„Wir auf St. Pauli sind am härtesten getroffen“
N-KLUB Zwei Hamburger Pastoren über Glaube und Weihnachten in Zeiten der Corona-Pandemie
„N Klub“– die Web-Show rund um das Thema Nachhaltigkeit. Diesmal hat Moderator Lars Meier es mit diesen beiden Gesprächspartnern zu tun: Frank Engelbrecht, Kirchenpastor von St. Katharinen, und Sieghard Wilm, Pastor der St. Pauli-Kirche. Thema: Glaube und Weihnachten in Zeiten von Corona.
Wir haben zurzeit besondere Umstände. Predigten dürfen nicht mehr in gewohnter Form stattfinden, auch Weihnachten nicht. Seit ihr trotzdem, obwohl die Leute nicht zuhauf in die Kirche kommen können, noch engagierter, um als Botschafter des Glaubens aktiv zu sein? Wirft diese Zeit noch mehr Fragen auf in der Gemeinde?
Frank Engelbrecht: Ja, die Corona-Krise ist sehr grundsätzlich. Wir haben hier in der Katharinenkirche den heiligen Geist als Mittelbild, da geht es um den Hauch, den Atem und die Ansteckung läuft über das Atmen. Es gibt viele andere schwere Krankheiten, aber bei denen muss man etwas tun, um es zu bekommen. Jetzt reicht atmen schon aus. Jede Geste der Freundlichkeit, Umarmen, Hände schütteln, das alles ist infrage gestellt. Gastfreundschaft ist quasi unmöglich und Gastfreundschaft ist ein Grundlebenselement. Unser Planet ist eigentlich einer der Gastfreundschaft. Das stellt die Kirche vor eine große Herausforderung. Es verlangt uns viel ab. Wir können die Menschen nicht in unser Haus einladen. Am Aschermittwoch räumen wir immer alle Bänke zusammen und stellen die Stühle in einer Mittelaufstellung zusammen und zu Ostern kommen die Bänke zurück. Jetzt kam statt Ostern der Lockdown, seitdem sind die Stühle, wie sie sind, das bedeutet, es gibt so eine Art Passionsüberhang. Die Passionszeit geht weiter. Die alte Aufstellung zieht sich über das Jahr. Und so gehen wir jetzt auch nach Weihnachten rein. Also auf der einen Seite die Hoffnung des Lebens feiern, beieinander sein, auch wenn es schwierig ist, wenn es digital ist, ein Anruf, oder ein Treffen draußen. Im Angesicht der Gefährdung das Leben feiern, das ist eine ganz zentrale kirchliche Sache.
Sieghard, hast du Corona auf St. Pauli anders erlebt? Sieghard Wilm: Wir sind ja der Stadtteil, der am härtesten betroffen ist. Wenn man durch die Straßen geht, wird man wirklich traurig. Überall ist das Licht aus, wo sonst das pulsierende Leben auf den Straßen ist. In den Clubs, in den Bars ist nichts los – die Leute haben Existenzangst. Es gibt Schirme, die schützen sollen, ob das wirklich gelingt, weiß ich nicht, ich höre da Unterschiedliches. Es ist natürlich auch eine große Angst, dass der Kiez sein Gepräge verliert. Wir haben jetzt gerade das Licht angeschaltet am Kirchturm, eine wunderbare Illumination, ein Hoffnungsleuchten. Das soll den Leuten zeigen, dass es weitergeht, auch wenn wir durch eine schwere Zeit gehen. Ich versuche einfach für die Leute da zu sein, hier und da zu helfen. Unsere Mitarbeiter in der Diakonie haben sich wahnsinnig über die Gutscheine von „Mensch Hamburg“gefreut. Alles, was zeigt, es geht weiter, es kommt danach noch etwas, aber wir müssen da jetzt durch, hilft.
Rücken christliche Werte in diesen Zeiten noch mehr in den Mittelpunkt?
Engelbrecht: Christlicher Wert heißt ja, wir dürfen den Ernst, die Schwierigkeit der
Lage sehen und trotzdem an der Schönheit des Lebens festhalten. Das Wissen, dass dort die Wahrheit liegt, ist extrem wichtig in dieser Zeit.
Sieghard, was gibt dir neben deinem Glauben und der Bibel die Gewissheit, dass nächstes Jahr alles wieder besser wird?
Wilm: Es ist die Energie von St. Pauli. Wir glauben an die Auferstehung. Das ist ja ein sehr christlicher Satz, es geht um die Ostergeschichte und die Auferstehung Jesu Christi, aber auch um den Kiez. Da sind Menschen, die schon eine Menge erlebt haben, ob privat oder geschäftlich. Und die können viele Geschichten vom Wiederaufstehen erzählen. Das ist ein Teil der Kiez-Philosophie, ob man nun gläubig ist oder nicht. Ärmel hochkrempeln und weiter. Wir sind in einem privilegierten Land, das muss man sehen, und deswegen bin ich optimistisch. Wir haben Glück im Unglück, und es wird alles weitergehen. Ich glaube, im Rückblick später werden wir stolz sein, dass wir den Kopf nicht in den Sand gesteckt haben, uns nicht kleingemacht haben.