„Mussten entscheiden, wer noch Sauerstoff bekommt“
TRIAGE Lage auf deutschen Intensivstationen immer dramatischer
In der Corona-Pandemie spitzt sich die Lage auf den Intensivstationen zu. Während Politiker besorgte Appelle an die Bürger richten, räumte in Sachsen erstmals ein Klinikchef ein, über Leben und Tod entschieden zu haben – in seinem Haus müsse inzwischen triagiert werden. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin widersprach jedoch vehement (DIVI).
Gegenüber „t-online“hat ein ärztlicher Direktor zum ersten Mal öffentlich erklärt, in seiner Klinik Entscheidungen über Leben und Tod treffen zu müssen. „Wir waren in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht“, bestätigte Dr. Mathias Mengel, ärztlicher Direktor des Klinikums Oberlausitzer Bergland gGmbH, dem Online-Portal. In seinem Krankenhaus in Zittau sei demnach schon mehrmals triagiert (frz. „ausgewählt“) worden.
Wie Mengel „t-online“berichtete, gebe es ein kleines Team, das die Entscheidungen kurzfristig treffe. Die Patienten, die nicht versorgt werden könnten, versuche man in andere Kliniken zu verlegen. „Aber wir sind im Epizentrum, manche Häuser nehmen gar nicht mehr auf“, so Mengel. So könne nicht verlegungsfähigen Patienten teilweise nicht mehr geholfen werden. In Sachsen sind laut Robert-Koch-Institut (RKI) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) derzeit 1344 der insgesamt 1511 Intensivbetten in den Krankenhäusern belegt.
Als Reaktion auf die Meldung aus Sachsen betonte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, dass das deutsche Gesundheitssystem zwar stark belastet sei. „Wir stehen aber derzeit NICHT an dem Punkt, Priorisierungen von Patienten vornehmen zu müssen!“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der DIVI und der Fachgruppe COVRIIN beim Robert-Koch-Institut (RKI) klar.
Auch sei der Fall einer möglichen regionalen Überlastung mit Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, eindeutig geregelt – dann werde innerhalb Deutschlands übergreifend verlegt nach dem so genannten Kleeblattkonzept.
„Das DIVI-Intensivregister kann differenziert aufzeigen, in welchen weniger belasteten Regionen freie Intensivbetten zur Verfügung stehen. Durch das Verlegungskonzept können alle schwerkranken Patienten diese Betten auch erreichen“, erläutern DIVI und die Fachgruppe.
Auch in Nordrhein-Westfalen befürchten Politiker und Experten derweil eine Betten-Knappheit. Zuletzt sprach Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) von „dramatischen“Berichten von den Intensivstationen in Deutschland.
Seit Oktober habe sich die Zahl der Covid-Patienten auf den Intensivstationen in NRW vervierfacht, am Samstag sei die Zahl auf über 1000 gestiegen. Es seien nur noch 15 Prozent der Intensivkapazitäten verfügbar – „mit sinkender Tendenz“. Laut RKI und DIVI sind in NRW 4989 der 5802 Intensivbetten belegt.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich beunruhigt über die Entwicklung der CoronaInfektionszahlen und die Lage auf den Intensivstationen geäußert. „Es ist nicht die Zeit für Ausnahmen“, sagte Merkel am Dienstag nach Angaben von Sitzungsteilnehmern in der Videositzung der Unionsfraktion im Bundestag.
Sie wurde mit den Worten zitiert: „Wir tun uns gemeinsam nichts Gutes, wenn wir jetzt wieder nach der Ausnahme suchen. Weil wir dann noch länger im Lockdown verharren müssen.“
Intensivmediziner rechnen vorläufig nicht mit einem Rückgang der Patientenzahlen auf den Intensivstationen. Laut Professor Dr. Gernot Marx, Sprecher des „Arbeitskreises Intensivmedizin“der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), werde es bei Spitzenwerten und Extrembelastung bleiben.