Die „Kronprinzessin“des Panoptikums
Susanne Faerber ist Chefin des Wachsfigurenkabinetts, das ihr Ururgroßvater vor 140 Jahren gründete
Suse war so glücklich. In der dritten Klasse kam endlich das Einmaleins dran. Doch dann die große Enttäuschung: Das 1-mal-7 kommt erst ganz am Ende. Warum wollte niemand verstehen, dass sie gerade das so dringend brauchte? Saß das Mädchen doch schon seit Jahren auf dem Schoß der Kassiererinnen und verkaufte die Eintrittskarten – für 7 Mark pro Erwachsenem. „Ich wollte endlich den Preis für mehrere Besucher errechnen können“, sagt die Frau lachend. Sie hat ihre halbe Kindheit zwischen Wachsfiguren verbracht. Heute ist Susanne Faerber 29 Jahre alt und die „Kronprinzessin“des Panoptikums – das ihr Ururgroßvater 1879 am Spielbudenplatz eröffnete. Damals noch mit lebenden Sensationen wie „Riesen“, „Zwergen“und Siamesischen Zwillingen.
Kein Kino. Kein Fernsehen. Nicht mal Zeitungen, in denen Fotos abgebildet waren. Als der Holzbildhauer Friedrich Hermann Faerber das Wachsfigurenkabinett
vor mehr als 140 Jahren eröffnete, hatten die Menschen oft keine Vorstellung davon, wie die großen Persönlichkeiten ihrer Zeit aussahen. „Sie konnten sich nicht einmal vorstellen, wie ein Schwarzafrikaner aussieht.“Neben Kleinwüchsigen und Siamesischen Zwillingen stellte damals auch Maria Faßnauer ihren Körper zur Schau. Als „Mariedl, die Riesin aus Tirol“reiste die 2,27 Meter große Frau durch Europa. Weil sie so großes Heimweh hatte, nahm sie häufig ihr Kalb mit. Heute erinnern eine Wachsfigur der Frau und ihres Tiers im Untergeschoss an die Riesin,
die schwere gesundheitliche Probleme hatte und schon mit 38 Jahren starb.
Das Panoptikum ist das älteste Familienunternehmen St. Paulis. Damals war der Stadtteil noch ein Vergnügungsviertel für Familien. Vor der Tür stellte der Tierpark Hagenbeck Seelöwen in Fässern zur Schau, es gab Schießbuden und Bierhallen. Das Panoptikum war in einer Art Vergnügungs-Zentrum – der Wilhelmshalle. Ein herrschaftliches Gebäude mit großen Sälen, hohen Stuckdecken und schweren Kronleuchtern. Das Geschäft lief gut. So gut, dass sich Friedrich Hermann Faerber ein Automobil leisten konnte. Damals das erste Hamburgs. „Allerdings war sein Sohn Arthur mit seinen 14 Jahren der erste Autofahrer der Hansestadt, weil sein Vater bei der Anlieferung krank im Bett lag“, berichtet Susanne.
Die junge, zurückhaltend wirkende Frau mit dem Pagenhaarschnitt und der Brille hat die alten Geschichten schon
Die Herstellung ist wahnsinnig aufwendig und kann bis zu drei Jahre dauern –wiebei Angela Merkel.
Dutzende Male gehört – und erzählt. Sie liebt sie trotzdem. Schon als Kind war Susanne fasziniert von den Wachsfiguren. Anstatt sich nach der Schule mit Freunden zu treffen, ging sie ins Panoptikum. Suse liebte es, Heinrich VIII. zu besuchen. „Sein Gewand glitzert so schön. Das hat mir immer sehr gefallen“, sagt die Chefin lachend und stellt sich neben den König Englands, der nach wie vor gezeigt wird.
Für Susanne war schon als Kind klar: Sie wird irgendwann Chefin des Panoptikums. In den 80er Jahren hatte ihre Mutter das Familienunternehmen von deren Schwiegereltern übernommen, die es nur nebenbei betrieben und nicht mal wollten, dass jemand weiß, dass ihnen ein Unternehmen auf St. Pauli gehört. Doch für Beate Faerber wurde es zur Lebensaufgabe. Die Chemieund Biologie-Lehrerin gab ihren Beruf auf. Als Susanne 13 Jahre alt war, starb ihre Mutter nach langer Krankheit an Brustkrebs. Es war sofort klar: Suse übernimmt das Panoptikum – nach der Ausbildung.
Für den Traum seiner Tochter gab ihr Vater Dr. Hayo Faerber seinen eigenen auf: Der erfolgreiche Internist führte die Geschäfte vorerst weiter. „Das rechne ich meinem Vater wahnsinnig hoch an. Aber er hat auch immer gesagt, es gebe viele Arztpraxen in Hamburg, aber nur ein Panoptikum.“Nachdem Susanne ihr Management-Studium beendet hatte, stieg sie mit 23 Jahren in das Unternehmen ein und führt es gemeinsam mit ihrem Vater.
Heute wird die junge Frau die „Kronprinzessin“des Panoptikums genannt. Allerdings ist das nicht ganz korrekt. „Ich bin die mehrheitliche Anteilseignerin“, stellt die 29-Jährige lächelnd klar. Sie wirkt stolz. Fügt jedoch direkt hinzu, dass es keine Rangordnung gebe und alles gemeinsam entschieden werde. Vater und Tochter, die zusammen in einem Haus in Alsterdorf leben, sind sich generell einig. Außer bei Johannes Brahms. Ihr Vater möchte gerne eine Figur des Komponisten. Susanne will lieber Til Schweiger. Aber erst mal zieht Bill Gates ein – allerdings ist unklar wann. Der Bildhauer arbeitet schon seit Jahren an der Figur. „Er fremdelt mit Bill. Mal schauen, wann er fertig wird“, sagt Susanne und zuckt grinsend die Schultern.
Früher wurden 300 Wachsfiguren gezeigt, heute sind es noch 120. Nachdem die Wilhelmshalle im Zweiten Weltkrieg durch Brandbomben zerstört wurde, überlebten lediglich 17 Figuren. Und das auch nur, weil sie damals vorsorglich in der Krypta des Michels ausgelagert wurden. Seitdem kommen jedes Jahr ein bis zwei Promis hinzu. „Die Herstellung ist wahnsinnig aufwendig und kann bis zu drei Jahre dauern, wie bei Angela Merkel.“Hinzu kommt die Investition: Eine Wachsfigur kostet etwa 50 000 Euro. Wen das Panoptikum zeigt, das hängt von den Besuchern ab. Es werden Befragungen durchgeführt. Das Problem: Bei Tausend Befragten werden 500 Namen genannt. „Wir machen eine Top-Ten-Liste und schauen, wer jetzt und auch noch in drei Jahren bekannt ist.“Sie selber mag Queen Elisabeth II. am liebsten – auch weil sie sie an ihre Studienzeit in London erinnert.
Am wenigsten kann die Chefin mit der Figur von Roberto Blanco anfangen. „Das ist für mich mehr eine Karikatur.“Roberto ist mittlerweile rausgeflogen. Zumindest sein Körper. Sein Kopf wird noch gemeinsam mit anderen enthaupteten Promis in einer Vitrine gezeigt „weil wir ihn so schlecht fanden, dass er schon wieder amüsant ist.“
Von Napoleon und Karl dem Großen über Udo Lindenberg, Helmut Schmidt, Harry Potter und Angelina Jolie bis hin zu Donald Trump werden die unterschiedlichsten Prominenten gezeigt. „Jeder Besucher soll bei uns sein Idol finden“, sagt die Chefin. Allerdings geht es nicht nur darum, seinem Lieblingsstar einmal
Die Figur von Roberto Blanco fanden wir so schlecht, dass sie schon wieder amüsant war. Susanne Faerber
ganz nah zu sein. Es gibt auch „negativ“bekannte Persönlichkeiten. „Sie gehören zu unserer Geschichte und wir wollen damit zum Nachdenken anregen.“Wie bei Adolf Hitler. Anfangs wurde der Wachs-Diktator noch in einem Bunker gezeigt. Die beschämende Folge: Ob pubertierende Schüler oder Neonazis – immer wieder machten Besucher den Hitlergruß neben der Figur und ließen sich fotografieren. Mittlerweile steht Hitler hinter einer Gaze, einem halbdurchsichtigen Stoff, der ihn nur schemenhaft erkennen lässt und Selfies unmöglich macht. „Wir wollen nicht zu einem Wallfahrtsort für Neonazis werden“, stellt Susanne mit fester Stimme klar.
Um die Szene noch eindeutiger einzuordnen, wurden die Geschwister Scholl vor dem Diktator platziert. Am Boden ein Stapel ihres letzten Flugblatts und ein Schild mit der Aufschrift: „1943 hätten Sie sehr viel Mut haben müssen, um dieses Flugblatt aufzuheben. Hier und heute können Sie es problemlos mitnehmen.“
Die Hitler-Figur sei die einzige, um die es bisher Ärger gab, so Susanne. Die Frau überlegt und lächelt. Na ja, einmal habe es noch einen Zwischenfall gegeben. Ein Mann stürmte herein, rannte auf Erich Honecker zu, gab ihm eine Ohrfeige und sagte: „Das musste ich haben.“Susanne lacht. Die Frau ist glücklich, ihren Traum vom Familienunternehmen auf St. Pauli leben zu können. „Heute würde man solch ein Wachsfigurenkabinett nicht mehr unbedingt in diesem Viertel eröffnen. Aber wir sind auf St. Pauli fest verwurzelt. Ich empfinde diesen Stadtteil als bunt, vielfältig und liebenswürdig“, sagt die Frau und geht vor die Tür. Ein Obdachloser hat sein Lager aufgeschlagen. Die Chefin begrüßt ihn. Dass er vor ihrem Unternehmen haust, ist kein Problem für Susanne. „Auch die Obdachlosen gehören zu St. Pauli. Es ist mir wichtig, dem Mann auf Augenhöhe zu begegnen“, sagt die „Kronprinzessin“und schließt die Tür. Mal wieder für längere Zeit.