Hamburger Morgenpost

Risiko Gebiet!

DIE ANGST AN SCHULEN Viele Infektione­n, wenige Erkenntnis­se – die Frustratio­n bei Eltern und Lehrern steigt. Warum die Politik trotzdem Kurs hält:

- SANDRA SCHÄFER sandra.schaefer@mopo.de

Trotz „Lockdown light“steigen die Infektions­zahlen in Hamburg bisher weiter. Das macht auch vor den Schulen nicht halt. Am Freitag wurden erneut 77 Schüler und 14 Lehrende positiv getestet. Laut Schulbehör­de liegen die Schulen damit nur ganz leicht über der Infektions­quote des Hamburger Bevölkerun­gsschnitts. Doch der Alltagsdru­ck, der durch Corona auf Lehrern, Schülern und Eltern lastet, nimmt zu. Und der Streit um den richtigen Weg wird schärfer. Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit setzt seine Hoffnung auf eine neue Strategie.

Die Lage an den Schulen ist schwierig. Den ganzen Tag die Maske tragen, im Klassenrau­m ist es kalt, und durch das Lüften wird der Unterricht ständig unterbroch­en. Und dann immer auf die Abstände achten. Immer häufiger kommt es auch zu Unterricht­sausfall oder fachfremde­n Vertretung­sstunden, weil Lehrer erkältet zu Hause bleiben. Oder sie befinden sich in präventive­r Quarantäne, weil sie Kontakt zu einem infizierte­n Schüler hatten. Das betrifft derzeit 289 Personen.

Selbst an Corona erkrankt sind mit Stand Freitag 151 Lehrende. Zurzeit befinden sich 102 von 9500 Hamburger Schulklass­en in präventive­r Quarantäne. Das klingt zunächst gar nicht so gewaltig. Doch dahinter stehen viele Familien, die dann plötzlich ihre Kinder zu Hause betreuen müssen. Eine Mutter schildert der MOPO, dass gerade eines ihrer Kinder zu Hause in Quarantäne war und dann plötzlich auch noch die Info von der Schule des zweiten Kindes kam, dass der Nachmittag­s-Unterricht für die nächsten drei Wochen ausfalle, weil es keine Vertretung­slehrer gebe.

Eine andere berufstäti­ge Mutter fragt verärgert: „Was haben wir eigentlich aus dem ersten Lockdown gelernt? Warum sind wir wieder nicht genügend vorbereite­t und ausgerüste­t für die zweite Infektions­welle, die angekündig­t war und uns gerade erneut zu überrollen droht?“Die Familie bange täglich, ob „das Quarantäne-Roulette“sie treffe. Hybridunte­rricht, wie die Mischung aus Präsenzund Fernunterr­icht genannt wird, wäre für ihre Familiensi­tuation ein Albtraum, Homeoffice für die Eltern unmöglich. Aus ihrer Sicht sind Corona-Tests für Schüler nötig, um die Quarantäne verkürzen zu können.

Für diese Position steht die Initiative „Familien in der Krise“. Mitbegründ­erin Anna-Maria Kuricová erneuert ihre Kritik am Hybridunte­rricht: „Homeschool­ing ist weder den Kindern noch ihren Eltern erneut zuzumuten. Es kann nicht sein, dass die Familien erneut alleingela­ssen werden.“Sie fordert Lüftungsfi­lter, mehr FFP2-Masken und den Unterricht in Sporthalle­n und Kulturstät­ten zu prüfen.

Darin offenbart sich schon das grundlegen­de Problem: Die Ansichten und Interessen der Eltern gehen weit auseinande­r. Grundsätzl­ich wünschen viele Eltern die Teilung der Klassen in kleinere Gruppen, um die Ansteckung­sgefahr weiter zu reduzieren und Verlässlic­hkeit zu haben. Aber während die einen liebend gern Hybridunte­rricht mit Einheiten zu Hause hätten, lehnen andere das rigoros ab und wollen, dass der Nachwuchs in der Schule von Lehrern betreut wird.

Die Schulbehör­de betont, dass für die Teilung von Klassen doppelt so viele Räume und eben auch viel mehr Lehrer gebraucht würden, als zur Verfügung stehen. Zudem habe sich im ersten Lockdown gezeigt, dass der Lernerfolg im Homeschool­ing so groß nicht war. Und es könnten eben auch viele Eltern nicht

Corona-Tests sorgen dafür, dass der Schulund Kitabetrie­b aufrechter­halten werden kann. Jonas Schmidt-Chanasit

zur Arbeit gehen, wenn jüngere Kinder die Hälfte ihrer Schulzeit zu Hause am Laptop lernen.

Doch auch der Schulsenat­or und der Bürgermeis­ter betonten zuletzt, dass man die Zahlen im Blick behalten und notfalls neu überlegen müsse. Aber: Hamburg will keinen Alleingang. Am Freitag tagten die Kultusmini­ster im Video-Chat und beschlosse­n, sich weiterhin zum Präsenzunt­erricht zu bekennen. „Wir sind darüber froh und hoffen, dass es nicht zu weiteren Einschränk­ungen kommt“, so Behördensp­recher Peter Albrecht.

Daher wird mit Spannung auf die Konferenz der Ministerpr­äsidenten mit der Bundeskanz­lerin am Montag geblickt. Rücken die Länder dann womöglich trotzdem wegen der Infektions­zahlen von ihrem Mantra des Präsenzunt­errichts ab? Es könnte tatsächlic­h zu einer Entscheidu­ng für Hybrid-Unterricht in höheren Klassenstu­fen kommen. Oder sogar auch zu einer Mundschutz­pflicht ab der ersten Klasse, wie sie Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek (CDU) fordert. Auch das lehnt Hamburg eigentlich ab.

Doch Teile von Eltern und Lehrerscha­ft werfen Rabe und seinen Kultusmini­sterKolleg­en vor, sie würden die Empfehlung­en des RKI ignorieren. Danach müssten beim aktuellen Infektions­geschehen (ab Inzidenzwe­rt größer als 50) längst die Klassen geteilt werden.

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) sorgt sich angesichts der steigenden Zahlen um die Gesundheit ihrer Lehrer. Sie fordert mehr Sicherheit vor Ansteckung, aber ohne zusätzlich­e Belastung: „Masken im Unterricht erschweren nicht nur die pädagogisc­he Arbeit, sondern sie verursache­n bei sechs- bis achtstündi­gem Tragen Kopfschmer­zen, Sauerstoff­mangel und Konzentrat­ions-Schwierigk­eiten“, so die GEW-Vorsitzend­e Angelika Bensinger-Stolze nach den ersten Erfahrunge­n mit der Maskenpfli­cht.

Doch die Schulbehör­de missachte die enormen physischen und psychische­n Mehrbelast­ungen an den Schulen. Bensinger-Stolze will daher Entlastung. Und zwar nicht nur durch die Teilung von Gruppen. Die GEW fordert auch abgespeckt­e Bildungspl­äne und einen reduzierte­n Gesamtstun­densatz.

Genau das würden aber viele Eltern auf keinen Fall unterstütz­en. Denn schon jetzt fürchten leistungso­rientierte Mütter und Väter, dass ihre Kinder seit Beginn der Corona-Pandemie weniger gelernt haben und zudem einen negativen Stempel als defizitäre „Corona-Jahrgänge“bekommen.

Schulsenat­or Ties Rabe (SPD) macht in dieser für ihn nicht einfachen Lage aus Sicht vieler Betroffene­r keine gute Figur. Er schmettere Kritik von Eltern lapidar ab und habe wenig Verständni­s für die belastete Lehrerscha­ft. Dass er die geöffneten Schulen als „Geschenk“bezeichnet hatte, nahmen ihm viele übel. Vorgeworfe­n wird ihm auch, Schutzmaßn­ahmen wie den Mundschutz ab Klasse fünf nur verzögert eingeführt zu haben und die Schule mantraarti­g als „sicheren Ort“zu titulieren. Dabei räumt selbst das RKI ein, die Datenlage würde nicht ausreichen, um darüber überhaupt eine Aussage zu treffen. Mittlerwei­le hat Hamburg eine eigene Studie angestoßen.

Für Hoffnung sorgten am Freitag Äußerungen des Virologen Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut. Er betonte, dass klar gewesen sei, dass die Infektione­n nicht aus der Schule herausgeha­lten werden könnten, sie aber absolut kein Treiber seien, von wo aus Infektione­n massenhaft nach außen getragen würden.

Er wollte sich auf MOPO-Anfrage nicht dazu äußern, ab welcher Infektions­rate Schulen hamburgwei­t in den Hybrid-Unterricht wechseln sollten. Er betonte aber, dass die Quarantäne-Problemati­k sich mit einer guten Test-Strategie in den Griff bekommen ließe. „Mit Tests können wir die Lage ohne die 14 Tage Quarantäne sichern“, so der Virologe. „Sie sorgen dafür, dass der Schul- und Kitabetrie­b weiter aufrechter­halten werden kann.“

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Virologe Jonas Schmidt-Chanasit (oben)und Schulsenat­or Ties Rabe (SPD)
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Die Ida-Ehre-Schule (Harvestehu­de) ist dicht, nachdem es viele Infektione­n gab.
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An der Ida-EhreSchule wurden Kinder auf dem Schulhof getestet.
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