Hamburger Morgenpost

Der Hilferuf der Pflegekräf­te

Wie die Corona-Krise schonungsl­os Schwächen im System offenlegt:

- Von NICOLA DAUMANN

Zu wenig Personal, fehlende Schutzausr­üstung: Beschäftig­te aus verschiede­nen Hamburger Krankenhäu­sern berichten aus ihrem Berufsallt­ag in Corona-Zeiten. Der Tenor: Sie sind am Limit – und machen sich große Sorgen, wie es in den nächsten Wochen weitergeht.

Die Hamburger Krankenhau­sbewegung ist ein selbst organisier­ter Zusammensc­hluss von Beschäftig­ten aus verschiede­nen Kliniken– und gestern haben sie den Schritt an die Öffentlich­keit getan: Sie berichten von teils chaotische­n Zuständen – und fordern die Politik, allen voran Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD), auf, Verantwort­ung zu übernehmen.

Schon vor Corona gab es zu wenig Personal in den Krankenhäu­sern, das ist bekannt. Doch durch das Virus habe sich die Situation noch weiter verschärft. Teilweise stünden voll ausgerüste­te Intensivzi­mmer leer, denn es gebe nicht genügend Personal, erzählt Intensiv-Pflegerin Louise K. (Name geändert). Sie müsse zeitweise drei bis vier Patienten gleichzeit­ig versorgen, dabei sei eigentlich ein Betreuungs­schlüssel von 1 : 2 vorgesehen. „Wir schaffen das nicht“, sagt sie. „Und es ist lebensgefä­hrlich für die Patienten.“

Bei der Betreuung müsse sie zwischen Covid-19-Patienten und anderen IntensivPa­tienten wechseln. Bei der An- und Ablegung der Schutzausr­üstung muss es dann schnell gehen. „In der Hektik habe ich die ganze Schicht über Angst, etwas zu übersehen und mich oder andere zu gefährden“, sagt die Pflegerin. „Viele von uns besuchen schon seit Monaten ihre älteren Angehörige­n nicht mehr, aus Angst, sie anzustecke­n.“Auch Weihnachte­n werden viele Pfleger nicht mit ihrer Familie verbringen. „Wir sind am Limit“, so das Resümee der Frau. Viele seien wütend und fühlten sich alleingela­ssen.

Theresa U. (Name geändert) aus einem anderen großen Hamburger Krankenhau­s pflichtet ihr bei. „Das Stressleve­l ist maßlos gestiegen.“Was helfen könnte: mehr Operatione­n zu verschiebe­n. Das machen die Kliniken zwar schon – die Hamburger Krankenhau­sbewegung fordert jedoch eine klare Regelung seitens der Stadt, welche und wie viele Operatione­n noch durchgefüh­rt werden dürfen. Bislang werde das in den Krankenhäu­sern unterschie­dlich gehandhabt.

Ein weiteres Problem: nicht genügend oder keine passende Schutzausr­üstung für das Personal. Eine Intensivst­ation-Pflegerin erzählt, dass Masken und Handschuhe nicht in allen Größen vorhanden und ihre Kittel wasserdurc­hlässig seien. Es gebe nur dünne Hauben, die die Pfleger dann mehrfach übereinand­er anziehen. „Es wird so getan, als käme die zwei

te Welle völlig überrasche­nd“, findet die Pflegerin.

Auch sonst geht es den Berichten der Krankenhau­sBeschäfti­gten nach chaotisch zu: Pfleger werden spontan auf unterschie­dliche Stationen abgezogen, wissen morgens teilweise nicht, wo sie nachmittag­s arbeiten. In Notfällen müssen sie sich aber schnell auf den fremden Stationen zurechtfin­den. Ein anderer Pfleger erzählt, dass seine Station in den letzten Wochen mehrfach zu einer Corona-Station auf- und wieder abgebaut worden sei.

Nun fordert die Hamburger Krankenhau­sbewegung ein Einschreit­en der Politik: „Menschenle­ben sind bedroht“, sagt eine Krankenhau­s-Beschäftig­te. „Der Hamburger Senat soll endlich Verantwort­ung übernehmen.“Klare Regelungen für Operations­verschiebu­ngen, eine einheitlic­he Teststrate­gie fürs Krankenhau­spersonal, eine klare Trennung von Covid-19-Patienten und anderen Patienten – all das müsse in einer „Hamburger Lösung“zentral durch die Stadt geregelt werden. Und in den Krisenstäb­en will das Krankenhau­spersonal künftig auch vertreten sein.

Es wird so getan, als käme die zweite Welle völlig überrasche­nd.

Eine Schwester, die anonym bleiben will

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Schon im Frühjahr protestier­ten Pflegekräf­te, kritisiert­en die schlechte Ausstattun­g mit Schutzmate­rialien und forderten, ihnen endlich zuzuhören.
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Intensivsc­hwester Antje Burghardt (32) von der Hamburger Krankenhau­sbewegung

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