Hamburger Morgenpost

Kult-Wirt vom Kiez: Bei ihm sitzen die Superstars am Tresen

ST. PAULI Horst Schleich führt eine der bekanntest­en Kneipen der Stadt – das „Crazy Horst“. Ein Ort für Polizisten und Kiezianer, Politiker und Prominente

- Von WIEBKE BROMBERG und MARIUS RÖER

Was ist schon normal? Bei „Crazy Horst“nicht viel. Da kommt es schon mal vor, dass ein schwergewi­chtiger Schauspiel­er mit einer Sitzbank zusammenbr­icht. Brad Pitt im Jogginganz­ug am Tresen hockt und nicht mal erkannt wird. Eine Exhibition­istin regelmäßig vor den Gästen blankzieht. Und Polizisten ihre Nacht feuchtfröh­lich ausklingen lassen. Der 76-jährige Kultwirt Horst Schleich hat mit seinem legendären „Crazy Horst“an der Hein-HoyerStraß­e eine eigene Welt auf St. Pauli geschaffen. Ein Ort für Kiezianer, Polizisten, Schauspiel­er, Politiker und Promis. Ein Ort, an dem jeder gleich behandelt wird. Und an dem es kaum Grenzen gibt – außer Respektlos­igkeit.

Wenn Horst spricht, drehen die Weiber durch. Behauptet zumindest er selber. Seine raue Stimme ist unverkennb­ar. „Das war die teuerste Schönheits­operation überhaupt. Für 40 000 hab’ ich mir die Stimme erotisch machen lassen“, sagt der Mann mit dem roten Hoodie und lacht.

Die Wahrheit ist weniger lustig: Horst hatte Kehlkopfkr­ebs. „Dabei hab’ ich selber nie geraucht. Ich stand nur mein Leben lang im Rauch.“Danach konnte er wochenlang nicht sprechen. Keine Stimme? Unakzeptab­el – entschied Horst, der sehr genau weiß, was er will. Er machte

Logopädie und Atemübunge­n. Zudem sei er „so ein bisschen esoterisch“und bei einer Sitzung in eine Art Trance gefallen. „Und auf einmal habe ich gesungen, was eigentlich gar nicht ging.“Singen kann er heute zwar nicht mehr, seine Stimme ist jedoch wieder da.

Der kahlköpfig­e Mann mit der Brille steht hinter dem Tresen. Rotes Schummerli­cht. „Von irgendeine­m Fest“übrig gebliebene Weihnachts­kugeln und Lametta. Lichterket­ten, die sich um Spiegel und Bilder schlängeln, dazwischen zwei Geigen an der Wand. „Die gehörten meinem Vater, dem Oberamtsra­t.“Horst schwärmt davon, wie musikalisc­h sein Vater gewesen sei, und plaudert über seine Kindheit. Eine schöne, aber auch harte Zeit. Der Vater beschäftig­t mit der Karriere als Oberamtsra­t bei der Bundesbahn,

Mein Erfolgsrez­ept? Bei mir sind alle gleich. Und mein Harmoniebe­dürfnis. „Crazy Horst“

Drafi Deutscher hat sich benommen wie Arsch. Dachte, er sei der Größte, und ist rausgelauf­en, ohne zu zahlen.

Horst Schleich

die Mutter stets bemüht um Ordnung und Manieren. Eine geregelte Welt, die Horst zu klein war.

Mit 13 kam der Junge aus einem Dorf in Hessen das erste Mal auf Verwandtsc­haftsbesuc­h nach Hamburg. „Das war wie ein Urknall.“Horst wusste sofort: Hier will er bleiben. Mit Mitte 20 zog er zu seiner Tante nach Wandsbek. Er arbeitete als Vertreter für Getränkeau­tomaten, später für Waschmasch­inen. „Ich sollte vier Waschmasch­inen am Tag verkaufen. Am ersten Tag hab ich 40 verkauft.“Wie er das gemacht hat? „Ich hab’ die Leute einfach überzeugt.“Doch Horst träumte von einer eigenen Kneipe. 1974 eröffnete er das erste „Crazy Horst“an der Otzenstraß­e, 1982 zog er in die Hein-Hoyer-Straße.

Ob Huren, Polizisten, Ärzte, Politiker, Künstler, Schauspiel­er, Sänger oder Promis – sie alle kehren bei Horst ein. Häufig ist der Laden mit seinen gerade mal 40 Quadratmet­ern brechend voll. „Ich glaube, das liegt daran, dass bei mir jeder gleich ist. Und an meinem Harmoniebe­dürfnis. Sobald ich höre, dass es Probleme gibt, muss ich helfen.“Und auch als Streitschl­ichter sei er immer erfolgreic­h. „Ich hab so ‘ne Aura. Das kann ich“, sagt der Wirt, der stets der „faire Mann vom Kiez“genannt wird, und schenkt einen braun glänzenden Kurzen ein. „Woti“(Wodka mit Kaffee-Likör) – den trinkt man hier. Der ein oder andere auch flaschenwe­ise.

Besonders Schauspiel­er kehren häufig bei „Crazy Horst“ein. Wer schon alles bei ihm war – das weiß er gar nicht so genau. „Es waren so viele.“Von Ben Becker, Eva Mattes und Christian Redl bis hin zu Ulrich Tukur und Hape Kerkeling. Horst zuckt die Achseln. Mehr fallen ihm auf die Schnelle nicht ein. Ach, doch. Drafi Deutscher. Der war früher da. „Der hat sich benommen wie Arsch. Dachte, er sei der Größte, und ist rausgelauf­en, ohne zu bezahlen.“Die Zeche prellen? Nicht mit Horst. Er bekam das Geld später von der Sekretärin zurück. Hausverbot hatte der Sänger von „Mamor, Stein und Eisen bricht“trotzdem nicht. „Nur wer meine Leute beleidigt, kriegt Ärger.“Wie eine Nachbarin, die die Gäste permanent beschimpft­e und auch mal zuschlug. „Die hat seit zehn Jahren Hausverbot.“

Ansonsten gibt es aber selten Stress. Mag auch daran liegen, dass es kaum etwas gibt, was bei „Crazy Horst“verboten ist. Sogar SwingerCli­quen haben sich früher im Keller vergnügt. „Wenn die sich untereinan­der vertragen, ist mir das egal.“Der 76-Jährige lacht und fügt beiläufig hinzu: „Ich habe da unten auch Erlebnisse gehabt. Bin ja auch nur ein Mensch.“Und auch die Exhibition­istin, die regelmäßig „oben ohne und unten gar nichts“in den Laden komme, schockiere ihn nicht. „Ich freue mich, wenn die kommt. Das erheitert mich und belebt das Geschäft.“

Horst schenkt noch einen „Woti“nach und starrt aus dem Fenster. Doch, klar. Jetzt fallen ihm noch zwei Promis ein. Hollywood-Star Brad Pitt und Regisseur Oliver Stone hätten auch schon am Tresen gesessen. Das habe damals an seiner Freundin Domenica („Sie hatte nicht den größten Busen, sondern das größte Herz“) gelegen, die jahrelang über der Kneipe wohnte. „Wenn sie spezielle Kunden hatte, hat sie sie erst mal zu mir geschickt.“

So hätten ein älterer Mann mit Bart und ein „junger, stinkender Typ im Jogginganz­ug“bei ihm gehockt. Der Laden war voll. Horst am Rotieren. Irgendwann habe ein Mädel angefangen zu kreischen, weil sie Brad Pitt entdeckt hatte. „Ich hatte den Namen noch nie gehört. Hab’ mir dann aber gedacht: ‚Ach, scheiß auf Geruch‘ und bin zu denen hin.“Die Männer unterhielt­en sich. Horst erzählte, dass er demnächst Geburtstag habe. Brad Pitt bat um seine Telefonnum­mer, um gratuliere­n zu können. Und tatsächlic­h: „Er hat angerufen“, sagt Horst und geht zu seinem Klavier, das direkt am Eingang steht.

Fast liebevoll streicht er über den Deckel des Pianos. Er habe sieben Jahre lang versucht, das Spielen zu lernen.

Viele haben mir Geld geboten, aber ich behalte den Laden. Bis ich hier rausgeschl­eppt werde. Mit den Füßen zuerst. Horst Schleich

„Vergebens, ich war völlig untalentie­rt.“Trotzdem ist das „Crazy Horst“eine Pianobar. Aber mehr durch Zufall. „Ein dicker Schauspiel­er ist in der Ecke mal mit einer Sitzbank zusammenge­brochen.“Sein Freund Ulrich Tukur habe gesagt, dass da ein Klavier hingehört. So zogen die Männer nach einer durchzecht­en Nacht los und kauften eins.

Viele Gäste spielten schon darauf, zuletzt Bosse. Er nahm im „Crazy Horst“das Musikvideo zu „Der letzte Tanz“auf. Nicht die einzige Produktion. „Ach, das waren viele. Zum Beispiel eine Doku mit Ulrich Tukur über einen Frauenmörd­er.“Für Horst

eine schöne Erinnerung. Er konnte mit den Damen am Set die ganze Nacht umsonst Champagner trinken. Ohnehin spielen Kunst und Kultur eine große Rolle für den Wirt. Immer wieder hat er Ausstellun­gen in seiner Bar. Momentan Bilder von Malerin Lilo Schmidt-Wiedenroth.

Horst liebt seinen Laden.

Und seine Geschichte­n. 45 Jahre lang stand er jede Nacht hinterm Tresen. 364 Tage im Jahr – außer am 2. Januar. „Das lohnt sich nicht. Da sind noch alle krank von Silvester.“Seit vergangene­m Jahr ist Schluss damit. Nach einem Herzinfark­t betreibt er das „Crazy Horst“zwar weiter, kümmert sich jetzt aber vor dem Tresen um seine Gäste. Und auch nur, wenn er Lust hat. Sein Lebenswerk abgeben kommt für den Kultwirt aber nicht infrage. „Viele haben mir schon Geld geboten, aber ich behalte den Laden. Bis ich hier rausgeschl­eppt werde. Mit den Füßen zuerst.“

 ??  ??
 ??  ?? Deutschlan­ds bekanntest­e Hure Domenica wohnte über der Kneipe und war eine Freundin von Horst.
Deutschlan­ds bekanntest­e Hure Domenica wohnte über der Kneipe und war eine Freundin von Horst.
 ??  ??
 ??  ?? Kult-Wirt Horst Schleich (76) hat vor 45 Jahren das erste „Crazy Horst“eröffnet und damit eine eigene Welt auf St. Pauli geschaffen.
Kult-Wirt Horst Schleich (76) hat vor 45 Jahren das erste „Crazy Horst“eröffnet und damit eine eigene Welt auf St. Pauli geschaffen.
 ??  ?? Kunstbegei­sterung: Regelmäßig gibt es Ausstellun­gen in der Bar.
Kunstbegei­sterung: Regelmäßig gibt es Ausstellun­gen in der Bar.
 ??  ?? „Crazy Horst“vor seinem Laden an der Hein-Hoyer-Straße
„Crazy Horst“vor seinem Laden an der Hein-Hoyer-Straße
 ??  ?? Sein Klavier hat Horst mit Freund Ulrich Tukur gekauft.
Sein Klavier hat Horst mit Freund Ulrich Tukur gekauft.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Der Wirt vor dem Tresen, der Angestellt­e dahinter. Seit seinem Herzinfark­t bedient Horst nicht mehr.
Der Wirt vor dem Tresen, der Angestellt­e dahinter. Seit seinem Herzinfark­t bedient Horst nicht mehr.
 ??  ?? Lametta, Lichterket­ten, ein Globus: Die Bar ist urgemütlic­h.
Lametta, Lichterket­ten, ein Globus: Die Bar ist urgemütlic­h.

Newspapers in German

Newspapers from Germany