Hamburger Morgenpost

Zwischen Homeoffice und Urlaub ohne Grenzen

ARBEIT & BERUF Der klassische Bürojob ist out – Immer mehr Firmen setzen auf Flexibilit­ät

- SINA RIEBE sina.riebe@mopo.de

Um neun Uhr zur Arbeit und Punkt 17 Uhr den Rechner runterfahr­en – dieses klassische Modell von Bürojobs bekommt immer mehr Konkurrenz. Mittlerwei­le erobern neue Ansätze den Markt: Arbeiten ohne Chefs, unbegrenzt­e Urlaubstag­e oder freie Wahl des Arbeitspla­tzes – in einigen Hamburger Unternehme­n ist das bereits Standard.

Durch die Corona-Pandemie hat sich eines klar herausgest­ellt: Homeoffice funktionie­rt! Die vorherige Skepsis, Mitarbeite­r könnten am heimischen Schreibtis­ch weniger leisten als im Büro, ist mittlerwei­le verflogen. In vielen Unternehme­n werden neue Wege eingeschla­gen, die zu einer besseren Vereinbark­eit von Job und Freizeit führen können.

Auch auf politische­r Ebene wird das Thema Homeoffice stark diskutiert. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) hat einen Gesetzentw­urf über den Anspruch auf 24 Homeoffice-Tage im Jahr vorgelegt.

Die Hamburger Kaffeeröst­erei „Quijote“aus Rothenburg­sort hat sich bereits zur Gründung vor zehn Jahren vom klassische­n Arbeitsmod­ell verabschie­det. „Der wesentlich­e Unterschie­d ist, dass wir ein Kollektiv sind“, sagt Andreas Felsen im Gespräch mit der MOPO. Das bedeute, alle zwölf Mitglieder sind gleichbere­chtigt, Entscheidu­ngen werden gemeinscha­ftlich getroffen, alle bekommen das gleiche Gehalt und die gleiche Anzahl an Urlaubstag­en. Homeoffice war bereits vor Corona kein Problem. „Es funktionie­rt“, sagt Felsen. Die Arbeitszuf­riedenheit sei hoch, weil jeder genau das mache, für das er sich selbst entschiede­n habe.

Das eigenveran­twortliche Arbeiten wird auch in der Kreativage­ntur „Elbdudler“in Eimsbüttel großgeschr­ieben. „Diese Selbstbest­immtheit in Ort und Zeit macht die Mitarbeite­r insgesamt flexibler und auch zufriedene­r“, sagt der Personalch­ef Julian Draxler.

Die freie Arbeitswei­se bedarf allerdings auch einiger Planung und eines hohen Maßes an Selbstorga­nisation und guten Zeitmanage­ments der Mitarbeite­r. Eine Besonderhe­it des Unternehme­ns ist die freie Wahl der Anzahl der Urlaubstag­e: „Im Schnitt liegen wir wohl etwas über den 30 Tagen im Jahr“, sagt Draxler. Ausnutzen würde es aber keiner.

Zwei Modelle, die beide auf eine gute Vereinbark­eit von Beruf und Freizeit abzielen, doch „Flexibilit­ät hängt immer vom

Job ab“, sagt Sebastian Maiß, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht aus Düsseldorf. Es gebe kein einheitlic­hes Modell, das sich auf alle Unternehme­n anwenden lasse, so Maiß. Während sich also ein Kollektiv-Modell für „Quijote“eignet, ist es für ein großes Dax-Unternehme­n vielleicht eher weniger praktikabe­l.

Die Lösung wird in sogenannte­n Mischforme­n liegen, sagt der Fachanwalt. Je nach Arbeitsber­eich können sich diese auch innerhalb eines Unternehme­ns unterschei­den. Mischforme­n sind nichts anderes als Kombinatio­nen

aus Arbeitszei­tmodellen, beispielsw­eise von einer Kernarbeit­sund Gleitzeit. So müssen die Arbeitnehm­er in einer vorgegeben­en Zeitspanne vor Ort oder erreichbar sein, können den Rest des Arbeitstag­es aber frei gestalten.

Einen Faktor des klassische­n Arbeitsmod­ells konnten beide Hamburger Unternehme­n noch nicht durchbrech­en: In den meisten Fällen werden Angestellt­e nach ihrer Arbeitszei­t bezahlt und nicht nach ihrem Output. „Leider hat noch keiner ein besseres Modell entwickelt“, sagt Stephan Dahrendorf, Experte für Personalma­nagement aus Hamburg.

Das Problem: Zeit lässt sich besser messen als die

Qualität des Ergebnisse­s. Dass die reine Arbeitszei­t als Messinstru­ment überholt ist, zeige die Tatsache, dass einige Teilzeitkr­äfte genauso viel schafften wie Vollzeitkr­äfte, oder sogar mehr, erklärt er. Und das für deutlich weniger Gehalt.

Eine Prognose bleibt dennoch schwierig. Der erste Schritt ist getan, durch die Pandemie konnten die Vorurteile gegen das Homeoffice abgelegt werden. Jedes Unternehme­n muss für sich entscheide­n, auf welche Weise und in welchem Umfang es mehr Flexibilit­ät zulässt.

Fachanwalt Sebastian Maiß stellt sich eine „Teilzeit-Homeoffice“-Situation vor. Personalex­perte Dahrendorf geht noch einen Schritt weiter: „Vielleicht wird das Büro das neue ‚Offside‘, man trifft sich nur noch zu bestimmten Anlässen dort.“

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In der Kaffeeröst­erei „Quijote“hat man sich schon bei der Gründung vor zehn Jahren vom klassische­n Arbeitsmod­ell verabschie­det.
Andreas Felsen, Gründer des Kollektivs „Quijote“ In der Kaffeeröst­erei „Quijote“hat man sich schon bei der Gründung vor zehn Jahren vom klassische­n Arbeitsmod­ell verabschie­det.
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Arbeitsmin­ister Hubertus Heil
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