Wen Corona in die Armut stürzt
Andrang vieler Selbstständiger:
Das Leben in Hamburg ist teuer. Für viele Menschen ist am Ende des Geldes noch viel Monat übrig – und durch die Corona-Pandemie hat sich die Situation nochmals verschlechtert. Schuldnerberater in Hamburg berichten von einem enormen Andrang. Vermehrt sind auch Ratsuchende darunter, die sich vor der Pandemie keine Sorgen um ihr Auskommen machen mussten.
„Der Bedarf nach Rat ist deutlich größer geworden, unsere offene Beratung geht bei uns derzeit durch die Decke“, sagt Mark Schmidt-Medvedev, Leiter der „Afg Worknet Schuldnerberatung“mit Sitz in Altona und Bahrenfeld.
Fünf Mal pro Woche bietet die Einrichtung für jeweils zwei Stunden eine offene Beratung an. Normalerweise gibt es in der Zeit 50 bis 60 Anfragen – mittlerweile sind es bis zu 100. Die Wartezeit für die reguläre Beratung ist von vier auf sechs Monate gestiegen.
Durch die Kurzarbeit kann es finanziell ganz eng werden. „Bei vielen Menschen ist der Haushalt auf Kante genäht. Wenn durch Kurzarbeit plötzlich 20 Prozent weniger Gehalt da sind, gerät alles ins Wanken. Aber dass sich die Nachfrage in so kurzer Zeit so erhöht hat, das hat auch uns überrascht“, sagt der Schuldnerberater.
Mittlerweile wenden sich auch Menschen an Mark Schmidt-Medvedev und sein Team, die sonst keine finanziellen Probleme hatten und durch die CoronaPandemie in Schwierigkeiten geraten sind. „Bei uns melden sich nun auch viele
Solo-Selbstständige, etwa aus der Film- oder Veranstaltungsbranche oder Grafiker. Solch eine Klientel hatten wir bislang nicht“, sagt Schmidt-Medvedev. Wegbrechende Aufträge geben den Selbstständigen, die zuvor noch gerade so zurechtkamen, nun den Rest.
In der Beratung ist auch eine junge Frau. Hier hat das Virus nicht nur für eine finanzielle, sondern auch für eine familiäre Katastrophe gesorgt. Ihr beruflich erfolgreicher Mann erlag dem Virus – und die Frau ist nun allein mit den hohen Raten für das Haus und den
Der Bedarf nach Rat ist größer geworden. Unsere offene Beratung geht derzeit durch die Decke.
Mark Schmidt-Medvedev
kleinen Kindern. „Dieses Beispiel zeigt, dass Schulden jeden treffen können“, sagt der Berater.
Die Zahl der Insolvenzverfahren hat sich trotzdem nicht erhöht, im Gegenteil. Hintergrund: Die Zeit, nach der die Restschulden gestrichen werden, soll von sechs auf drei Jahre gesenkt werden. Eigentlich sollte die neue Regelung am 1. Oktober in Kraft treten, das wurde aber verschoben. Und so lange warten viele Verschuldete lieber noch.
Von erhöhtem Beratungsbedarf berichtet derzeit auch die Verbraucherzentrale Hamburg. Derzeit stehen dort 564 Menschen auf der Warteliste. Zum Vergleich: Im Oktober 2019 waren es 266 Ratsuchende. Die Wartezeit hat sich außerdem von drei auf fünf Monate verlängert.
Vermehrten Andrang gibt es auch bei der Diakonie Hamburg, die an drei Standorten berät. Catrin Sternberg von der Schuldnerberatung: „In unserer telefonischen Notfallberatung beobachten wir vermehrt Anfragen im Zusammenhang mit der Corona-Krise, etwa zu plötzlichen Einnahmeausfällen und den Auswirkungen von Kurzarbeit. Da rufen zum Beispiel Menschen an, die an der Armutsgrenze schrammen und die nun mit einem wegbrechenden Minijob die Raten ihrer Kredite nicht mehr bedienen können. Mit steigenden Zahlen bei den Verbraucherinsolvenzverfahren rechnen wir vor allem ab Ende des Jahres.“
Was sollten Menschen also tun, wenn jetzt die Geldsorgen über den Kopf zu wachsen drohen? Experte Mark Schmidt-Medvedev von „Afg Worknet“: „Wenn es knapp wird, sollte man frühzeitig Kontakt zu einer Beratungsstelle aufnehmen – bevor es zu spät ist. Manchmal reicht schon ein Telefonat, um wieder etwas klarer zu sehen.“Im Schnitt dauert es ganze sieben Jahre, bis sich die Klienten melden – das ist viel zu lange.
Die Corona-Pandemie sorgt übrigens längst nicht bei allen Menschen für Geldsorgen. Die Deutsche Bundesbank hat in der vergangenen Woche mitgeteilt, dass das private Geldvermögen der Menschen in Deutschland im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,0 Prozent gestiegen ist – auf den Rekordwert von 6630 Milliarden Euro.