Das Corona-Wunder von Madrid
EINSTIGER HOTSPOT Infektionszahlen sinken rapide – trotz voller Restaurants
MADRID – Medien sprechen von einem Wunder, Forscher staunen und finden keine richtige Erklärung: Im einstigen Corona-Epizentrum Madrid gehen die Zahlen rapide runter – obwohl Bars und Restaurants voll sind. Wie geht das?
Die Bilder aus dem Frühjahr waren furchtbar: Überfüllte Kliniken, überfordertes Personal, Tausende Tote. Madrid wurde von der ersten Corona-Welle heftig getroffen – und zunächst auch von der zweiten: Ende September, als die Corona-Lage anderswo noch relativ entspannt war, hatte die Region mit 813 Infektionen pro 100 000 Einwohnern binnen 14 Tagen noch die bei Weitem schlechtesten Werte Westeuropas. Diese sogenannte 14-Tage-Inzidenz betrug zuletzt nur noch 328; die 7-Tage-Inzidenz fiel allein von Mittwoch auf Donnerstag von 161 auf 152. Zum Vergleich: In Hamburg liegt sie derzeit bei 167,9. Zeitungen wie die „El Mundo“sprechen vom „Wunder von Madrid“.
Andere spanische Regionen, die trotz strengerer Einschränkungen des Virus einfach nicht Herr werden, schauen mit Neid und Skepsis auf die Hauptstadt. Zweifel gibt es vor allem in Katalonien, speziell in Barcelona, wo man seit jeher in allen Bereichen eine große Rivalität mit Madrid pflegt. „Es ist klar, dass es dort einen InformationsBlackout gibt“, sagte etwa der regionale Gesundheitsminister Marc Ramentol. Stimmt das?
Einige Experten schließen zwar nicht aus, dass es hier und da Probleme und Verzögerungen bei der FallErfassung geben kann – nicht nur in Madrid. Aber sie betonen, die Lage in den Kliniken könne man nicht schönreden. Und auch da sieht es immer besser aus: Anfang Oktober lag die Zahl der Aufnahmen in Madrid bei deutlich über 2500 pro Tag, vorgestern wurden nur noch 238 gemeldet.
Was macht Madrid richtig? „Das ist die Millionenfrage“, sagt der Epidemiologe José Jonay Ojeda gegenüber „El Mundo“. Er stimmt mit vielen Kollegen darin überein, dass es einen Hauptgrund für den Erfolg geben könnte: Antigentests. Madrid kaufte Ende September fünf Millionen Stück. In Problemvierteln wurden Test-Offensiven gestartet. „Damit kann man ansteckende Fälle einfacher, billiger und schneller diagnostizieren. Man kann Infizierte also auch früher isolieren“, erklärt Miguel Ángel Royo, Sprecher des spanischen Epidemiologenverbandes. Die Antigensind zwar weniger sensitiv als die PCR-Tests. „Aber nur sehr wenige positive Fälle werden nicht entdeckt“, sagt Ojeda.
Ein weiterer Unterschied: Man verzichtet in Madrid auf die Absperrung der gesamten Region oder ganzer Städte und Gemeinden und riegelt nur kleinere Bezirke ab, die hohe Zahlen haben. Diese Gebiete darf man nur mit triftigem Grund verlassen oder betreten. Parks und Spielplätze werden geschlossen, ab 22 Uhr ist Sperrstunde. Das reicht offenbar: Gestern wurden zehn der 32 betroffenen Gebiete wieder „entriegelt“, weil die Infektionszahlen dort in 14 Tagen halbiert wurden.
Medien und Experten sind zudem davon überzeugt, dass die Madrilenen aufgrund des großen Schrecks vorsichtiger geworden sind. „Ja, das stimmt. Auch in unserer Familie wird noch mehr versucht, fast immer Maske zu tragen und Abstand zu wahren“, sagen Rentner Carlos (75) und Gattin Lourdes (77) bei einem Gläschen Rotwein auf der Terrasse des Traditionscafés „Gijón“. Aber: „Freude muss auch sein.“