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Um 1800 herum entfallen auf jeden Bewohner nicht mehr als zwei bis drei Quadratmet­er Wohnfläche

Herausford­erung, denn im Laufe der Jahrhunder­te wurde immer wieder um- und an- und vorgebaut und modernisie­rt – so sehr, dass der älteste Teil unter Putz, Tapeten, Paneelen, Verkleidun­gen und Verzierung­en verborgen ist. Die Sanierungs­arbeiten, die der Hamburger Senat im Rahmen des Hamburger Wirtschaft­sstabilisi­erungsprog­ramms (HWSP) mit 3,5 Millionen Euro finanziert, laufen schon eine ganze Zeit – und Stück für Stück entlockt Friedrichs­en dem Haus seine Geschichte.

Blankenese. Das klingt in unseren Ohren nach bequemem, luxuriösem Leben. Wir denken an Leute mit viel Geld und teuren

Vor 200 Jahren sieht das anders aus. Ganz anders! Damals handelt es sich um ein armes FiBestets scherdorf mit wohnern, die schwer arbeite müssen und doc nie wirklich i Auskommen h ben.

Wie hart das L ben der Fischer jener Zeit ist, damit haben sich die Blankenese­r Heimatfors­cher Maike und Ronald Holst (beide 79) eingehend beschäftig­t: Um 1640 sind von den 45 Blankenese­r Familien 41 selbststän­dige Fischer, die anfangs vor der Haustür, also auf der Elbe, ihre Netze auswerfen. Erst im 18. Jahrhunder­t, nach dem Großen Nordischen Krieg, ist es ihnen erlaubt, vor der holländisc­hen Küste zu fischen und auf den dortigen Märkten ihren Fang anzubieten. Sobald die Elbe eisfrei ist, etwa ab März, fährt der Fischer raus und ist bis in den Herbst fort. Im Winter zehrt er dann von den Erträgen des Sommers.

Frauen und Kinder müssen mitarbeite­n, damit’s zum Leben reicht. Die Jungs fahren schon als Zehn-, Elf- oder Zwölfjähri­ge zur See. Die Jüngeren, die noch zu Hause sind, müssen Treibholz für die Feuerung sammeln und – so wie der berühmte „Hummel Hummel“– das Wasser in zwei Eimern mit einem Tragholz von der Wasserstel­le an der Hauptstraß­e holen. Die Frauen spinnen daheim den Flachs zu Segeln und machen aus Hanf neue Netze. Ab Ende des 18. Jahrhunder­ts, als sich Hamburger Reeder und Kaufleute in Blankenese niederzula­ssen beginnen, arbeiten sie auch als Köchinnen, Waschfraue­n und Näherinnen bei den „hohen Herrschaft­en“.

Wie die Menschen damals wohnen, das lässt sich an unserem „Spukhaus“wunderbar ablesen. Es handelt sich um ein sogenannte­s Twehus – twe für zwei, denn es ist ein Doppelhaus, typisch für Blankenese. Die Fischer sind arm, und so zu bauen, ist besonders kostengüns­tig.

In jeder der beiden Haushälfte­n leben fünf Familien – nicht selten drei oder vier Generation­en beisammen. Um 1800 entfallen auf einen Bewohner nicht mehr als zwei bis drei Quadratmet­er Fläche. Unvorstell­bar! Deshalb spielt sich das Familienle­ben zu dieser Zeit, wann immer es das Wetter zulässt, im Garten ab.

Wir kommen in die Diele

– das ist der höchste Raum im Haus, denn hier hängen damals die Fischernet­ze an Haken und Ständern zum Trocknen.

Jeder der zehn Familien im Twehus steht ein einziger Wohnraum, die „Döns“, zur Verfügung, ein vielleicht zwölf Quadratmet­er großes Zimmer. Darin gibt es damals eine Bank, einen Tisch, ein paar Stühle und – das ist der größte Besitz – die Truhe. In jeder „Döns“befindet sich – meist in der Nähe des Kamins – der „Alkoven“, ein Wandbett, in dem die Eltern halb sitzend mit angezogene­n Beinen schlafen.

Jedes der beiden Hausteile hat zwei Küchen. Hier kochen die Hausfrauen zunächst an offenen Feuerstell­en, über denen die Töpfe an Ketten hängen. „Dütscher Heerd“, so nennen die Fischer ihn. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts wird er durch geschlosse­ne Herde aus Eisen abgelöst: „engelscher (also englischer) Heerd“genannt.

Wir steigen eine steile Stiege hoch. „Später, als etwas mehr Wohlstand Einzug hält“, erzählt Architekt Friedrichs­en, „wird hier oben über der Döns der ,Sahl‘, das Dachstübch­en, angebaut.“Gleich daneben der Dachboden, in dem die Fischer ihre Fang-Gerätschaf­ten und den Mastbaum lagern. „Und wohin geht es da?“, fragen wir und zeigen auf eine Luke. Friedrichs­en öffnet sie. Dahinter eine Abseite direkt unterm Reetdach. „Das ist der Schlafplat­z für die Knechte und die Kinder.“Die MOPO-Reporter gucken erstaunt: „Da haben Menschen geschlafen? Da würde ich nicht mal meinen Staubsauge­r abstellen.“

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts, nach Ende der napoleonis­chen Zeit, dürfen die Blankenese­r Fischer nicht mehr in Holland auf Fischfang gehen und wenden sich dem Warentrans­port zu: Sie bringen Kohle nach Königsberg oder holen mit ihren Fischerboo­ten ab Oktober Zitrusfrüc­hte aus Südspanien und Sizilien. Auch Lateinamer­ika, China und Ozeanien steuern sie an.

Mehrere Jahre am Stück sind die Seeleute jetzt unterwegs – und viele kommen nie mehr zurück. Jedes zweite Blankenese­r Schiff geht un

 ??  ?? Kapitän Peter Breckwoldt­s letzter Brief. Abgeschick­t am 21. März 1879 in Glasgow. Unten sein letztes Foto: aufgenomme­n in Mexiko
Die Stiege zum Sahl (Oberstübch­en). Hinter der Klappe unter der Treppe soll das Dienstmädc­hen geschlafen haben.
Das Fischerhau­s innen: ein eiserner „engelscher Heerd“, darüber der Swiebagen (Rauchfang) des „dütschen“Vorgängero­fens
Kapitän Peter Breckwoldt­s letzter Brief. Abgeschick­t am 21. März 1879 in Glasgow. Unten sein letztes Foto: aufgenomme­n in Mexiko Die Stiege zum Sahl (Oberstübch­en). Hinter der Klappe unter der Treppe soll das Dienstmädc­hen geschlafen haben. Das Fischerhau­s innen: ein eiserner „engelscher Heerd“, darüber der Swiebagen (Rauchfang) des „dütschen“Vorgängero­fens
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