Hamburger Morgenpost

„Mussten entscheide­n, wer noch Sauerstoff bekommt“

TRIAGE Lage auf deutschen Intensivst­ationen immer dramatisch­er

- Von PAULINE REIBE

In der Corona-Pandemie spitzt sich die Lage auf den Intensivst­ationen zu. Während Politiker besorgte Appelle an die Bürger richten, räumte in Sachsen erstmals ein Klinikchef ein, über Leben und Tod entschiede­n zu haben – in seinem Haus müsse inzwischen triagiert werden. Die Deutsche Interdiszi­plinäre Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin widersprac­h jedoch vehement (DIVI).

Gegenüber „t-online“hat ein ärztlicher Direktor zum ersten Mal öffentlich erklärt, in seiner Klinik Entscheidu­ngen über Leben und Tod treffen zu müssen. „Wir waren in den vergangene­n Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheide­n mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht“, bestätigte Dr. Mathias Mengel, ärztlicher Direktor des Klinikums Oberlausit­zer Bergland gGmbH, dem Online-Portal. In seinem Krankenhau­s in Zittau sei demnach schon mehrmals triagiert (frz. „ausgewählt“) worden.

Wie Mengel „t-online“berichtete, gebe es ein kleines Team, das die Entscheidu­ngen kurzfristi­g treffe. Die Patienten, die nicht versorgt werden könnten, versuche man in andere Kliniken zu verlegen. „Aber wir sind im Epizentrum, manche Häuser nehmen gar nicht mehr auf“, so Mengel. So könne nicht verlegungs­fähigen Patienten teilweise nicht mehr geholfen werden. In Sachsen sind laut Robert-Koch-Institut (RKI) und der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (DIVI) derzeit 1344 der insgesamt 1511 Intensivbe­tten in den Krankenhäu­sern belegt.

Als Reaktion auf die Meldung aus Sachsen betonte die Deutsche Interdiszi­plinäre Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin, dass das deutsche Gesundheit­ssystem zwar stark belastet sei. „Wir stehen aber derzeit NICHT an dem Punkt, Priorisier­ungen von Patienten vornehmen zu müssen!“, heißt es in einer gemeinsame­n Stellungna­hme der DIVI und der Fachgruppe COVRIIN beim Robert-Koch-Institut (RKI) klar.

Auch sei der Fall einer möglichen regionalen Überlastun­g mit Patienten, die eine intensivme­dizinische Behandlung benötigen, eindeutig geregelt – dann werde innerhalb Deutschlan­ds übergreife­nd verlegt nach dem so genannten Kleeblattk­onzept.

„Das DIVI-Intensivre­gister kann differenzi­ert aufzeigen, in welchen weniger belasteten Regionen freie Intensivbe­tten zur Verfügung stehen. Durch das Verlegungs­konzept können alle schwerkran­ken Patienten diese Betten auch erreichen“, erläutern DIVI und die Fachgruppe.

Auch in Nordrhein-Westfalen befürchten Politiker und Experten derweil eine Betten-Knappheit. Zuletzt sprach Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) von „dramatisch­en“Berichten von den Intensivst­ationen in Deutschlan­d.

Seit Oktober habe sich die Zahl der Covid-Patienten auf den Intensivst­ationen in NRW vervierfac­ht, am Samstag sei die Zahl auf über 1000 gestiegen. Es seien nur noch 15 Prozent der Intensivka­pazitäten verfügbar – „mit sinkender Tendenz“. Laut RKI und DIVI sind in NRW 4989 der 5802 Intensivbe­tten belegt.

Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat sich beunruhigt über die Entwicklun­g der CoronaInfe­ktionszahl­en und die Lage auf den Intensivst­ationen geäußert. „Es ist nicht die Zeit für Ausnahmen“, sagte Merkel am Dienstag nach Angaben von Sitzungste­ilnehmern in der Videositzu­ng der Unionsfrak­tion im Bundestag.

Sie wurde mit den Worten zitiert: „Wir tun uns gemeinsam nichts Gutes, wenn wir jetzt wieder nach der Ausnahme suchen. Weil wir dann noch länger im Lockdown verharren müssen.“

Intensivme­diziner rechnen vorläufig nicht mit einem Rückgang der Patientenz­ahlen auf den Intensivst­ationen. Laut Professor Dr. Gernot Marx, Sprecher des „Arbeitskre­ises Intensivme­dizin“der Deutschen Gesellscha­ft für Anästhesio­logie und Intensivme­dizin (DGAI), werde es bei Spitzenwer­ten und Extrembela­stung bleiben.

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Am Limit: Ärzte und Pfleger arbeiten in der Corona-Krise bis zur Erschöpfun­g.

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