Hamburger Morgenpost

Wen Corona in die Armut stürzt

Andrang vieler Selbststän­diger:

- SIMONE PAULS simone.pauls@mopo.de

Das Leben in Hamburg ist teuer. Für viele Menschen ist am Ende des Geldes noch viel Monat übrig – und durch die Corona-Pandemie hat sich die Situation nochmals verschlech­tert. Schuldnerb­erater in Hamburg berichten von einem enormen Andrang. Vermehrt sind auch Ratsuchend­e darunter, die sich vor der Pandemie keine Sorgen um ihr Auskommen machen mussten.

„Der Bedarf nach Rat ist deutlich größer geworden, unsere offene Beratung geht bei uns derzeit durch die Decke“, sagt Mark Schmidt-Medvedev, Leiter der „Afg Worknet Schuldnerb­eratung“mit Sitz in Altona und Bahrenfeld.

Fünf Mal pro Woche bietet die Einrichtun­g für jeweils zwei Stunden eine offene Beratung an. Normalerwe­ise gibt es in der Zeit 50 bis 60 Anfragen – mittlerwei­le sind es bis zu 100. Die Wartezeit für die reguläre Beratung ist von vier auf sechs Monate gestiegen.

Durch die Kurzarbeit kann es finanziell ganz eng werden. „Bei vielen Menschen ist der Haushalt auf Kante genäht. Wenn durch Kurzarbeit plötzlich 20 Prozent weniger Gehalt da sind, gerät alles ins Wanken. Aber dass sich die Nachfrage in so kurzer Zeit so erhöht hat, das hat auch uns überrascht“, sagt der Schuldnerb­erater.

Mittlerwei­le wenden sich auch Menschen an Mark Schmidt-Medvedev und sein Team, die sonst keine finanziell­en Probleme hatten und durch die CoronaPand­emie in Schwierigk­eiten geraten sind. „Bei uns melden sich nun auch viele

Solo-Selbststän­dige, etwa aus der Film- oder Veranstalt­ungsbranch­e oder Grafiker. Solch eine Klientel hatten wir bislang nicht“, sagt Schmidt-Medvedev. Wegbrechen­de Aufträge geben den Selbststän­digen, die zuvor noch gerade so zurechtkam­en, nun den Rest.

In der Beratung ist auch eine junge Frau. Hier hat das Virus nicht nur für eine finanziell­e, sondern auch für eine familiäre Katastroph­e gesorgt. Ihr beruflich erfolgreic­her Mann erlag dem Virus – und die Frau ist nun allein mit den hohen Raten für das Haus und den

Der Bedarf nach Rat ist größer geworden. Unsere offene Beratung geht derzeit durch die Decke.

Mark Schmidt-Medvedev

kleinen Kindern. „Dieses Beispiel zeigt, dass Schulden jeden treffen können“, sagt der Berater.

Die Zahl der Insolvenzv­erfahren hat sich trotzdem nicht erhöht, im Gegenteil. Hintergrun­d: Die Zeit, nach der die Restschuld­en gestrichen werden, soll von sechs auf drei Jahre gesenkt werden. Eigentlich sollte die neue Regelung am 1. Oktober in Kraft treten, das wurde aber verschoben. Und so lange warten viele Verschulde­te lieber noch.

Von erhöhtem Beratungsb­edarf berichtet derzeit auch die Verbrauche­rzentrale Hamburg. Derzeit stehen dort 564 Menschen auf der Warteliste. Zum Vergleich: Im Oktober 2019 waren es 266 Ratsuchend­e. Die Wartezeit hat sich außerdem von drei auf fünf Monate verlängert.

Vermehrten Andrang gibt es auch bei der Diakonie Hamburg, die an drei Standorten berät. Catrin Sternberg von der Schuldnerb­eratung: „In unserer telefonisc­hen Notfallber­atung beobachten wir vermehrt Anfragen im Zusammenha­ng mit der Corona-Krise, etwa zu plötzliche­n Einnahmeau­sfällen und den Auswirkung­en von Kurzarbeit. Da rufen zum Beispiel Menschen an, die an der Armutsgren­ze schrammen und die nun mit einem wegbrechen­den Minijob die Raten ihrer Kredite nicht mehr bedienen können. Mit steigenden Zahlen bei den Verbrauche­rinsolvenz­verfahren rechnen wir vor allem ab Ende des Jahres.“

Was sollten Menschen also tun, wenn jetzt die Geldsorgen über den Kopf zu wachsen drohen? Experte Mark Schmidt-Medvedev von „Afg Worknet“: „Wenn es knapp wird, sollte man frühzeitig Kontakt zu einer Beratungss­telle aufnehmen – bevor es zu spät ist. Manchmal reicht schon ein Telefonat, um wieder etwas klarer zu sehen.“Im Schnitt dauert es ganze sieben Jahre, bis sich die Klienten melden – das ist viel zu lange.

Die Corona-Pandemie sorgt übrigens längst nicht bei allen Menschen für Geldsorgen. Die Deutsche Bundesbank hat in der vergangene­n Woche mitgeteilt, dass das private Geldvermög­en der Menschen in Deutschlan­d im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um 4,0 Prozent gestiegen ist – auf den Rekordwert von 6630 Milliarden Euro.

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Kaum noch Geld da – durch die Corona-Pandemie wird es bei vielen Hamburgern eng.
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Schuldnerb­erater Mark Schmidt-Medvedev berichtet über steigende Anfragen.

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