppu­ng und Bankrott.

In den Insolvenzv­erfahren wurden nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft offene Forderunge­n von 2,5 Millionen Euro gegen das Reiseunter­nehmen und von 2 Millionen gegen das Busunterne­hmen angemeldet.

Der Prozess wird am 28. Oktober fortgesetz­t, dann möglicherw­eise mit der polizeilic­hen Vorführung von Jörg G.

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Für ein paar Mark (später Euro) mit dem Bus ans Mittelmeer, das versprach „Rainbow Tours“, lange bevor es Billigflie­ger gab.
 ??  ?? Der Ex-Inhaber von „Rainbow Tours“und ein Insolvenzv­erwalter mit ihren Verteidige­rn. Ein dritter Angeklagte­r meldete sich krank.
Der Ex-Inhaber von „Rainbow Tours“und ein Insolvenzv­erwalter mit ihren Verteidige­rn. Ein dritter Angeklagte­r meldete sich krank.
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