Tatort Hamburg: Warum mussten der kleine Haluk und der kleine Michael sterben?
Ein pensionierter Hauptkommissar glaubt zu wissen, wer der Kindermörder ist
44 Tage lang haben die Eltern von Haluk Kocal (9) und Michael Riesterer (8) gebangt, gezittert und gehofft. Doch am 29. Juli 1981 entdeckten Spaziergänger die Leichen der beiden Vermissten im Naturschutzgebiet „Die Reit“in Reitbrook. Die Kinder waren ermordet worden. Es ist der „Cold Case“-Fall, der Hamburger Kripoleute auch fast 40 Jahre nach der Tag noch beschäftigt, ja aufwühlt. Ein pensionierter Ermittler glaubt zu wissen, wer der Täter ist.
Zunächst war es nur ein Vermisstenfall, wie er in Großstädten häufiger vorkommt. Am 15. Juni 1981 hatten Michael und Haluk in Mümmelmannsberg gegen 18 Uhr die Elternhäuser verlassen und waren mit ihren Rädern davongefahren. Um 19.20 Uhr sah eine Frau die beiden Jungen an der Straße Unterberg bei den Boberger Dünen. Sie standen an einem Auto und sprachen mit einem etwa 30 Jahre alten Mann.
Als die Jungen über Nacht vermisst blieben und Angehörige die zurückgelassenen Räder unangeschlossen auf einem Parkplatz entdeckten, startete die Polizei eine Großfahndung, setzte Hubschrauber und Hundeführer ein. Beamte suchten mit
Booten Gewässer in den Boberger Dünen ab. Ohne Erfolg. Auch eine Öffentlichkeitsfahndung nach den Kindern brachte nichts.
Nachdem Spaziergänger die Jungen knapp fünf Kilometer vom Ort ihres Verschwindens entfernt gefunden hatten, wurde der Vermisstenfall zum Mordfall. Vor allem Hauptkommissar Rolf B. von der Mordkommission „verbiss“sich regelrecht in den Fall.
Die „Spur 466“brachte 1982 dann vorerst den Durchbruch. Das war der Hinweis auf einen damals 40-jährigen Mann. Er war mehrfach wegen diverser Gewalt- und Sexualdelikte aufgefallen. Und in seinem Auto konnte die Kripo Haare sichern.
Viele stammten von einem Hund, doch ein paar auch von Menschen. Einige davon wiesen eine sehr seltene Anomalie auf, das ergab jedenfalls eine Analyse von Biologinnen. Laut deren Gutachten stammten die Proben „zweifelsfrei“vom Mordopfer Michael Riesterer. Mehrere Zeugen wollten den Verdächtigen außerdem zur Tatzeit eindeutig in unmittelbarer Nähe des völlig einsamen Tatorts am Reitdeich gesehen haben.
1985 erließ ein Richter Haftbefehl. Nachdem Fotos des Mannes veröffentlicht worden waren, stellte sich der Gesuchte und kam in Haft. Sein Anwalt veranlasste ein weiteres Haar-Gutachten durch das BKA. Das Ergebnis: negativ. Die Hamburger Experten zweifelten es an. Ein dritter Gutachter mochte sich dann nicht festlegen. So kam es nicht einmal zu einer Anklage, und der 40-Jährige musste mangels Beweisen freigelassen werden.
Die Haare aus dem Fahrzeug des Mannes wurden von der Staatsanwaltschaft sorgsam verwahrt. 2018 schickte man sie zu Spezialisten der Innsbrucker Gerichtsmedizin. Das Ziel: DNA gewinnen. So etwas
war in den 80er Jahren noch unbekannt. Doch es lag zu wenig DNA vor, um zu einer weiterführenden Typisierung zu kommen. Durch die intensive Untersuchung sind die Haare „verbraucht“. Laut Staatsanwaltschaft
Hamburg gibt es zwar noch weitere Haare in der Asservatenkammer, allerdings diese sind in einem zu schlechten Zustand und für weitere Untersuchungen ungeeignet.
Und der Verdächtige von damals? Er ist heute 77 Jahre alt, hat Hamburg verlassen und lebt vereinsamt in einer anderen Großstadt. Vor ein paar Jahren hat ein Reporter des Magazins „Crime“ihn aufgespürt und ihm bei der ersten Begegnung Fotos der beiden Opfer vorgelegt. Der Mann erklärte, er habe diese Bilder noch nie gesehen, er wisse überhaupt nicht, wer die Jungen seien.
Eine Lüge. Die Fotos waren 1984/85 immer wieder veröffentlicht worden, und zwar zusammen mit Fotos des Verdächtigen. Das hat der damals in Hamburg lebende Mann natürlich verfolgt. Schließlich hatte er sich nach dem Erscheinen der Artikel den Behörden gestellt. Doch auch bei längeren Gesprächen mit dem Reporter beteuerte der 77-Jährige seine Unschuld, sagte, er werde seit Jahrzehnten verfolgt: „Ich bin unschuldig durch die Hölle gegangen.“Ein Satz, der für Ex-Ermittler Rolf B. unerträglich ist.
Der Pensionär glaubt ihm kein Wort. Den Hauptkommissar, der in seiner Dienstzeit lediglich sieben von 157 Tötungsdelikten nicht aufklären konnte, hat der Fall nie losgelassen. Er sagt resigniert: „Mit den heutigen Möglichkeiten der Kriminaltechnik hätten wir ihn damals überführt ...“