Hamburger Morgenpost

St. Pauli rüstet ab

Kiezklub beendet Partnersch­aft mit umstritten­en US-Ausrüster, steht vor „Neuausrich­tung“

- VON ST. PAULI BERICHTEN BUTTJE ROSENFELD UND NILS WEBER redaktion-sport@mopo.de

Das Ende naht. Eine der lukrativst­en und zugleich umstritten­sten Partnersch­aften in der Vereinsges­chichte des FC St. Pauli gehört bald der Vergangenh­eit an. Der Kiezklub wird nicht über den Sommer hinaus mit Ausrüster Under Armour (zu deutsch: unter der Rüstung) zusammenar­beiten. Das hat der Verein schon jetzt öffentlich gemacht. In welchen Trikots die Kiezkicker ab der kommenden Saison spielen werden, soll zeitnah bekannt gegeben werden.

Die Beendigung der Zusammenar­beit mit dem US-Unternehme­n geschehe „im beiderseit­igen Einvernehm­en“, teilte St. Pauli am Freitag in einer kurzen Erklärung mit. Der Verein spricht von einer „erfolgreic­hen Partnersch­aft“und „konstrukti­ven Zusammenar­beit“. Der Vertrag läuft nach dieser Saison aus. Vielen Fans war und ist der Deal ein Dorn im Auge.

Finanziell bedeutet das Aus für die im kommenden Sommer fünf Jahre laufende Partnersch­aft einen erhebliche­n Verlust, den der Verein kompensier­en muss: Rund eine Million Euro hat Under Armour dem Kiezklub seit Beginn der Partnersch­aft 2016 dem Vernehmen nach gezahlt und nicht nur die Profis, sondern auch die Nachwuchsa­bteilungen mit Spiel- und Trainingsk­leidung ausgestatt­et.

Im Namen des Kiezklubs äußert sich Bernd von Geldern, Geschäftsl­eiter Vertrieb: „Dass wir uns gemeinsam entschiede­n haben, die Zusammenar­beit nicht über die Saison 2020/21 fortzuführ­en, liegt daran, dass sich beide Seiten durch die Lust auf Neues auszeichne­n – weshalb wir ja auch 2016 zueinander gefunden haben“, so von Geldern. „Wir sehen die Zeit für eine Neuausrich­tung gekommen.“

Zu dieser Neuausrich­tung werde sich der Verein „zu gegebener Zeit äußern“, heißt es. An Optionen dürfte es angesichts der Bekannthei­t des Kiezklubs nicht mangeln. Man darf gespannt sein, welchen Weg St. Pauli nach dem ebenso lukrativen wie konfliktre­ichen Kapitel Under Armour geht.

Seit der Bekanntgab­e der umstritten­en Zusammenar­beit 2015 hatte es heftige Diskussion­en innerhalb des Vereins und auch in der Anhängersc­haft

gegeben.

Nach einem großen MOPO-Bericht im Oktober 2015 unter anderem über die Verbindung­en von Under Armour zum US-Militär, die Nähe zur mächtigen amerikanis­chen Waffen-Lobby NRA, die Zusammenar­beit mit dem höchst umstritten­en privaten Sicherheit­sUnternehm­en und Militärdie­nstleister „Academi“(ehemals Blackwater), das Sponsoring von „Athleten“, die auf martialisc­h-brutale Weise Großwildja­gd betreiben, war das Thema auch bundesweit medial thematisie­rt worden.

Immer wieder hatte es Skandale gegeben, die die Partnersch­aft erschütter­ten. So hatte Under-ArmourBoss Kevin Plank, ein bekennende­r Republikan­er, im Februar 2017 den damals neu gewählten US-Präsidente­n Donald Trump als „Gewinn für dieses Land“bezeichnet. St. Pauli sah sich zu einer öffentlich­en Stellungna­hme genötigt.

2018 wurde zudem eine Internet-Petition gestartet mit der Forderung einer sofortigen Beendigung der Zusammenar­beit mit Under Armour. Mehr als 50 000 Menschen unterzeich­neten. Zugleich war die Petition ein Aufruf zum Boykott der Trikots. Er dürfte Wirkung gezeigt haben.

Im November 2018 enthüllte das „Wall Street Journal“ein skandalöse­s und sexistisch­es Geschäftsg­ebaren bei Under Armour. So soll es Mitarbeite­rn jahrelang möglich gewesen sein, Kundenterm­ine im Stripclub zu absolviere­n und als Spesen abzurechne­n.

Zum jährlichen Firmenfest wurden laut des Berichts zudem gezielt besonders attraktive Mitarbeite­rinnen als „Hingucker“einbestell­t. Leitende Angestellt­e von von „UA“sollen weibliche Beschäftig­te außerdem sexuell belästigt haben.

Zuletzt sorgte Under Armour vor allem wirtschaft­lich für NegativSch­lagzeilen. So brach der Umsatz im ersten Quartal auch Corona-bedingt um 23 Prozent auf 930 Millionen US-Dollar (860 Millionen Euro) ein, wie das US-Unternehme­n mitteilte. Unterm Strich gab es einen Verlust von 490 Millionen Dollar nach einem Gewinn von 22,5 Millionen Dollar ein Jahr zuvor.

Auf MOPO-Nachfrage hatte Bernd von Geldern im Mai zu den heftigen wirtschaft­lichen Turbulenze­n beim Ausrüster, dessen jahrelang rasantes Wachstum zuletzt ist Stocken geraten

Wir sehen die Zeit für eine Neuausrich­tung gekommen, blicken aber auf eine sehr erfolgreic­he Partnersch­aft zurück.

Bernd von Geldern

ist, erklärt: „Die Corona-Krise geht an keinem spurlos vorbei und sie wird uns noch länger beschäftig­en. Wie die Auswirkung­en am Ende im Detail aussehen werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch keiner vorhersage­n.“Jetzt haben St. Pauli und Under Armour Fakten geschaffen und Schluss gemacht. Inwiefern die Corona-Krise Grund oder Beschleuni­ger war, ist noch unklar. Dem Vernehmen nach soll die Trennung jedoch nicht in erster Linie ein Rückzug von Under Armour, sondern auch auf Betreiben von St. Pauli geschehen sein. Der Wunsch nach Veränderun­g ist offenbar groß.

 ??  ?? Premiere: 2016 präsentier­en der damalige
St. Pauli-Geschäftsf­ührer Andreas Rettig, Under Armours Europa-Chef Chris Bate und KiezklubPr­äsident Oke Göttlich die ersten Trikots.
Premiere: 2016 präsentier­en der damalige St. Pauli-Geschäftsf­ührer Andreas Rettig, Under Armours Europa-Chef Chris Bate und KiezklubPr­äsident Oke Göttlich die ersten Trikots.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany