Der Hilferuf der Pflegekräfte
Wie die Corona-Krise schonungslos Schwächen im System offenlegt:
Zu wenig Personal, fehlende Schutzausrüstung: Beschäftigte aus verschiedenen Hamburger Krankenhäusern berichten aus ihrem Berufsalltag in Corona-Zeiten. Der Tenor: Sie sind am Limit – und machen sich große Sorgen, wie es in den nächsten Wochen weitergeht.
Die Hamburger Krankenhausbewegung ist ein selbst organisierter Zusammenschluss von Beschäftigten aus verschiedenen Kliniken– und gestern haben sie den Schritt an die Öffentlichkeit getan: Sie berichten von teils chaotischen Zuständen – und fordern die Politik, allen voran Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), auf, Verantwortung zu übernehmen.
Schon vor Corona gab es zu wenig Personal in den Krankenhäusern, das ist bekannt. Doch durch das Virus habe sich die Situation noch weiter verschärft. Teilweise stünden voll ausgerüstete Intensivzimmer leer, denn es gebe nicht genügend Personal, erzählt Intensiv-Pflegerin Louise K. (Name geändert). Sie müsse zeitweise drei bis vier Patienten gleichzeitig versorgen, dabei sei eigentlich ein Betreuungsschlüssel von 1 : 2 vorgesehen. „Wir schaffen das nicht“, sagt sie. „Und es ist lebensgefährlich für die Patienten.“
Bei der Betreuung müsse sie zwischen Covid-19-Patienten und anderen IntensivPatienten wechseln. Bei der An- und Ablegung der Schutzausrüstung muss es dann schnell gehen. „In der Hektik habe ich die ganze Schicht über Angst, etwas zu übersehen und mich oder andere zu gefährden“, sagt die Pflegerin. „Viele von uns besuchen schon seit Monaten ihre älteren Angehörigen nicht mehr, aus Angst, sie anzustecken.“Auch Weihnachten werden viele Pfleger nicht mit ihrer Familie verbringen. „Wir sind am Limit“, so das Resümee der Frau. Viele seien wütend und fühlten sich alleingelassen.
Theresa U. (Name geändert) aus einem anderen großen Hamburger Krankenhaus pflichtet ihr bei. „Das Stresslevel ist maßlos gestiegen.“Was helfen könnte: mehr Operationen zu verschieben. Das machen die Kliniken zwar schon – die Hamburger Krankenhausbewegung fordert jedoch eine klare Regelung seitens der Stadt, welche und wie viele Operationen noch durchgeführt werden dürfen. Bislang werde das in den Krankenhäusern unterschiedlich gehandhabt.
Ein weiteres Problem: nicht genügend oder keine passende Schutzausrüstung für das Personal. Eine Intensivstation-Pflegerin erzählt, dass Masken und Handschuhe nicht in allen Größen vorhanden und ihre Kittel wasserdurchlässig seien. Es gebe nur dünne Hauben, die die Pfleger dann mehrfach übereinander anziehen. „Es wird so getan, als käme die zwei
te Welle völlig überraschend“, findet die Pflegerin.
Auch sonst geht es den Berichten der KrankenhausBeschäftigten nach chaotisch zu: Pfleger werden spontan auf unterschiedliche Stationen abgezogen, wissen morgens teilweise nicht, wo sie nachmittags arbeiten. In Notfällen müssen sie sich aber schnell auf den fremden Stationen zurechtfinden. Ein anderer Pfleger erzählt, dass seine Station in den letzten Wochen mehrfach zu einer Corona-Station auf- und wieder abgebaut worden sei.
Nun fordert die Hamburger Krankenhausbewegung ein Einschreiten der Politik: „Menschenleben sind bedroht“, sagt eine Krankenhaus-Beschäftigte. „Der Hamburger Senat soll endlich Verantwortung übernehmen.“Klare Regelungen für Operationsverschiebungen, eine einheitliche Teststrategie fürs Krankenhauspersonal, eine klare Trennung von Covid-19-Patienten und anderen Patienten – all das müsse in einer „Hamburger Lösung“zentral durch die Stadt geregelt werden. Und in den Krisenstäben will das Krankenhauspersonal künftig auch vertreten sein.
Es wird so getan, als käme die zweite Welle völlig überraschend.
Eine Schwester, die anonym bleiben will